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"Also, ich will entweder BWL, Jura oder Medizin" - viele Berliner Abiturienten sind sehr karriereorientiert.

© Patrick Pleul/dpa

Jugendsprache in Berlin: Wir sind alle ausgebucht

„Viel Erfolg“, „bin ausgebucht“, „wird durchkommuniziert“ – junge Berliner drücken sich aus wie Unternehmensberater. Das entlarvt einen beängstigend kalkulierenden Blick auf die Welt.

Neulich haben wir uns gestritten – ich war zu spät dran. „Das habe ich doch wohl deutlich kommuniziert“, sagt mein bester Kumpel, und während er seine Augenbrauen hochzieht, fühle ich mich wie ungeduscht beim Vorstellungsgespräch. Auch sonst klingt er nicht wie ein Student, eher wie ein McKinsey-Praktikant. Zum Beispiel beim Abschied: „Viel Erfolg“, sagt er immer. Egal, ob ich zur Arbeit, in eine Bar oder zu meinen Eltern an den Stadtrand aufbreche. Viel Erfolg wobei? Beim Biertrinken? Beim Smalltalk? Viel Erfolg in Staaken? „Na ja, dass eben alles erfolgreich und positiv verläuft“, erklärt er.

Kritiker bemängeln oft, dass wir in der freien Marktwirtschaft unsere Freiheit dazu nutzen, die Arbeit nach Feierabend mit nach Hause zu nehmen. Aber nicht nur das. Heutige Abiturienten drücken sich privat schon wie Manager aus. „Hast du diese Woche Zeit?“ – „Nee, bin ausgebucht.“ Ausgebucht? Passt nicht in deinen Businessplan? Das ist nicht nur Sprache. Das ist Lebensplanung.

„Und, was machst du jetzt so nach dem Abi?“ Der Klassiker. In der Bahn eine ehemalige Mitschülerin getroffen, die ich kaum kenne, und jetzt ist Stille und wir gucken nach vorne. Ich sage irgendwas mit Medien und die Welt verbessern, sie streift sich mit ihren pinken Plastikfingernägeln durch das geplättete Haar. „Also, ich will entweder BWL, Jura oder Medizin.“ Sie blinzelt abwechselnd an die Decke und auf den Boden. Ich muss grinsen. Mir doch schnuppe, wenn ich deine Biografie schon schreiben kann, bevor du mit dem Studium angefangen hast. Auslandsjahr in Australien, Junggesellenabschied in der RE7 vom Stadtrand Richtung Alexanderplatz, mit 50 Salsa-Tanzen entdecken. Wirklich romantisch.

Viel Erfolg, leider ausgebucht, sauber durchkommuniziert: Das steht für eine Haltung, bei der sich jedes Gespräch nur um sich selbst dreht. Tendenz: gefühlsneutral.

Spätestens nach zwei Minuten kommt die Frage nach Studium, Stipendium, Jobchancen

Während die Mitschülerin erzählt, dass sie Angst hat, mit ihrem Abischnitt kein Stipendium zu bekommen, starre ich auf ihre Hilfiger-Bluse. Vor der Brust ihr iPhone, umklammert von den Plastikkrallen. Am Kragen eine gefälschte Ray-Ban-Sonnenbrille. Immer an die Außenwirkung denken.

Ein Motz-Verkäufer schlurft durch den Wagen. „Ich spende gern Obdachlosen, wenn sie sich etwas Besonderes überlegen“, sagt die Mitschülerin. Dann umarmt sie mich, steht auf und catwalkt nach draußen. Die Umarmung ist der größte Fake der Unterhaltung. Mit „etwas Besonderes überlegen“ meint sie, dass die Obdachlosen kleine Bilder verkaufen oder Blockflöte spielen sollen. Frag sie doch, ob sie dir ihre ausgelatschten Crocs verkaufen, rufe ich ihr in Gedanken hinterher.

Am Leopoldplatz sehe ich jeden Morgen und jeden Abend eine Frau liegen. Im Herbst stand sie öfter auf und ging die Müllerstraße entlang, eingehüllt in eine grüne Wolldecke. Wer weiß, wovon sie mit 19 geträumt hat. Natürlich bin ich nicht derjenige, der der Frau jeden Abend zehn Euro hinlegt. Ich mache ja was mit Medien. Sie bettelt auch nie um Geld – aber wenn sie aufwacht, liegen fast immer Brötchen und Gebäck vom Vortag neben ihr. Schön, dass diese Stadt nicht nur aus McKinseys besteht. Noch nicht.

Vielleicht hat die Frau erst Angehörige und dann den Job verloren. Vielleicht hat sie es auch selbst verbockt, hat gesoffen oder war faul. Spielt das eine Rolle? Soll sie darum heute singen und tanzen, um sich die alten Brötchen auch wirklich zu verdienen? Ich hätte noch eine Triangel zu Hause.

Herablassende Kommentare wie die meiner Mitschülerin entlarven einen beängstigend kühl kalkulierenden Ego-Lebensstil. Kaum ein Gespräch auf einer Homeparty dauert länger als zwei Minuten, bevor die Frage nach Studium, Stipendium, den Chancen auf dem Arbeitsmarkt kommt. Links und rechts bleiben Nachdenken und Mitgefühl liegen.

Abends sitze ich mit Freunden in einer Kneipe. Alles durchkommuniziert, alle ausgebucht. Ich mache ein rotes Häkchen in mein Moleskine-Notizbuch und lehne mich zurück. Ein kleines Pils. Bitte, Danke, Prost. „Ich muss morgen früh raus“, sage ich. Stühlerücken. Ich wünsche uns viel Erfolg.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

Simon Grothe

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