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Die Nachfrage nach Türkeireisen ist unverändert hoch.

© Getty Images

Junge Türken in Deutschland: Aber hier leben? Nein danke.

„Ich liebe dieses Land“, sagen junge Berliner türkischer Herkunft. Und meinen damit Deutschland. Ihren Urlaub verbringen sie lieber in der Türkei.

Akif sitzt am Mittelmeer. Muhammed bevorzugt eher die Schwarzmeerküste. Yonca hingegen ist in die anatolische Provinz gereist. Sie ist türkische Staatsbürgerin, die beiden Jungs besitzen beide Pässe. Vor kurzem hat man sie noch in Berlin getroffen - im gut besuchten „Cafe Peri“ am Kleistpark mit orientalischem Flair. Junge Deutsch-Türken, dritte Gastarbeiter-Generation, richtige Berliner. Urlauben tun sie aber am liebsten in der Heimat ihrer Großeltern.

Die Inhaftierung des türkischen Schriftstellers Dogan Akhanli in Spanien, diplomatische Verwicklungen, Drohungen gegen die Ehefrau von Außenminister Gabriel – war da nicht was? Doch, aber gerade die jungen Deutsch-Türken lassen sich dadurch zumindest nicht den Sommer verderben, obwohl auch sie das Thema belastet. Sie fühlen sich stark mit dem Heimatland ihrer Vorfahren verbunden. Diese Verbundenheit ist sogar stärker als bei der zweiten Generation, wie aktuelle Studien belegen. Spricht das für mangelnde Integrationsbereitschaft, die Deutsch-Türken oft vorgeworfen wird?

"Ich trage beides in mir"

„Lange Zeit dachte ich, dass ich mich zwischen beiden Ländern entscheiden muss“, sagt Samet, ein 22-jähriger Publizistikstudent aus Charlottenburg, der wie alle anderen nicht mit Klarnamen in der Zeitung stehen möchte. „Erst später habe ich gemerkt, dass ich das gar nicht muss. Ich genieße das Leben, hier ist mein Zuhause. Ich fühle mich aber auch türkisch, da ich türkische Serien schaue und türkische Musik höre“, fügt er hinzu. „Es ist schwierig zu beschreiben, aber beides ist einfach da. Ich trage beides in mir.“ Vor Kritik an den bestehenden Verhältnissen in der Türkei scheut er jedoch nicht zurück. „Die Verhaftungen der Journalisten sind fragwürdig und wirken willkürlich. Ich kann es durchaus verstehen, dass Deutschland keine Lust mehr hat, sich auf dieses Spiel einzulassen.“

Viele Deutsch-Türken befassen sich im Laufe ihres Lebens mit Identitätsfragen: Wer bist du? Woher kommst du? Fühlst du dich eher Deutsch oder Türkisch? Dies geschieht fast schon zwangsläufig, da sie oft mit solchen Fragen konfrontiert werden. Vor allem in den heutigen Tagen, in denen Recep Tayyip Erdogan dafür sorgt, dass sie ins Blickfeld der deutschen Öffentlichkeit geraten.

Die ständige Erdogan-Frage

Suat hat seine ganz eigene Antwort auf diese tiefgründigen Fragen gefunden. Der 19-jährige Weddinger studiert Regionalplanung an der TU Berlin, ist ebenfalls „doppelter“ Staatsbürger und wird sehr emotional, als er auf die „Nazivorwürfe“ von Erdogan angesprochen wird. „Ich liebe Deutschland, ich liebe meine Mitmenschen. Man kann die Leute hier doch nicht als ’Nazis’ bezeichnen.“ Im selben Zusammenhang äußert er aber auch: „Ich war vor kurzem Fahnen schwenken vor dem türkischen Konsulat in Berlin, um am Jahrestag gegen den Putschversuch zu demonstrieren. Es war wegen der Liebe zur Heimat.“

„Ich habe es satt, mich ständig dazu äußern und positionieren zu müssen. Egal, in welcher Situation ich als Deutsch-Türkin stehe, es wird immer Bezug zu Erdogan genommen. Es nervt mittlerweile“, gibt die 21-jährige Yonca, eine angehende Deutschlehrerin, leicht angefressen zu. Auch mit ihren Nachbarn spreche sie notgedrungen häufig über dieses Thema. Mit diesen Worten spricht sie Muhammed aus der Seele, der am Tisch gegenüber ihr sitzt.

Der 18-Jährige hat dieses Jahr an einem Neuköllner Gymnasium Abitur gemacht und möchte nun studieren. „Natürlich wird man durch die Krise aus einer anderen Perspektive betrachtet. Als ob alles, was Erdogan sagt, auch unsere Meinung wäre.“ „Als müssten wir hier die Probleme rechtfertigen, die dort am Dampfen sind“, fügt Akif, ebenfalls Abiturient aus Buckow, hinzu. Die anderen Gesprächsteilnehmer haben ähnliche Erfahrungen gemacht, besser gesagt, machen müssen. Und trotz der Krisenstimmung reisen sie jeden Sommer in die Türkei, um Verwandte zu besuchen und Urlaub zu machen.

Nicht für alle mehr Urlaubsziel

Und sie sind keine Ausnahme. Dieses Jahr sei die Nachfrage nach Türkei-Reisen höher als in den vergangenen Jahren, sagt Emre Güven, Mitarbeiter der „Bizim Tur GmbH“ (zu Deutsch etwa „Unsere Rundreise“), einem türkischen Reiseunternehmen in Schöneberg. „Bizim Tur“ ist eine Agentur der türkischen Fluggesellschaft „Turkish Airlines“ und hat drei Büros in Berlin.

Beim Passagieraufkommen gibt es bei „Bizim Tur“ in diesem Jahr einen Anstieg von drei Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Bei den Pauschalreisen beträgt der Anstieg sogar 19 Prozent. Türkische Reisebüros als boomendes Geschäft? Verwunderlich angesichts der aktuellen Lage. Nicht verwunderlich, wenn circa 95 Prozent der Kunden türkischer Herkunft sind.

Ganz anders sieht es bei den deutschen Reisebüros aus. „Bis vor drei Jahren reisten bei uns von 100 Urlaubern bis zu 60 in die Türkei. Heute kann man die Türkei-Urlauber an einer Hand abzählen“, erklärt der Reiseexperte Frank Zeidler der „DER Deutsches Reisebüro“, einem der führenden Reisebüroketten Deutschlands. Auch wenn ein Türkeiurlaub verhältnismäßig billig sei und Hotels mit Sonderangeboten locken würden, sei die Sorge derzeit zu groß, um ins Land zu reisen. Konkret sehe es aktuell so aus: ein zweiwöchiger All-Inclusive-Urlaub in der Türkei koste eine vierköpfige Familie um die 3000 Euro.

Zum Vergleich: der klassische Mallorca-Urlaub koste für den selben Zeitraum 5000 Euro. Doch wie kommen diese Entwicklungen zustande? Emre Güven hat eine Antwort parat. „Zurzeit ist es im Vergleich zu den Vorjahren relativ ruhig in der Türkei.“

Generelles "Türkei-Bashing"

Die Betonung liegt auf relativ. Seit dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 kursieren viele Geschichten in der türkischen Community Berlins. Eine davon teilt die Psychologiestudentin Seyma, die sich aus der türkischen Hauptstadt Ankara meldet. Als sie nach ihrem letzten Türkei-Urlaub im April 2017 zurückkehrte, habe ihr der Professor, bei dem sie als studentische Hilfskraft angestellt ist, folgendes gesagt: „Ich hatte meine Bedenken darüber, dass Sie nicht zurückkommen. Ich habe häufig gehört, dass kopftuchtragende Deutsch-Türkinnen in die Türkei gehen, dort gegen ihren Willen zwangsverheiratet werden und dann nicht mehr zurückkehren.“ In dem Moment wirkt diese Aussage wie ein Schock für die 21-Jährige, die selbst Kopftuch trägt und ausschließlich die türkische Staatsbürgerschaft besitzt.

Dies steht exemplarisch dafür, was die Jugendlichen befürchten: ein generelles „Türkei-Bashing“, wie sie es nennen, also eine Zunahme von Vorurteilen und Ressentiments gegenüber türkischstämmigen Mitbürgern. Nach jedem Urlaub in der Türkei müsse man sich zurzeit dafür rechtfertigen, in das Land gereist zu sein, sagt Yonca. Als würde man sich durch einen Türkei-Urlaub zum Kollaborateur der Erdogan-Regierung machen.

Yunus Güllü

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