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Für jeden Straftäter wird ein "individuelles Paket" an Maßnahmen geschnürt.

© dpa

JVA Tegel: Erster Sicherungsverwahrter ist auf freiem Fuß

In Freiheit trotz hoher Rückfallgefahr: Berlin musste den ersten Häftling aus der Sicherungsverwahrung entlassen. Acht weitere werden folgen. Die Polizei wird den nun freigelassenen Mann bis auf Weiteres überwachen.

Der erste Sicherungsverwahrte ist auf freiem Fuß. Nach mehr als einjährigem juristischem Hin und Her konnte am Montag der 53-jährige Rainer P. die Justizvollzugsanstalt Tegel als freier Mann verlassen. Das Kammergericht als letzte Instanz hatte vor wenigen Tagen eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die vor Monaten angeordnete Freilassung verworfen. Nun musste der Totschläger P. freikommen. Das Landeskriminalamt ist von der Justiz informiert worden, dem Vernehmen nach wird P. nun bis auf Weiteres überwacht. 1995 war Rainer P. wegen Totschlags zu fünf Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Diese Sicherungsverwahrung, die „Haft nach der Haft“ konnte bis 1998 nur für maximal zehn Jahre verhängt werden. Dann strich der Gesetzgeber die Höchstgrenze, seitdem kann Sicherungsverwahrung unbegrenzt dauern. Doch diese nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung verstößt gegen die Menschenrechte, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) im Dezember 2009.

Neun Männer werden jetzt von dem Urteil profitieren, in den kommenden Jahren werden weitere hinzukommen – immer dann, wenn sie das alte Maximum zehn Jahre Sicherungsverwahrung abgesessen haben. Nach Rainer P. wird als nächstes der 70-Jährige Jürgen B. entlassen. Auch für ihn hatte das Kammergericht den 28. Februar als Entlassungstag vorgesehen. Doch der schwerkranke B. bleibt dem Vernehmen nach ein paar Tage länger „freiwillig“ in Tegel, weil der Platz in einem betreuten Wohnheim noch nicht frei ist. B. ist der älteste der acht Männer, um die seit Monaten gestritten wird. B. sitzt seit 1969 in Tegel, er hatte zwei Frauen und ein Kind getötet. Für die anderen sieben Männer steht die letzte gerichtliche Entscheidung noch aus. Doch während der vom Gericht bestellte Gutachter bei B. nur ein geringes Rückfallrisiko sieht, ist die Prognose für den jetzt frei gelassenen Rainer P. schlecht. Psychiater Hans-Ludwig Kröber sieht bei dem 53-Jährigen ein „Rückfallrisiko“. Er hatte alle Taten im Rausch begangen. Seit dem 14. Lebensjahr ist er nach Justizangaben alkoholabhängig. Positiv wurde zwar vermerkt, dass er in Tegel „seit 2001 beanstandungsfrei“ war. Jedoch seien größere Mengen Alkohol deutlich schwerer ins Gefängnis zu schmuggeln als Heroin oder Haschisch, hieß es in der Justiz. Gutachter Kröber hält es für möglich, dass P. wieder zu trinken beginnt. P. hatte im Dezember 1994 während eines Zechgelages einen Bekannten getötet. Zuvor war er bereits 1976 zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden, weil er eine alte Frau in ihrer Wohnung überfallen hatte. Bei der späteren Vernehmung durch die Polizei war die 80-Jährige vor Aufregung an einem Herzanfall gestorben. Insgesamt hat P. seit seinem 18. Geburtstag nur wenige Jahre in Freiheit verbracht.

Seit dem Straßburger Urteil hatten Justiz, Polizei und Sozialexperten intensiv diskutiert, wie die Männer in Freiheit begleitet werden. Für jeden Straftäter wurde ein „individuelles Paket“ an Maßnahmen geschnürt. Alle Männer sollen zwei Bewährungshelfer an die Seite bekommen, einen Mann und eine Frau. Die Justiz lobte diese „Tandemlösung“, bei der aus „weiblicher und männlicher Perspektive“ Gefahren effektiver erkannt werden sollen. Alle bekommen zudem harte Führungsauflagen, wie beispielsweise Meldepflicht, bei P. gilt zudem ein striktes Alkoholverbot.

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