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Berlin: Käthe Friedrich, geb. 1925

Das Leben in der Stadt war Käthe Friedrich fremd, als sie 1948 nach Berlin kam. Zu laut, zu hektisch, zu modern blieb es ihr ein Leben lang.

Das Leben in der Stadt war Käthe Friedrich fremd, als sie 1948 nach Berlin kam. Zu laut, zu hektisch, zu modern blieb es ihr ein Leben lang. Ein Flügel, ein Klavier und ihre Familie, viel mehr brauchte die Pianistin eigentlich nicht. Bis zum Schluss gab es in ihrem Haushalt weder eine Wasch- noch eine Spülmaschine. In manchen Dingen war ihr Leben geradezu asketisch.

"In Mittenwalde, im Wald, ist sie aufgewachsen", sagt ihr Mann, Claus Friedrich. Ihre Eltern hatten eine Färberei. Und weil man dafür viel Wasser brauchte, stand die Fabrik außerhalb der kleinen Stadt. Hinterwäldlerisch war Käthes Elternhaus deshalb nicht. Die Familie war wohlhabend, und der Großvater, ein begeisterter Cellist, organisierte die musikalische Ausbildung der beiden Enkeltöchter. Die Älteste lernte Violine, Käthe lernte Klavier. Dabei war die Musik nicht als möglicher Beruf für die Mädchen gedacht. Käthe begann eine kaufmännische Ausbildung. Das war vernünftiger.

Sie übte allerdings so fleißig am Klavier, dass die Eltern ihr mit 15 Jahren den ersten Flügel kauften. Einen Bechstein, der sie über Jahrzehnte und viele Kilometer bis nach Berlin begleiten sollte. Schon frühzeitig gab Käthe Konzerte vor einem kleinen Publikum. Dass es darüber nicht hinausging, kam Käthe recht. Die Auftritte vor Publikum waren nicht ihre Sache. "Am schönsten war es für sie, wenn sie ganz alleine für sich spielen konnte und nicht einmal ich zuhörte", sagt ihr Mann.

Ende der vierziger Jahre lernte sie Claus Friedrich auf einer Hochzeitsfeier bei Chemnitz kennen. Käthe war als Pianistin für die Feier engagiert worden. Claus Friedrich fand sie auf Anhieb sympathisch, sie ihn auch. Doch neun lange Jahre sollte es dauern, bis die Pianistin und der angehende Lehrer heirateten. Neun Jahre, in denen viele Briefe zwischen Mittenwalde und Freiburg, dort studierte Claus Friedrich, hin- und hergeschickt wurden. "Ein oder zwei Mal im Jahr besuchten wir einander."

Das Paar zog dann nach Berlin. Für Käthe war das eine akzeptable Lösung, weil ihre allein stehende Schwester Hannelore auch dort lebte. Die beiden Schwestern waren unzertrennlich. Daran änderte auch Käthes Hochzeit nichts. "Ich habe irgendwie beide geheiratet", sagt Claus Friedrich. Das war 1957. Käthe und Claus zogen in eine kleine Dachwohnung in Dahlem. Für den Flügel fehlte der Platz, er wurde eingelagert. Als der erste Sohn Christoph geboren wurde, brauchte die Familie eine größere Wohnung. In Charlottenburg, nahe dem Lietzensee fanden sie eine mit sechseinhalb Zimmern.

Die Wohnung wurde für Käthe zu ihrem Ruhepol, ihrem Reich inmitten der Großstadt. Hier lebte die Familie zwar räumlich luxuriös, in vielen anderen Dingen aber auch sehr bescheiden. "Bei allem, was wir uns anschafften, haben wir genau darüber nachgedacht, ob wir das wirklich brauchen", sagt Claus Friedrich. Dies hatte zur Folge, dass nicht nur die zum Standard der meisten Haushalte gehörenden Geräte fehlten, auch ein Auto gab es nicht. "Wozu, die öffentlichen Verkehrsmittel sind doch direkt vor unserer Nase?" Hier waren Käthe und Claus nicht ganz einer Meinung. Die Pianistin hasste das Umsteigen. "Wenn wir umsteigen mussten, wäre sie am liebsten nicht mitgefahren", sagt Claus Friedrich.

Käthe Friedrich machte gerne Spaziergänge am Lietzensee oder rund um das Charlottenburger Schloss. Den Haushalt zu führen, die Kindererziehung, das Kochen und das Pflanzen und Pflegen der Blumen auf den Balkonen waren ihre Hobbies. Klavierspielen hingegen sah sie mehr als Beruf. Und tatsächlich konnte die Familie das Geld, das Käthe als Organistin in der Evangelischen Lietzenseegemeinde und der Neu-Westend-Gemeinde nach Hause brachte, gut gebrauchen. Käthes Zuverlässigkeit und ihr großes Repertoire machten sie schnell in ganz Berlin bekannt. So lernte sie im Lauf der Jahre 26 Orgeln und damit auch 26 Pfarrer, Gemeinden und Kirchen Berlins gut kennen.

Die Leidenschaft zur Musik gab sie an ihren Sohn Dominik weiter. Doch ihre Freude darüber war getrübt: Für Käthe Friedrich waren Melodien der Kern jeder Musik. "Die Musik unseres Sohnes besteht aber nicht einmal aus Tönen, sondern eher aus Geräuschen. Auch ich habe dazu eigentlich keinen Zugang", sagt Claus Friedrich. "Käthe konnte damit überhaupt nichts anfangen. Sie war enttäuscht." Das änderte sich erst zwei Wochen vor ihrem Tod, als Dominik Friedrich für seine Kompositionen den Bach-Preis erhielt. Die Eltern waren natürlich dabei. Und Käthe? Sie war stolz und froh zu sehen, dass die Arbeit des Sohnes anerkannt wurde. Es hat sie in gewisser Weise versöhnt. "Verstanden hat sie die Musik aber trotzdem nicht", sagt Claus Friedrich.

Für Käthe Friedrich wurde die Arbeit als Organistin irgendwann zu anstrengend. Schließlich war sie nur noch in Notfällen bereit, die Pedale und Tasten zu bedienen. Zuletzt wurde es ihr auch zu aufregend. Zu aufregend vor allem für ihr Herz, das von Geburt an seinen eigenen Takt gehabt hatte. Wegen einer Herzrhythmusstörung war sie lebenslänglich auf Medikamente angewiesen. Noch einen Tag vor ihrem Tod schenkte ihr die Schwiegertochter die Partitur zu einem Musical, die sie sich schon lange gewünscht hatte. "Den ganzen Sonntag verbrachte sie damit, das Musical einzustudieren. Am Abend hatte sie es geschafft", sagt Claus Friedrich.

Noch steht ihr schwarzer Flügel im Wohnzimmer, gegenüber das braune Klavier. So als könnte das Konzert jeden Augenblick beginnen. Doch die Akteure kommen nicht mehr. Claus Friedrich wird seine Wohnung aufgeben. In eine Eineinhalb-Zimmer-Wohnung zieht er demnächst. Für viel mehr als seine Erinnerungen wird kein Platz sein. "Ich werde nur das mitnehmen", sagt er, "was ich wirklich brauche."

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