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Berlin: Kambiz Rousta (Geb. 1939)

"Die Religiösen bringen uns in Teufels Küche!"

Redner, deren Worte eine Melodie formen und zu fesseln vermögen, waren zu jeder Zeit seltene Talente. Kambiz Rousta aber hatte die Gabe, selbst eine politische Ansprache klingen zu lassen wie ein orientalisches Gedicht.

Für den ältesten Sohn einer bürgerlichen Familie im Iran war es keine Frage, dass er zum Studieren ins Ausland gehen würde. Sein Vater war Kommunist, seine Mutter war als Tochter eines Gegners der Monarchie im Pariser Exil geboren worden. Da war es auch wenig erstaunlich, dass er nach ein paar Semestern Medizin an der Universität in Wien auf Politologie umsattelte. Seine Heimat sollte er in den nächsten fünfzig Jahren nur noch einmal, für kurze Zeit wiedersehen.

Kambiz studiert schnell und promoviert schnell, denn er benötigt seine Zeit für Wichtigeres. Mit Anfang 20 schon Ehemann und Vater von zwei Söhnen, schließt er sich der „Cisnu“, einer Konföderation iranischer Auslandsstudenten an und wird bald deren Vorsitzender. Sie sind international vernetzt, sie demonstrieren und besetzen Botschaften, sie tun alles, um den Schah in ihrem Heimatland zu stürzen. Kambiz reist durch Europa und die USA, hält Reden und Vorträge, die auf Tonband mitgeschnitten und verbreitet werden. Die Aufnahmen führen nicht nur zu großer Popularität, sondern auch zu einem Missverständnis: Wenn eine Veranstaltung mit Dr. Kambiz Rousta angekündigt ist, finden sich Hunderte, manchmal Tausende ein, darunter viele Frauen. Seine sonore, volle Stimme kennen alle, und sie erwarten einen hochgewachsenen, breitschultrigen Helden. Aber der große Oppositionsführer ist ein schmaler Mann von knapp einssiebzig. Spricht er dann zu den Leuten, gerne mehrere Stunden am Stück, scheint er um Längen zu wachsen.

Als im Jahr 1978 erste Unruhen im Iran die Macht des Schahs erschüttern, setzt sich Kambiz in ein Flugzeug nach Teheran. Am Flughafen greift ihn die Geheimpolizei zum Verhör heraus und nimmt ihm den Pass ab. Es heißt, er dürfe das Land nun nicht mehr verlassen. „Sehr gut“, sagt Kambiz, „das hatte ich ohnehin nicht vor.“ Er ist überzeugt, dass sich die Demokratie endlich durchsetzen wird. Die Protestierenden werden von Tag zu Tag mehr – und sie fordern Unterschiedliches. Es sind Konservative und Sozialisten, Alte und Junge. Eines allerdings ist diese wachsende Revolutionsbewegung überhaupt nicht: religiös. Der Atheist Kambiz Rousta lehrt jetzt Politologie an der Teheraner Uni und warnt seine Mitstreiter davor, den im Exil lebenden Ayatollah Chomeini als Symbolfigur einzubinden, um die Bewegung zu verbreitern: „Die Religiösen bringen uns in Teufels Küche!“ Keine drei Jahre später muss er sein Land erneut verlassen.

20 Jahre später sitzt ein älterer Herr mit weißem Haarkranz und Bart in der Berliner Kantstraße am Teetisch inmitten seines Schreibwarenladens für Künstlerbedarf. Er hat sich hier einen Ort geschaffen, der mehr ist als ein Lebensunterhalt im Exil. Das Geschäft ist Treffpunkt für Freunde und Nachbarn. Man schaut herein, bleibt auf eine Tasse Tee, erzählt, sucht Rat. Kambiz Rousta ist ein Menschenfreund, offen, gütig, viele sagen weise. Auf jeden Fall ist er geduldig und weist niemanden ab. „Azizam“, so beginnt er seine Sätze, es bedeutet „Liebling“ oder „Mein Lieber“.

Noch immer ist er politisch aktiv, nimmt 1992 am Mykonosprozess teil und sucht mit seiner Autorität einen Ausgleich zwischen den Gruppen der zersplitterten Opposition. Es kostet ihn Überwindung, aber er empfängt sogar Reza Pahlavi, den Sohn des Schahs, in der Kantstraße. Als im letzten Sommer die bisher größten Demonstrationen gegen das Regime in Teheran stattfinden, liegt Kambiz Rousta schon im Sterben. Sebastian Rattunde

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