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Berlin: Kampf um politisch korrekte Zahlen

Schulanfänger-Bericht wird von der Sozialverwaltung nicht veröffentlicht, weil Defizite von Ausländerkindern zu klar benannt werden

Die schulärztliche Untersuchung von 28000 Erstklässlern des Jahres 2001 ist zum Politikum geworden: Weil der Bericht mit den Schwerpunkten fehlender Sprachfertigkeit und Übergewicht allzu kritisch nach der Mitverantwortung der Migranten fragt, liegt das Material seit fünf Monaten bei Staatssekretär Hermann Schulte-Sasse auf Eis.

Der Bericht enthält umfangreiches Datenmaterial, mit dem Kinderärzte und viele Verwaltungen schnellstmöglich arbeiten möchten. Es ist die erste landesweite Untersuchung nach einheitlichen Kritierien für alle Bezirke. Zusammengetragen, analysiert und bewertet wurden die Daten im Referat „Gesundheitsberichterstattung“ in der Senatsverwaltung für Gesundheit. Im Spätsommer 2002 wurde die Arbeit abgeschlossen und Fachleuten sowie der Schulverwaltung und der Ausländerbeauftragten zur Kenntnis gegeben - ohne dass es Beanstandungen gab. Gesundheits- und Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) kündigte die Veröffentlichung für Oktober 2002 an.

Ihr Staatssekretär Schulte-Sasse (parteilos) begründet die Verzögerung damit, dass man in einem derart „hochsensiblen Bereich“ wie der Migration sehr vorsichtig in der Wortwahl sein müsse – zumal es in der Öffentlichkeit eine „programmierte Missverständnisbereitschaft“ gebe. Das Thema sei so wichtig, dass es nicht von einer Diskussion über die Bewertung und Präsentation der Fakten überlagert werden dürfe. Diese Gefahr bestehe in der jetzigen Fassung. Dafür wolle er nicht verantwortlich gemacht werden.

Der Staatssekretär nimmt vor allem daran Anstoß, dass bestimmte soziale, sprachliche und gesundheitliche Missstände, die bei den Erstklässleruntersuchungen zum Vorschein kamen, zu eindeutig mit der Kategorie „Ausländer“ in Zusammenhang gebracht worden seien. „Die Schichtzugehörigkeit ist vielleicht wichtiger als die kulturelle Herkunft“, gibt Schulte-Sasse zu bedenken. Und er möchte, dass ein derartiger Gesichtspunkt auch in den Gesundheitsbericht einfließt.

Aber muss das fünf Monate lang dauern? Ja, sagt Schulte- Sasse. Denn die anstößigen Wertungen über die Defizite bei den so genannten Kindern nichtdeutscher Herkunft zögen sich „durch den ganzen Bericht“. Zwar habe er schon vor längerer Zeit „Kollegen“ beauftragt, den Bericht umzuschreiben, aber auch die hätten „nicht gleich verstanden, worum es geht“. Nun „hofft“ er auf eine Veröffentlichung bis März.

Die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John kann sich die Bedenken des Staatssekretärs nicht so recht erklären. In dem Papier habe es vielleicht „zwei bis drei anstößige Bemerkungen“ gegeben. Auch ironisierende Bemerkungen oder „anekdotische Dinge“. Das alles könne aber nicht der Grund für eine derartige Verzögerung sein.

Besonders die Kinderärzte in den Bezirksämtern sind entrüstet über den Zeitverlust. Sie müssen mit ansehen, wie die Daten veralten. Denn inzwischen haben sie den Jahrgang 2002 untersucht, nun sind bereits die Kinder dran, die 2003 eingeschult werden. Vor allem der Schwerpunkt „Sprachfertigkeit“, den es 2001 gab, ist bald überholt. Gerade ist die Bärenstark-Untersuchung angelaufen, die Deutschkenntnisse aller künftigen Schüler prüft.

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