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Berlin: „Kannibalistische Paraphilie“

Gutachter sagte im Mordprozess gegen Ralf M. aus. Er attestierte ihm eine seelische Abartigkeit und sieht große Wiederholungsgefahr

Die Fantasien tauchten das erste Mal auf, als Ralf M. etwa 24 Jahre alt war. Sie wurden stärker, als der in Norddeutschland geborene Mann vor vier Jahren nach Berlin kam. Sie ließen ihn immer tiefer in die Perversion abrutschen, als der Fall des Kannibalen von Rotenburg durch die Presse ging. Ralf M. tötete zur Befriedigung von Kannibalismus-Fantasien.

Das bestätigte gestern ein psychiatrischer Gutachter. Er diagnostizierte eine „kannibalistische Paraphilie“. Aus Sicht des Sachverständigen liegt bei dem 41-jährigen M. eine Störung vor, die juristisch als schwere seelische Abartigkeit zu bezeichnen sei. Seine Steuerungsfähigkeit sei bei der Tat erheblich vermindert, aber nicht gänzlich aufgehoben gewesen. So habe Ralf M. sein Opfer nicht sofort nach der Tötung geschlachtet. Er habe sich noch einen Kaffee gekocht und geraucht, bevor er an die Leiche ging.

Der Sachverständige Alexander Böhle sprach sich für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aus. Seine Prognose: „Es besteht eine erhebliche Gefahr, dass es weitergeht.“ Der zuletzt arbeitslose Maler Ralf M. hat gestanden, im vergangenen Oktober einen Sexualpartner in seiner Neuköllner Wohnung mit einem Schraubendreher erstochen, dann geschlachtet und ausgeweidet zu haben. Leichenteile des 33-jährigen Musiklehrers hatte er im Kühlschrank deponiert. Zum Verzehr aber kam es nicht, weil es ihn davor ekelte. „Die reale Schlachtsituation hat der Fantasie des Angeklagten nicht entsprochen“, hieß es im psychiatrischen Gutachten. Ralf M. habe auch nicht die sexuelle Erregung empfunden, die er sich erhofft hatte.

Als Ralf M. von Armin M., dem „Kannibalen von Rotenburg“ erfuhr, habe er fast nichts anderes mehr getan, als sich zu Hause abgeschottet im Internet mit Gleichgesinnten auszutauschen. Er habe sich über Schlachtungen informiert, habe Opfer gesucht. Auch eine Schlachtbank baute der Mann aus Neukölln. Anders als Armin M. aber fand er kein freiwilliges Opfer. Als er dann den Berliner Musiklehrer kennen lernte, wurden die Fantasien übermächtig. Doch der Lehrer war lediglich mit Fesselungen bei Sexspielen einverstanden. Er wollte nicht getötet werden. Der Angeklagte sei immer tiefer in die Perversion hineingeraten und habe einen „erheblichen emotionalen Kontrollverlust“ erlitten, sagte der Gutachter.

Ralf M. sei ein introvertierter Mensch und sehr unsicher, hieß es weiter. Er stamme aus einem bäuerlichen Milieu, habe sich immer die Liebe der Mutter ersehnt. Von seinem ein Jahr älteren Bruder sei er in der Kindheit oft gequält worden. Unter anderem bei einem Spiel, das „Schweineschlachten“ hieß. Als Ralf M. nach Berlin kam, soll er sich immer weiter zurückgezogen haben – beherrscht von seinen perversen Fantasien. Heute wird das Landgericht voraussichtlich das Urteil in dem Mordprozess sprechen.

Kerstin Gehrke

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