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Berlin: Kanzelworte für den Kanzler

Nicht gerade eine Plenarsitzung: Eines nach dem anderen fahren die großen schwarzen Autos vor und entlassen Frauen und Männer in gedeckter Kleidung. Am Eingang zur St.

Nicht gerade eine Plenarsitzung: Eines nach dem anderen fahren die großen schwarzen Autos vor und entlassen Frauen und Männer in gedeckter Kleidung. Am Eingang zur St.-Hedwigs-Kathedrale in Mitte sind auch die Personenschützer dunkel gewandet. Wenn die neue Legislaturperiode des Bundestages um neun Uhr früh mit einem Gottesdienst eröffnet wird, ist Ernsthaftigkeit angezeigt.

Nur einer sprintet auf Berlins katholische Bischofskirche zu und verschwindet zum ersten Glockengeläut im Inneren: Manfred Kock, der Präsident des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und so etwas wie der oberste Protestant im Land, ist mit der U-Bahn gekommen.

Als die Glocken verstummen, ist die Kathedrale nur mäßig gefüllt. 200 Abgeordnete sind es vielleicht - weniger, als die CDU/CSU-Fraktion Sitze hat. Gerhard Schröder ist da und sitzt zusammen mit Wolfgang Thierse in der ersten Reihe, genau gegenüber den auf Distanz gehaltenen Fernsehkameras.

Die neuen Minister sind nicht da – entgegen ihrer ursprünglichen Ankündigung. Vielleicht vertrauen sie ja darauf, dass sie von Rita Süßmuth und Antje Vollmer, Angela Merkel und Hermann Otto Solms würdig vertreten werden. Nur gut, werden sich die Organisatoren gedacht haben, dass sie mit dem öffentlichkeitswirksamen Gottesdienst nicht wie zunächst geplant in den Berliner Dom gegangen sind. Dort hätte die Gemeinde richtig mager ausgesehen.

Doch wer da ist, ist bei der Sache. Sie singen wie eifrige Kirchgänger, sie geben bei der Kollekte freigiebig für Hochwasser-Opfer. Sie lassen sich von Kardinal Karl Lehmann, dem Bischof von Mainz, den Predigttext aus dem ersten Brief an die Thessalonicher auslegen, in dem es heißt: „Prüft alles und behaltet das Gute! Meidet das Böse in jeder Gestalt.“ Und: „Seid offen gegenüber neuen Gedanken.“ Das, sagt Lehmann, wollten die Kirchen und Christen im Land den politisch Tätigen mit auf den Weg geben.

Damit ist wohl jeder einverstanden - und Konkreteres für den künftigen Einsatz in Parlament und Regierung gibt die Predigt nicht vor. Im Wortsinn wird hier niemandem ins Gewissen geredet. Da ist Manfred Kock, der Kirchenratspräsident, schon deutlicher, der in seiner Begrüßung sagt: „Im globalen Zeitalter muss Geschwisterlichkeit ausgeweitet werden – über die eigene kleine Gruppe hinaus.“

Jörg-Peter Rau

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