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© Mike Wolff

Karl-Marx-Buchhandlung: Die Bücher gehen, die Neonschrift bleibt

Die Buchhandlung in der Karl-Marx-Allee schließt, der Betreiber kann die Miete nicht mehr aufbringen. Zu Zeiten der Trennung kauften hier auch West-Berliner Literatur - nicht nur Marx und Mao.

Die Karl-Marx-Buchhandlung in der früheren Stalinallee war einst eine gesamtdeutsche Institution: Bundesrepublikaner und West-Berliner erinnern sich an die „Devisenabwurfstelle“, in der der Besucher in Ost-Berlin seine 25 DDR-Mark Zwangsumtausch für gute Literatur loswerden konnte. Sie kauften hier neben Marx und Mao auch Thomas Mann, Christa Wolf und Bert Brecht, und für die Einheimischen war das Traditionshaus ohnehin eine gute Adresse, weil man – schon der Lage wegen – den Eindruck hatte, dass es besser beliefert würde als alle anderen Buchläden.

Jetzt aber wird auch dieses Geschäft das Opfer einer nicht mehr zeitgemäßen Großzügigkeit der Geschäftsräume und der mangelnden Attraktivität der Karl- Marx-Allee. „Es gibt keinen Grund, die Straße abzulaufen“, sagt der Historiker Erich Kundel, der das Geschäft seit 1993 betreibt. Zum Monatsende schließen sich die Türen endgültig, über 4000 Euro Monatsmiete kommen nicht mehr zusammen.

Schon laufen die Schnäppchenjäger durch den fast 400 Quadratmeter großen Laden, alles muss raus, 50 Prozent Ermäßigung fürs Antiquarische: So stehen am Ende 17 Prachtbände von Meyers Lexikon von 1897 für 200 Euro neben den 45 Bänden der gesammelten Werke von Marx und Engels zu 150 Euro. Erich Kundel wirft kein Buch weg, er zieht mit den Resten seiner Schätze ins Samariterviertel in die Bänschstraße 88.

Die Karl-Marx-Allee aber wird wieder um einen Teil ihrer Tradition ärmer und benötigt dringend ein Zukunftskonzept. Richard Paulick hatte eines, als er 1953 den Block C-Süd projektierte: Der Architekt wollte durch diese Buchhandlung mit ursprünglich ganzen 1500 Quadratmetern auf zwei Stockwerken in dem Wohnhaus Nr. 78-84 den großen Stellenwert der Literatur im Leseland DDR demonstrieren.

Nun bleibt von alldem nur der Neon-Schriftzug über dem Geschäft – er steht unter Denkmalschutz – und ein spannendes Brettspiel für die ganze Familie zu 9,95 Euro. Kundel hatte es einst entworfen. Es heißt „Stalinallee – ein Spiel auf Ehre und Gewissen“. Lothar Heinke

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