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Nico Achenbach und die Karnevals-Garde bei ihrem Auftritt im Hospiz Ricam in Neukölln.

© Kitty Kleist-Heinrich

Karneval in Berlin: Der Funkenmario

13 Funkenmariechen auf einer Bühne, darunter nur ein Junge: der 13-jährige Nico Achenbach. Der fünften Jahreszeit gehört seine gesamte Freizeit. Das ganze Jahr über.

Nico Achenbach steht auf der kleinen Bühne – mit ihm 13 Mädchen in blau-gelben Paillettenkostümen. Er selbst trägt eine schwarze Hose und ein goldenes Oberteil. Mit dem hohen Hut, der mit schwarzen Federn bestückt ist, fällt er auf in der Frauenriege. Als die Musik erklingt – der Schlager „Dschingis Khan“ – schlagen alle im Takt die Beine in die Luft. Nico Achenbach lächelt und hält die Funkenmariechen links und rechts fest an der Hand. Die Musik hallt laut durch den kleinen Raum des Ricam Hospizes in Neukölln, als die Tanzgruppe – zack – gleichzeitig in den Spagat springt. Das Publikum klatscht. Es ist Karneval.

Nico Achenbach tanzt seit sieben Jahren in der Garde des Berliner Carneval-Vereins (BCV) mit. Seit letztem Jahr ist der 13-Jährige in der „mittleren Garde“. Dort ist er der einzige Junge. „Früher waren noch mehr Jungs bei uns“, erzählt die Trainerin der Truppe, Jasmin Noll. „Umso wichtiger ist es jetzt, dass wir Nico haben. Er ist der Gruppenführer und hält die Truppe zusammen.“

Schritte merken ist kein Kinderspiel

Zuvor, beim Aufwärmen für den Tanz, sitzt Nico Achenbach mit zwei Mädchen im Kreis. Die beiden sind stark geschminkt, an ihren geflochtenen Zöpfen tragen sie weiße Schleifen. Nico Achenbach erzählt etwas, die Mädchen kichern. Gemeinsam üben die drei Spagat, dehnen die Beine und trainieren die Sprünge. Die Choreografie muss sitzen. „Vor dem Tanz gehen wir auch im Kopf immer noch mal die Schritte durch“, sagt Nico.

Dass es kein Kinderspiel ist, sich die Schritte bei dem etwa dreiminütigen Tanz zu merken, weiß Trainerin Noll nur zu gut. „Das Einprägen der Reihenfolge ist schon eine große Leistung“, sagt sie anerkennend. „Bei einem anspruchsvollen Gardetanz wie diesem ist das eine Herausforderung.“ Nicht nur wegen des Tempos der Begleitmusik: Während Tänzerinnen und Tänzer in immer wieder neuen Schrittkombinationen die Beine hochschlagen, die Arme in der Luft kreisen und mit dem Kopf im Takt nicken müssen, wechseln sie auch ständig ihre Formation: Diagonale, Halbkreis, V- oder Sternform. Und das alles am besten synchron, bitte.

Trainiert wird das ganze Jahr

Damit das klappt, trainiert die Garde des BCV nicht nur zur Karnevalszeit, sondern das ganz Jahr über: Die Zwölf- bis 15-Jährigen treffen sich jede Woche für eineinhalb Stunden im Gemeindehaus Gropiusstadt in Neukölln. „Das Training kann schon ganz schön anstrengend werden“, sagt Nico Achenbach. Er findet es aber gut, dass man sich dabei auch völlig auspowern muss. „Ich weiß, wo meine sportlichen Grenzen sind, und will darüber hinaus.“

Dass Gardetanz Hochleistungssport ist, sagt auch der Vize-Präsident des BCV, Frank Dombrowski. „Das wird ja von vielen unterschätzt. Man braucht eine Menge Kraft und Kondition.“ Dombrowski, mittlerweile 56, bewundert die Ausdauer der jungen Truppe. „Als Ungeübter bräuchte ich nach einer Minute ein Sauerstoffzelt“, sagt er lachend.

Ihm ist es besonders wichtig, dass mit den drei Garden, die für den BCV tanzen, die Jugendarbeit im Verein gefördert wird. Denn ein Jeckenleben im Verein bringt auch was fürs soziale Verhalten. Selbst für Kinder sei es von Vorteil. „Sie lernen, sich zurückzunehmen, aber auch, sich durchzusetzen.“

Die fünfte Jahreszeit als Hobby

Für den 13-jährigen Gardetänzer Nico Achenbach ist neben den Auftritten noch etwas anderes wichtig: das Gemeinschaftsgefühl. Als andere Jungs die Garde verließen, blieb er erst recht. „Ich hab’ hier so viele Menschen kennengelernt und liebgewonnen, da kann ich mir momentan nicht vorstellen aufzuhören.“ Tatsächlich widmet Nico Achenbach einen großen Teil seiner Freizeit dem Karneval. Die fünfte Jahreszeit ist ein echtes Hobby, sein einziges. Denn neben dem Tanzen stehen für den Gardisten während der Session viele andere Aktivitäten auf dem Plan. Als Standartenträger des Berliner-Kinder-Dreigestirns – Prinzessin, Bauer und Jungfrau – ist er auch Repräsentant des Berliner Kinderkarnevals. Begleitet werden sie von Hofdame und Hofmarschall. Gemeinsam treten sie bei Umzügen auf, gehören zu jedem Rathaussturm und zu Karnevalssitzungen.

Als Nico Achenbach und seine Garde ihren Tanz im Ricam Hospiz mit einer Schlusspose beenden, haben sie das Publikum richtig in Stimmung gebracht – die Leute applaudieren und rufen. Nico Achenbach und den Gardemädchen sieht man an: Sie sind außer Atmen, aber glücklich. Jetzt kurz verschnaufen und dann im Gleichschritt – Narrhallamarsch – aus dem Raum.

Ronja Straub

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