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Karneval in Berlin: Die Jecken sind los.

© dpa

Karneval in Berlin: Kamelle nur nach links

Karneval bedeutet Ausnahmezustand? Im Umzug achteten die Jecken darauf, das neue Grün am Tauentzien nicht mit Bonbons zu zerstören. Was beim bunten Treiben in der City West geschah.

Auf der Hardenbergstraße wird es eng um Elfuhrelf. 71 Startnummern drängeln sich, warten auf den Startschuss, der in diesem Moment kommen sollte. Dass es erst um 11.30 Uhr soweit ist, wundert niemanden. „Pünktlich waren wir noch nie“, sagt ein Wagenengel. So werden die ehrenamtlichen Helfer genannt, die aufpassen, dass keiner unter die Räder kommt. Das zumindest klappte. Auch der 13. Berliner Karnevalszug verlief gestern ohne nennenswerte Zwischenfälle. Sogar die neuen Pflanzen auf dem Mittelstreifen der Tauentzienstraße haben die Feierei überstanden. Der Präsident des Festkomittes Berliner Karneval kümmerte sich höchstpersönlich darum, dass die Kamelle nur nach links geworfen wurden. Karneval bedeutet Ausnahmezustand – in Berlin allerdings in Maßen.

In diesem Jahr ging es im „Zoch“ tatsächlich politisch zu. Das Motto lautete: „BERlin – wir starten durch!“, Seitenhieb auf die unendliche Hauptstadtflughafen-Geschichte. Viele Gruppen griffen das Aufreger-Thema auf. Die Berliner Ehrengarde ließ Dichkunst walten, auf ihrem Wagen prangte in großen Lettern „Pleiten, Pech, Pannen, Wowi kann jetzt entspannen!“ Andere forderten – eine ganz neue Idee – die Wiedereröffnung von Tempelhof.

Die 200 000 Jecken am Straßenrand hatten offenbar andere Sorgen: Wenn Süßigkeiten durch die Luft fliegen, wird auch der Narr zum Jäger. Viele leere Karnevalisten-Tüten wollen gefüllt werden. Das Vorhaben scheint zu Beginn des Zuges nur zäh voranzukommen. Die Zuggruppen schmeißen in diesem Jahr wenig. Fleißige Sammler kriegen dennoch die Tüten voll – man muss wissen, wie es geht. Die neunjährige Evelyn kommt, seit sie denken kann zum Zug. Sie ist verkleidet, was in Berlin keine Selbstverständlichkeit ist. Die Zuschauer drängen sich zwar am Straßenrand, doch die wenigsten sind kostümiert. Nicht schlimm, getanzt wird trotzdem. Platz ist da, keiner tritt dem anderen auf die Füße. „Ich liebe den Berliner Karneval, hier kann man sich wenigstens bewegen. Nicht so wie in Köln!“ freut sich Evelyns Mutter Viola.

Überhaupt lassen sich die Berliner nicht vom großen Bruder aus dem Rheinland beeindrucken. Weder Alaaf noch Helau ist zu hören, „wir haben unseren eigenen preußischen Schlachtruf“, sagt Kerstin Büchel. Auf ein freudiges „Berlin!“ antworten die Narren mit „Hei-Jo!“, was von Heiterkeit und Jokus, also Spaß, stammt. Jeder kennt den Schlachtruf, jeder ruft ihn. Nur nicht allzu laut, sonst ist das bisschen Musik nicht mehr zu hören. Die Wagen wurden zu Beginn des Zuges auf 75 Dezibel eingepegelt, das ist in der Karnevalsdiaspora die erlaubte Obergrenze. Trotzdem, schätzt die Polizei, seien 200 000 Karnevalisten gekommen, um den 21 Wagen und 50 Fußgruppen zuzujubeln. Selbst die Cafébesitzer auf der Route rund um Joachimsthaler Straße, Kurfürstendamm und Tauentzienstraße sahen sich das bunte Treiben an.

Michael Frorgber, 68, Zuschauer aus Kreuzberg, spricht von der „Renaissance des Karnevals“, auch die passierte „damals, nach der Wiedervereinigung“. Da tauschten sich Ost- und Westberliner Vereine aus und schlossen sich auch zusammen. „Da traf volkstümlicher Karneval aus dem Osten auf den Sitzungskarneval des Westens“, sagt auch Jörg Kupsch, Präsident des Carneval Clubs Berlin. Durchgesetzt hat sich dann mehr die östliche Tradition.

Deshalb sind auch so viele Vereine aus Brandenburg gekommen. Sie bilden fast die Hälfte der Truppen. Gut also, dass die Berliner den Zug eine Woche vorverlegt haben. „So können die Menschen an den Umzügen in Cottbus und in Berlin teilnehmen“, erklärt die Leiterin des Zuges, Christiane Scholz.

Volkstümlichkeit stand auch am Abend zuvor im Freizeit Forum Marzahn im Vordergrund. Der Carneval Club Berlin leitete da die jecke Festwoche ein und setzte ganz auf Tanz und Stimmung. „Wir haben es nicht so mit langen Büttenreden und steifen Sitzungen. Der Berliner will sich bewegen“, sagt Kupsch. Genau das möchte er auch – und außerdem ins Kostüm schlüpfen. Beim Karnevalsschwof reichen keine bunten Vereinsorden, hier verkleidet der Haupstädter sich ordentlich. Selbst genäht, selbst gebastelt, selbst zusammengesucht – jede Tierart ist mindestens einmal vertreten.

Der Wettergott hat so viel Engagement offenbar gewürdigt: Statt Regen oder Eis schickte er sogar ein bisschen Sonnenschein. Es blieb trocken, die Temperaturen kletterten über den Gefrierpunkt.

Nach einer guten Stunde rollt der letzte Wagen mit dem Berliner Prinzenpaar Frank I. und Claudia I. schon an den ersten Jecken vorbei. Ein letzter Höhepunkt, die beiden werfen ordentlich.

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