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Karneval mit Occupy: „Blök, blök, wir sind blöd“

Während die Narren das Rathaus, naja, stürmen, zieht der „Karneval der Empörten“ durch die City – allerdings so zivilisiert, dass selbst an der Ampel niemand bei Rot geht

Der Sicherheitsmann schließt seine Daimler-Benz-Gallery Unter den Linden sicherheitshalber ab, als die Demonstranten sich nähern, man weiß ja nie. Aber die sind so friedlich an diesem Vormittag, dass sie an eine feindliche Übernahme dieser Dependance des Großkapitals nicht einmal zu denken wagen. Außerdem entfallen auf jeden Teilnehmer schätzungsweise anderthalb Polizisten, und insgesamt wird man deshalb sagen dürfen, dass die Karnevalseröffnung der Berliner Occupy-Bewegung kein Ereignis ist, das sich später in irgendeinem Geschichtsbuch niederschlagen wird. Die Teilnehmer hätten vermutlich in einen Doppeldecker-Bus gepasst und darin nur unwesentlich weniger Aufsehen erregt.

Immerhin: Es wurde ein gewisser humoristischer Aufwand getrieben, um den Bänkern und ihren Helfershelfern einzuheizen. Zu sehen waren: ein Hai in Plüsch, eine Angela Merkel, eine Hexe, ein Ronaldo, außerdem ein paar stilisierte Lämmer, die das Motto der Veranstaltung zu schultern hatten: „Noch sind wir die Narren“ hieß es, und zur Verdeutlichung wurde herzergreifend geblökt, unter Schildern wie „määh, määh“ oder „blök, blök, wir sind blöd“. Die Lämmer, hieß es erläuternd, seien dabei, ihr Schweigen zu beenden.

Der szeneübliche Jongleur nahm seine Arbeit auf, allerdings erst etwa eine Viertelstunde nach dem exakt auf 11 Uhr 11 gesetzten Beginn, es gab ferner zwei Gitarristen, einen Trommler („mag jemand trommeln?“) und niemanden, der das frische Occupy-Liedgut schon so gut beherrschte, dass es zum Mitsingen gereicht hätte; eine Gruppe von Kölner Touristen sprang mit fröhlichem Karnevalsgesang vorübergehend in die Lücke.

Der Zug bewegte sich von der Humboldt-Universität auf dem Gehweg Unter den Linden in Richtung Brandenburger Tor, unentwegt begleitet von zahlreichen Fotografen und den Polizisten, die zunächst irritiert nach einem Versammlungsleiter suchten, sich dann in die ungeregelte Lage fügten und fortan nur noch gegen die schneidende Kälte zu kämpfen hatten – eine Demonstration, deren Teilnehmer sogar auf grünes Ampellicht warten, dürften sie noch nicht erlebt haben. Auf dem Pariser Platz fügte sich die bunte Truppe dann unauffällig ein zwischen die Rotarmisten, Teddybären und anderen Verkleidungskünstler, die dort auf fotografierende Touristen hoffen.

Kein überragender Start für den 11.11. also, und auch das mutmaßliche Epizentrum karnevalistischer Dreistigkeiten, die „Ständige Vertretung“ am Schiffbauerdamm, sah schon gegen 12 Uhr mittags so normal aus wie immer, ohne Anzeichen närrischer Selbstbehauptung. Kein Vorglühen, keine lustigen Lieder – nur normale Gäste, die aussahen wie Touristen, die zum Walebeobachten angereist sind, aber nur Heringe zu sehen kriegen.

Also hatte, einer uralten West-Berliner Tradition folgend, das Rathaus Schöneberg die Machtübernahme der Karnevalisten zu erdulden. Dort sitzt zwar niemand mehr mit gesamtstädtischem Einfluss, und Bezirksbürgermeister Ekkehard Band ist ohnehin kein richtiges Ziel mehr, denn er geht sowieso in ein paar Tagen in den Ruhestand, vermutlich, ohne derlei Termine allzu sehr zu vermissen. Etwa 300 Narren sprachen am Freitag bei ihm vor, durchweg etwas liebevoller kostümiert als die Trittbrettfahrer von Occupy.

Das war es für dieses Jahr mit dem organisierten Karneval. Es lohnt sich vermutlich, Anfang Februar mal wieder nach seinem Berliner Schicksal zu schauen.

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