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Die Invasion geht auf ihre Kappe. Dass Angela Merkel alljährlich Vertreter von Karnevalsgesellschaften aus der ganzen Republik ins Kanzleramt lädt, macht Berlin nicht unbedingt weniger närrisch.

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Karneval und Berlin: Hör ma uff mit #Bläckföössing!

In den letzten Jahren fand der Berliner Karnevalsumzug am Sonntag vor Weiberfastnacht statt. In diesem Jahr entfällt er. Das ist ein Anfang. Aber nicht mehr. Denn eigentlich braucht die Stadt den Import rheinischer Lebensart überhaupt nicht.

Karnevalsumzüge lösen ein unbehagliches Gefühl in mir aus. Das ist ein ganz normaler Reflex. Als ich noch ein Kind war, hat mich meine Mutter vor Fremden gewarnt. Vor Fremden mit Bonbons. Vor Fremden mit Bonbons und Autos. Ein Karnevalsumzug aber, das sind ziemlich viele Fremde, mit ziemlich vielen Bonbons in ziemlich großen Autos.

Karneval, das war für uns West-Berliner Kinder immer etwas Abstraktes. Karneval, das war meine Mathematiklehrerin, die in jedem Jahr irgendwann zwischen den Winter- und den Osterferien verschwand und dann, nach einer Woche, mit rotem Kopf und einem Sack voll mit Süßigkeiten zurückkam. Sie nannte sie Kamelle. Und allein das klang so wunderbar exotisch, dass wir uns sicher waren: Unsere Mathelehrerin hatte in einem anderen Land eine ganz ausgefallene Party gefeiert. Bei den Narren. So sagte sie das.

Dieser Karneval war einfach unvorstellbar weit weg. Die Beziehung des West-Berliners dazu entspricht dann auch jener des Hertha-Fans zu Meisterfeiern. Man hat schon mal davon gehört und weiß, dass andere das können und eine Menge Spaß dabei haben, aber man selbst empfindet nichts, hat keine Meinung, ist schlichtweg unbeteiligt.

Berlin und Karneval, das passt nicht. Die Narren aber, irgendwann eingewandert aus dem Westen des Landes, unterstützt von ein paar aus der Art geschlagenen Berlinern, haben in den zwölf Jahren seit 2001, dem Jahr des ersten Berliner Karnevalsumzugs nach der Wiedervereinigung, versucht, das Gegenteil zu beweisen. Und sind gescheitert. Zwölf Jahre durften sie durch die Stadt schunkeln. Hei-Jo! Damit ist jetzt Schluss. Juchhee! Es war ja ein schleichender Abschied. Erst das Konfetti-Verbot, die Immissionsauflagen. Im vergangenen Jahr dann der Flüsterkarneval bei nur noch 75 erlaubten Dezibel. Ein Geisterzug der traurigen Clowns. In diesem Jahr wird es auch ihn nicht mehr geben.

Wohlbeleibte Narren mit halbgaren Pointen gibt's auch im AGH

Die Invasion geht auf ihre Kappe. Dass Angela Merkel alljährlich Vertreter von Karnevalsgesellschaften aus der ganzen Republik ins Kanzleramt lädt, macht Berlin nicht unbedingt weniger närrisch.
Die Invasion geht auf ihre Kappe. Dass Angela Merkel alljährlich Vertreter von Karnevalsgesellschaften aus der ganzen Republik ins Kanzleramt lädt, macht Berlin nicht unbedingt weniger närrisch.

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Das Ende der öffentlichen Narreteien zeigt, dass sich Traditionen nicht beliebig und ortsunabhängig kultivieren lassen. Sie sind kein Franchiseprodukt. Es gibt einfach Dinge, die der Berliner nicht kann. Internationaler Fußball, internationale Drehkreuze und international verständliches Verkleiden. Der Berliner kann Schrippen, berlinern, Techno – und Pfannkuchen. Sollten Sie in Berlin einem Indianer begegnen, der sich mit Ihnen einen Berliner teilen will, rennen Sie. Ihr neuer Freund ist mit großer Wahrscheinlichkeit Kannibale. Und schunkeln will der Berliner schon gar nicht.

Deshalb ist es gut, dass die rheinische Anbiederung nun vorbei ist, dass endlich Schluss ist mit dem Bläckföössing in Berlin. Weil Schunkelevergreens und Büttenreden für hiesige Seelen auch bei 75 Dezibel noch akustische Tröpfchenfolter sind. Töne, die auf die Stirn tropfen, bis der Kopf platzt.

Diese Stadt braucht keinen Karneval, hier ist, zumindest im Winter, immer fast Nacht. Und wenn ich sehen möchte, wie sich wohlbeleibte Narren in einem überheizten Saal mit halbgaren Pointen bewerfen, setze ich mich ins Abgeordnetenhaus. Meinen Bedarf an Jecken in bunten Kostümen, das Dauerlächeln in den überschminkten Gesichtern, deckt die Glööckler-Vernissage auf der Fashion Week.

Der echte Berliner, echtes preußisches Blut in den Adern, hat eben keinen Sinn für solchen Firlefanz aus der Rheinprovinz. Diese Abneigung ist historisch gewachsen, sie ist sein Erbe. Schon der preußische König Friedrich Wilhelm III. untersagte seinen Untertanen das kollektive Verkleiden. Er fürchtete, hinter den Masken, unter den Kostümen könne die Verschwörung gedeihen, der bewaffnete Meuchelmörder lauern.

Der gemeine Karnevalist kleidet sich in Niedertracht. Das lässt sich halt nicht leugnen, und wenn er sich hinter noch so viel Süßem versteckt. Knapp 600 Tonnen Kamelle haben die Berliner Jecken in den vergangenen zwölf Jahren auf die Stadt regnen lassen. Und dabei gelacht und gewinkt, als wäre das alles nur ein harmloser Spaß – und nicht der Versuch einer vollkommen überflüssigen Kulturrevolution.

Jemandem, der so viele Süßigkeiten verschenkt, da hatte meine Mutter recht, ist tatsächlich nicht zu trauen.

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