Berlin: Kassandra umgedreht
Welt in Angst? Michael Crichton referierte in Mitte
Die Ankündigung ist beendet, der prominente Autor betritt das Podium. Wird er scherzen, Anekdoten aus seinem Leben erzählen, von gefährlichen Recherchen berichten? Die meisten machen das so, Michael Crichton nicht. Er hat eine Botschaft, so gewichtig wie sein neues Buch „Welt in Angst“, und deshalb klappt er, kaum hat er seine schätzungsweise knapp zwei Meter Körpergröße auf dem Podium des Bertelsmann-Hauses in Stellung gebracht, erst einmal ein Notebook auf. Dann beginnt ein ausgefeilter, ernster, nur ganz selten ironisch eingefärbter Vortrag über die globale Erwärmung und ihre Ursachen. Mit Schaubildern.
Was ist hier passiert? Crichton, der in nahezu alle Weltsprachen übersetzte Autor wissenschaftlich fundierter Thriller, hat sich von der Kassandra, vom Lautsprecher der Öko-Schwarzseher, zum Apologeten der Klimapolitik George Bushs gewandelt – so sehen es zumindest seine Gegner. Die mörderischen Öko-Terroristen, die in seinem Buch die Welt bedrohen, agieren in der Tat arg holzschnitthaft, und die Guten kommen vor lauter Thesendreschen kaum in die Gänge. Doch auf Einzelpersonen, meint Crichton, kommt es nicht mehr an. Und: „Hüten sie sich vor Leuten mit einem geschlossenen Weltbild.“
Dann fällt er in aller Ruhe mit kaum modulierter Stimme über die Elite der Klimaforscher her. „Ich versuche, Ihnen zu verdeutlichen, dass die Zukunft nicht vorhergesagt werden kann, auch wenn viele das glauben“, sagt er und läuft sich mit ein paar einschlägigen Prognosen warm. Haben nicht sämtliche Koryphäen des Fachs in den frühen 70-er Jahren die nächste Eiszeit als unausweichlich angesehen? Wo ist die fest versprochene Bevölkerungsexplosion geblieben? Er jongliert mit Kurven der Nasa, hat Daten dabei aus der Antarktis und aus Spandau.
Die Klima-Warner machen es ihm gegenwärtig nicht allzu schwer. Die „Hockeyschläger-Kurve“ mit ihrem rasanten Temperaturanstieg, viele Jahre Ikone und Menetekel der Öko-Szene, ist längst als wissenschaftlicher Sondermüll entlarvt, allzu viele scheinbare Sicherheiten haben sich als Spekulation herausgestellt, und so läuft die aktuelle Diskussion meist auf die Position hinaus, man wisse zwar nichts, müsse aber handeln, bevor es zu spät sei.
„Müssen wir das?“, fragt Crichton – und antwortet mit einem uneingeschränkten Nein. Die Umsetzung des Kyoto-Protokolls wird Billionen von Dollar kosten, Geld, das in seiner Sicht sinnlos verprasst wäre: „I find it near to unconscionable“, sagt er, fast gewissenlos. Denn ähnlicher Aufwand für die Wasserversorgung der ärmsten Länder, für entschlossenen Kampf gegen Aids und Malaria, könnte Millionen von Leben retten – das ist der Kern seiner Botschaft.
Folgen müsste eine Diskussion, doch die kommt praktisch nicht zustande. Nein, sagt Crichton auf eine Frage, ein Buch über den 11.September und die Folgen werde er nicht schreiben, denn er sei an diesem Tag selbst nach New York geflogen und „viel zu nahe dran“. Die Zuhörer bedanken sich für eine unerwartete Vorlesung mit freundlichem Beifall, dann ist das Büfett eröffnet. Von Crichtons neuem Buch war nicht mehr die Rede. s
Bernd Matthie