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Katastrophengebiet: Berliner Freiwillige helfen in Japan

Sie verteilten Lebensmittel an Bedürftige, bauten Dekontaminationsstationen auf und reinigten von giftigem Schlamm verdreckte Häuser. Berliner Freiwillige reisten zweimal nach Japan. Den Einsatz hat das Team selbst bezahlt.

„Als ich die ersten Bilder im Fernsehen sah, war mir sofort klar: Wir müssen dahin“, sagt Andreas Teichert. Eine unvorstellbare Flutwelle, ein havariertes Atomkraftwerk und zehntausende Tote. Nach dem verheerenden Erdbeben in Japan schaute die ganze Welt auf den Inselstaat. Was bei einer Katastrophe zu tun ist, das weiß der frühere Berliner Feuerwehrmann Teichert. Mit seiner ehrenamtlichen Hilfsorganisation Disaster Response Team Germany (DTRG) war er schon in anderen Ländern im Einsatz.

Über das Internet nahm Teichert Kontakt mit japanischen Feuerwehren auf und machte sich dann mit drei Kollegen auf den Weg. „Am Flughafen kamen wir nur mit einem Blatt Papier mit Infos an“, erzählt Teichert. Vorher hatten die Männer genau ausgerechnet, wie hoch die Jahresdosis an Strahlung für sie sein darf. Sollte der Wert erreicht werden, war klar: jetzt ist Schluss. Ernsthafte Sicherheitsbedenken habe jedoch keiner der Männer gehabt. „Schließlich wurden wir für solche Situationen ausgebildet.“

Sie verteilten Lebensmittel an Bedürftige, bauten Dekontaminationsstationen auf und reinigten von giftigem Schlamm verdreckte Häuser. Immer wieder stießen sie dabei auf Leichen. „Das ist natürlich schwer zu verarbeiten, aber es gehört dazu“, sagt Teichert. Schwierig war nicht nur die kraftraubende Arbeit bei 89 Prozent Luftfeuchtigkeit, sondern auch der Umgang mit kulturellen Unterschieden. „Wenn wir einen Leichnam unter einem Haus fanden, durfte man auf keinen Fall den Eigentümer informieren, sonst wäre er sofort ausgezogen.“ Die Totenzeremonie gilt in Japan als eine Art heiliger Akt.

Höflichkeit und Sauberkeit waren auch im Katastrophengebiet das höchste Gebot. „Sicherheit war ein ganz wichtiges Thema.“ Manches wirkte aber auf die erfahrenen Helfer überzogen. „Beispielsweise durften wir trotz der Hitze zum Schutz nur langärmlige Hemden anziehen.“ Als Teicherts Leute dennoch kurzärmelige Hemden trugen, wurden sie auf japanisch-diplomatische Art zurechtgewiesen. „Die ganze Gruppe ist traurig, dass ihr diese Hemden tragt“, sagte ein von den übrigen Mitgliedern vorgeschickter Mann. Erst nach langem Hin und Her bekam Teichert die Genehmigung für die kurzen Ärmel.

Für die Opfer der Katastrophe sei es sehr schwer, mit dem Erlebten umzugehen. „Die Japaner sind sehr verschlossen“, erklärt Teichert, „es muss unglaublich viel passieren, bis jemand offen Gefühle zeigt.“ Mehrfach habe sein Team Menschen angetroffen, die völlig traumatisiert waren. „Eine Frau hat einfach nicht aufgehört, eine kleine Puppe zu säubern.“ Als Teichert ihr einen Kuchen mitbrachte, lehnte sie ab – aus Höflichkeit.

Schon zwei Mal war das DTRG inzwischen in Japan im Einsatz. Erst vor zwei Wochen kamen sie zurück. Menschen in Not zu helfen, sieht Teichert als Selbstverständlichkeit. „Das ist eine Art Helfersyndrom von mir, nicht zu verwechseln mit Leichtsinn oder Heldentum“, sagt der 43-Jährige. Zehn Jahre lang war er Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr. Heute lebt er von seiner eigenen Firma, die Unternehmen beim Katastrophenschutz berät. Sein Hobby als ehrenamtlicher Helfer führte er nebenbei weiter. „Das ist für mich auch ein Ausdruck von christlicher Nächstenliebe“, betont Teichert. Von der Reise nach Japan rieten ihm viele Freunde ab. „Meine Eltern machten sich Sorgen, als würde ich nach Afghanistan fliegen.“ Stoppen konnte ihn das nicht. Selbst im Lagezentrum in der Sperrzone um das explodierte Atomkraftwerk Fukushima war Teichert mit seinen Leuten – wenn auch nur für wenige Stunden. Verstrahlt wurde er nicht, wie ihm Ärzte nach seiner Rückkehr bestätigten.

Beeindruckt habe ihn vor allem das tiefe Mitgefühl der Japaner für die Betroffenen und die bewegende Hilfsbereitschaft untereinander. „Viele in Tokio fühlen sich schuldig, einfach nur, weil sie selbst nicht direkt von dem Leid betroffen sind, aber ihre Landsleute.“

Auch die eiserne Disziplin der Helfer habe er nirgendwo sonst so erlebt. Jeden Morgen stellten sich alle Teamkollegen auf und massierten sich gegenseitig den Rücken, um sich auf den harten Tag vorzubereiten. „Ganz normale Firmen schickten hunderte Mitarbeiter zur Unterstützung.“ In einer japanischen Feiertagswoche kamen 130 000 Freiwillige aus dem ganzen Land angereist. Trotzdem sei es noch ein sehr weiter Weg, bis die zerstörten Regionen wieder bewohnbar würden. „225 000 Quadratkilometer Fläche – da weiß man einfach nicht, wo man anfangen soll.“

Für Teicherts Truppe war es nicht der erste Einsatz dieser Art. 2001 gründete sich das Team aus aktiven und ehemaligen Feuerwehrleuten. Ausrüstungen bekommt die Organisation meist von Firmen und Feuerwehren gestellt. Nur 1600 Euro Unterstützung kamen für den Japaneinsatz zusammen, den Rest zahlten die Mitglieder selbst. Für den nächsten Japaneinsatz der Hilfsorganisation versucht Teicherts Team gerade Sponsoren zu gewinnen. Dann geht es wieder los. Angst um seine Gesundheit hat er nicht. „Die Feuerwehr kommt ja auch, wenn es brenzlig wird.“ Seine Freundin habe sich damit abgefunden, dass sie ihn von seinen Einsätzen nicht abhalten kann. Nur manchmal ermahne sie ihn: „Andreas, denk daran, man kann nicht immer die ganze Welt retten.“

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