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Turgut Altuğ auf einem Foto der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus.

© Barbara Dietl / Grüne Fraktion Berlin

Update

„Kaum Platz für Widerspruch oder Rückgrat“: Berliner Abgeordneter Altuğ verlässt Grüne – und geht zur SPD

Der 60-Jährige kritisiert die Grünen scharf, inhaltlich und kulturell. Ende November will Altuğ Fraktion und Partei verlassen und zur SPD-Fraktion wechseln.

Stand:

Der Grünen-Abgeordnete Turgut Altuğ wird zum 30. November aus Fraktion und Partei austreten. Das kündigt Altuğ in einer E-Mail an mehrere Grünen-Mitglieder und Akteure aus der Zivilgesellschaft an.

Altuğ begründet den Schritt unter anderem damit, dass die Fraktion die ökologischen Kernthemen der Grünen vernachlässige. Zudem agiere die aktuelle Fraktionsführung um Bettina Jarasch und Werner Graf mit „autoritärer Hand“.

Der 60-jährige Altuğ wuchs in der Türkei auf. 1992 kam er nach Deutschland, 2006 trat er den Grünen bei. Er sitzt seit 2011 im Abgeordnetenhaus und hat seinen Wahlkreis in Friedrichshain-Kreuzberg dabei jeweils direkt gewonnen. Aus der Partei heißt es, Altuğ habe bereits vor einiger Zeit angekündigt, dass dies seine letzte Legislatur sei.

„Der Raum für offene Debatten hat sich insbesondere nach den letzten beiden Wechseln an der Fraktionsspitze immer weiter verengt, hin zu einem Einheitsbrei an Meinungen, mit kaum Platz für Widerspruch oder Rückgrat“, schreibt Altuğ in der Mail.

Die „Grenze zwischen legitimer Fraktionsdisziplin und illegitimen Fraktionszwang“ verschwimme, Minderheitsmeinungen würden unterdrückt. In der Fraktion fehle zum Teil das Rückgrat, die Partei sei „mancherorts leider von Karrieristinnen und Karrieristen geprägt“.

Eine große Mehrheit der Partei lebt in ihrer eigenen ‚Bubble‘ und entfernt sich immer weiter von der Lebensrealität vieler Berlinerinnen und Berliner.

Turgut Altuğ

Altuğ ist aktuell noch Sprecher für Naturschutz, Umwelt- und Naturbildung sowie Ernährung und Landwirtschaft seiner Fraktion. Er beklagt, dass er zunehmend in Themen aus seinem Arbeitsbereich nicht eingebunden worden sei.

„Dass mir die Fraktionsspitze mein Herzensthema ‚Bäume‘ aus der Hand gerissen hat, weil es durch den sog. Volksentscheid Baum öffentlich an Bedeutung gewonnen hat, empfinde ich als Fachabgeordneter als mehr als respektlos“, schreibt Altuğ. Die Fraktionsspitze wolle sich damit profilieren. Zu seinen Fachthemen seien mehrfach Pressemitteilungen ohne Rücksprache mit ihm veröffentlicht worden.

„Die sogenannte Identitätspolitik dominiert die Arbeit“

Der Grünen-Politiker kritisiert zudem eine zu große Nähe seiner Fraktion zur Linkspartei. Er vermisse „eine klare inhaltliche Abgrenzung der Grünen gegenüber dieser Partei, die zudem Antisemitismus in den eigenen Reihen“ kaum bekämpfe. „Nicht zuletzt dominiert auch die sogenannte Identitätspolitik zunehmend die Arbeit in der Grünen Fraktion und Partei“, schreibt Altuğ.

„Gleichzeitig lebt eine große Mehrheit der Partei in ihrer eigenen ‚Bubble‘ und entfernt sich immer weiter von der Lebensrealität vieler Berlinerinnen und Berliner.“ Dass die Grünen als feministische Partei mit Werner Graf einen Mann als Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl 2026 aufstellen, „ist für mich nicht tragbar“.

Ein Dankeschön mal anders herum: Der Kreuzberger Grünen-Kandidat Turgut Altug bedankt sich nach der Wahl auf originelle Art bei seinen Wählern.

© axg

Die von Altuğ attackierte Fraktionsspitze reagierte knapp auf seinen Austritt. Sie bedauerten den Austritt sehr und seien ihm dankbar „für seinen jahrzehntelangen Einsatz für die Berliner Bäume, den Verbraucherschutz und unser Stadtgrün“, erklärten die Fraktionschefs Bettina Jarasch und Werner Graf mit.

Der Kreisverband der Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg erklärte, sie seien überraschend über den Austritt informiert worden. „Wir nehmen das als Kreisverband mit großem Bedauern zur Kenntnis“, erklärte der Kreisverband. „Wir sind Dr. Turgut Altuğ dankbar für seinen langjährigen Kampf für Bäume und die Natur in Berlin und wünschen ihm politisch und privat alles Gute.“

Altuğ wechselt in die SPD-Fraktion

Altuğ wird sich der SPD-Fraktion anschließen, das teilte er am späten Nachmittag dem Tagesspiegel mit. „Ich freue mich darauf, in der SPD-Fraktion eine neue politische Heimat zu finden, in der ich mich weiterhin für die Themen einsetzen werde, die mir besonders am Herzen liegen: Bienenschutz, Kleingärten, ein gesundes Stadtgrün, die Umweltbildung und eine Ernährungsstrategie für unser Berlin“, sagte er.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Raed Saleh freute sich über die Entscheidung von Altuğ. „Seine Arbeit ist von großem Wert. Seit langer Zeit verbindet uns der gemeinsame Einsatz für Bienen in unserer Stadt. Bei inhaltlichen Fragen habe ich ihn immer als fairen und an der Sache orientierten Verhandlungspartner erlebt. Seinen Eintritt in die SPD-Fraktion werden wir zu gegebener Zeit beschließen.“

Zuvor hatte es auch Avancen aus der CDU gegeben. „Wir bedauern sehr, dass die Grünen die Arbeit des Kollegen Altuğ im Kiez nicht wertschätzen“, sagte Timur Husein, Kreischef der CDU in Friedrichshain-Kreuzberg, dem Tagesspiegel-Checkpoint. „Wir laden Kollege Altuğ herzlich ein, sich in Kreuzberg bei der CDU zu engagieren. Wir streiten übrigens auch miteinander, weil das wichtig ist.“ Linke Identitätspolitik gebe es nicht in der CDU. „Dafür eine Brandmauer gegen Antisemitismus.“ 

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