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Tempelhofer Freiheit. Internationale Gartenbauausstellung, Wohnen oder Busbahnhof – rund ums Flugfeld gibt es viele Ideen, aber wenig Zusammenhang, kritisiert Senator Müller.

© Simulation: promo

Berlin: Kein Bauchladen für das Tempelhofer Feld

Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) will Denkpause statt zu vieler verschiedener Nutzungen Gegen spekulativen Leerstand in der Stadt soll regionales Zweckentfremdungsverbot helfen.

Das Interesse war so gewaltig, dass kurzfristig in einen größeren Saal gewechselt werden musste. Knapp 800 Besucher wollten in der Urania hören, was der neue Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Michael Müller (SPD), in den kommenden Jahren plant. Müller nahm den Andrang als Beweis für den Anspruch der Berliner, bei der Gestaltung ihrer Stadt mitzureden. Diese sollen künftig noch stärker einbezogen werden. Bürgerbeteiligung dürfe nicht erst beim Volksentscheid, sondern müsse beim Anfang der Planungen beginnen, sagte der bisherige SPD-Fraktionschef bei der gemeinsamen Diskussionsveranstaltung von Architektenkammer und Tagesspiegel.

Landeseigene Grundstücke für Gewerbe und Wohnungsbau sollen künftig nicht mehr nach dem Höchstpreisgebot verkauft werden. Es soll sie auch für weniger Geld geben, wenn dafür mit dem jeweiligen Partner mehr für die Stadt erreicht werden kann, so der Senator im Gespräch mit Ursula Flecken von der Planergemeinschaft Berlin und Gerd Nowakowski, Leitender Redakteur des Tagesspiegel. „Ich finde es spektakulär, dass es dieses Umdenken gibt“, sagte Müller.

Mit den großen innerstädtischen Entwicklungsflächen habe Berlin einen großen Vorteil gegenüber anderen Metropolen. Doch nur in der Europacity in der Nähe des Hauptbahnhofs sieht Müller die schnelle Entwicklung eines Gewerbestandortes, an dem auch der sozialverträgliche Wohnungsbau eine Rolle spielt. Beim Flughafen Tempelhof sprach er sich dagegen für eine Denkpause aus. „Große Sorge“ bereitet dem neuen Senator, dass die Randbebauung des ehemaligen Airports zu einem „Bauchladen“ werden könnte: zu viel Verschiedenes sei geplant, von Wohnbebauung in Neukölln über eine Gesundheitsstadt in Kreuzberg bis zu Veranstaltungshalle, Alliiertenmuseum, Busbahnhof und Gewerbezentrum. An der geplanten Landesbibliothek will Müller jedoch festhalten. Sie könne eine Anschubinvestition sein, so wie einst das Engagement des Landes auch Geburtshelfer für den Technologiepark in Adlershof war.

Beim nach der Schließung des Flughafens Tegel geplanten Industriezentrum für Zukunftstechnologien warnte Müller vor unrealistischen Zeitvorstellungen. Seriös betrachtet müsste man hier wie in Adlershof mit einem Entwicklungszeitraum von 20 Jahren rechnen.

Hinsichtlich der Verlängerung der Stadtautobahn A100 erwartet der Senator im Frühjahr den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts. Politisch sei das Projekt auf den Weg gebracht. „Ende 2012, Anfang 2013 kann es dann losgehen“. Auch die weitere Verlängerung nach Friedrichshain mache Sinn, sei aber „keine Entscheidung für heute und morgen“. Gleichzeitig würdigte Müller das gute Nebeneinander von Autofahrern, Radlern und Fußgängern in der Stadt. Die Fahrradstreifen auf der Fahrbahn hätten die Radfahrer sichtbar zu gleichberechtigten Verkehrsteilnehmern gemacht und sollen weiter ausgebaut werden. Dank eines trotz der S-Bahnprobleme guten Nahverkehrs gehe der Autoanteil permanent zurück. Nach der Weigerung der Deutschen Bahn, die S-Bahn und ihre Züge zu verkaufen, sieht Müller nur noch die Möglichkeit einer Teilausschreibung des Netzes.

Auch bei der Wohnungspolitik kündigte der Senator ein Umdenken an. Waren die städtischen Wohnungsbaugesellschaften bisher aufgrund ihrer Schuldenlage gezwungen, Immobilien zu verkaufen, fordert der Senat jetzt das Gegenteil. „Wir wollen keine weiteren Privatisierungen, sondern kaufen sogar zurück“, so Müller. Er erwarte, dass die landeseigenen Gesellschaften bei der Mietgestaltung anders reagieren als private Eigentümer, betonte der Senator. „Sonst können wir sie auch verkaufen“. Es gelte, individuell auf die soziale Entwicklung in den Quartieren zu reagieren. Dennoch werde man Mietsteigerungen nicht völlig verhindern, sondern nur dämpfen können. Es müsse städtischen Wohnungsunternehmen zudem eine „wirtschaftliche Flexibilität“ erlaubt sein, sagte Müller – etwa unterschiedliche Miethöhen für nachgefragte und weniger attraktive Wohnungen zu nehmen. Da junge und ältere Menschen kleinere Wohnungen als Familien mit Kindern benötigen, fordert Müller auch neue Wege bei der Gestaltung der Mietverträge. Solange bei jedem Umzug ein Neuvertrag notwendig ist, bei dem die Miete steigt, sei es nicht verwunderlich, wenn viele Ehepaare nach dem Auszug der Kinder in großen Wohnungen bleiben.

Den Leerstand von 80 000 Wohnungen bezeichnete der Senator als „Skandal“. Gleichzeitig stellte er angesichts der vorhandenen Hotelkapazitäten die Notwendigkeit der 15 000 Ferienwohnungen infrage. Müller kündigte an, dass der Senat einen neuen Anlauf für ein Zweckentfremdungsverbot nehmen wird. In den 80er Jahren war man damit vor Gericht gescheitert, jetzt soll regional beschränkt in bestimmten Quartieren die anderweitige Nutzung von Wohnraum untersagt werden.

Der Senator machte zudem klar, dass es Kostengrenzen für die Sanierung des Internationalen Congresszentrums gebe. Zwar sei das ICC ein hervorragendes Tagungsgebäude, doch er sehe „keine Chance, angesichts der Berliner Finanzlage 330 Millionen Euro für eine Sanierung auszugeben“. Diese neue Kostenschätzung war vor wenigen Tagen bekannt geworden. Rainer W. During

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