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Berlin: Kein Stein des Denk-Anstoßes

Kulturpolitiker Christoph Stölzl über den leeren Denkmalsockel

Manchmal weht aus simplen Agenturmeldungen ein Hauch von Geheimnis. Die Geschichte bleibt eine unvollendete, so wird der Sprecher des Kultursenators zur Wiederaufstellung des Denkmalssockels zitiert. Unvollendet, das klingt auf jeden Fall gut. Unvollendete Symphonien, unvollendete Gemälde haben eine Aura. Unvollendete Geschichte? Ist es nur die des Denkmals, das die junge DDR erst einem der Gründer des deutschen Kommunismus stiften wollte und dann zu vollenden vergaß – aus verschiedenen Gründen, wie die Gedenktafelkommission des Bezirks Mitte uns sybillinisch mitteilt? Oder etwa die Geschichte des deutschen Kommunismus, die einst mit der SPD-Dissidentenbewegung Karl Liebknechts im Ersten Weltkrieg als hochmoralischer Anti-Kriegs-Protest begonnen hatte und 1989/90, als der letzte moralische Kredit verbraucht war, von den Bürgern der DDR wegdemonstriert, weggewählt und damit vollendet wurde? Karl Marx hatte einst dazu aufgerufen, die Philosophen sollten aufhören, die Welt immer nur anders zu erklären – es komme darauf an, sie zu verändern. Dergleichen beim Liebknecht-Denkmal durch Vollendung desselben zu tun, ist nicht beabsichtigt. Am leeren, als Wrackteil der Kommunismus-Geschichte ans Ufer der Gegenwart geworfenen Sockel erweist sich, dass der Marxsche Zauberspruch seine Wirkung verloren hat. Denn der zum Politiker gewordene Philosoph Thomas Flierl gibt sich damit zufrieden, das gebrochene und widersprüchliche Verhältnis zum Revolutionär Liebknecht zu Protokoll zu geben. Ob daraus ein Stein des Denk-Anstoßes wird, bezweifle ich. Liebknechts Revolution, Liebknechts trauriger Tod durch Mörderhand, das ist versunken in den Sintfluten des letzten Jahrhunderts.

Christoph Stölzl

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