zum Hauptinhalt

Keine Exhumierung von Heinrich Müller: Der Gestapo-Chef bleibt auf Jüdischem Friedhof

16 Sammelgräber sind auf dem Jüdischen Friedhof zu finden, in denen fast zweieinhalb tausend Opfer aus dem Zweiten Weltkrieg liegen. Eine dieser Leichen ist der Gestapo-Chef Heinrich Müller. Das ruft Unbehagen hervor, doch die Jüdische Gemeinde setzt auf den Faktor Zeit.

Zwei kleine Hinweistafeln sind es, die in der Großen Hamburger Straße darauf hinweisen, dass der Jüdische Friedhof viele tragische Geschichten birgt, dass hier auch Massengräber aus dem Krieg liegen: „16 Sammelgräber mit 2425 Toten aus den letzten Kampftagen des Zweiten Weltkrieges.“ Ganz hinten auf dem alten Friedhof, zwischen Efeuranken, hängt eine ältere, steinerne Gedenktafel, sie spricht nur von „zahllosen Opfern des Krieges“. Eines dieser Opfer ist Gestapo-Chef Heinrich Müller. Ein Kriegsverbrecher ruht auf dem Friedhof seiner Opfer.

Was ändert sich nun? Diese Frage beschäftigte Jüdische Gemeinde und Senat seit der Entdeckung vor einer Woche. Die Antwort: Offensichtlich nichts.

Neonazis sind dort nicht gesehen worden

Ein Wachpolizist zieht gemächlich seine Runden, mit der angrenzenden jüdischen Schule steht das Grundstück unter ständigem Schutz der Polizei. Es gibt stabile Zäune, Videokameras, Bewegungsmelder. Neonazis sind dort nicht gesehen worden, Verfassungsschutz und Jüdische Gemeinde sind sich sicher, dass auch keine kommen werden. „Schwer vorstellbar, dass das eine Wallfahrtsstätte wird“, sagt der Sprecher der Jüdischen Gemeinde, Ilan Kiesling. Denn die Lage der Massengräber sei auf der Hinweistafel nur grob eingezeichnet. Auch der Verfassungsschutz hat bislang keine Hinweise, dass die Entdeckung in der rechten Szene in irgendeiner Weise thematisiert wird, man werde das aber „genau beobachten“.

Genau diese Erkenntnisse trug am Donnerstag Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) im Abgeordnetenhaus vor. Es gebe „keine realistische Möglichkeit, das Problem zu lösen“, sagte Müller. Die Überreste einzelner Personen wären durch Grabungen nicht mehr zu identifizieren.

Müllers Grab ruft "starkes Unbehagen" hervor

Wie berichtet, hat der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Johannes Tuchel, herausgefunden, dass Müller 1945 in diesem Massengrab auf dem Jüdischen Friedhof in Mitte beigesetzt worden ist. Die Beerdigung des Top-Nazis war 1945 ein normaler Vorgang. Der Friedhof war 1943 von den Nazis zerstört worden, nach dem Kriegsende wurden dort gesammelt alle Kriegsopfer beerdigt, die in Mitte auf Trümmergrundstücken gefunden worden waren. So auch Müllers Leiche, die im Garten des Reichsluftfahrtministeriums in einem Bombentrichter verscharrt worden war.

Die Jüdische Gemeinde betont, dass sich „bei der Wiedereinweihung des Jüdischen Friedhofs 2008 alle Beteiligten der Gemeinde und des Landes Berlin durchaus bewusst waren, dass auf dem Areal auch viele Nichtjuden, darunter Nazis, begraben liegen“. Dass nun ausgerechnet einer der bekanntesten NS-Täter dort liege, rufe zwar „starkes Unbehagen“ hervor – aber die Gemeinde setzt, wie zu hören ist, auf den Faktor Zeit. In ein paar Wochen oder Monaten sei der Gestapo-Chef womöglich wieder so vergessen, wie er es in den vergangenen Jahrzehnten war.

Bewusst keine Namenstafeln

Bei der Restaurierung und Wiedereinweihung des Friedhofes 2008 hatten Jüdische Gemeinde und Senat überlegt, ob die Kriegsopfer exhumiert werden können. Die Gemeinde hatte dies abgelehnt, da nach jüdischem Recht ein Friedhof „für die Ewigkeit“ heilig ist. Und unter den Gebeinen der Kriegstoten könnten ja noch Reste der ursprünglich dort beerdigten Toten sein. Genutzt hatte die Jüdische Gemeinde das Grundstück zwischen 1672 und 1827, in dieser Zeit wurden 2767 Juden beerdigt.

Der Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Andreas Nachama, ist jedenfalls „nicht überrascht“, dass nun hier der Gestapo-Chef entdeckt wurde, wie er der „Jüdischen Allgemeinen“ sagte. Heinrich Müller stehe schließlich seit 1945 auf der Beerdigungsliste – gut 2000 Namen sollen bekannt sein, der Rest sind unbekannte Tote. Nachama berichtete, dass bewusst keine Tafel mit allen  Namen angebracht wurde – um zu verhindern, dass an Müller erinnert wird. Der Friedhof war in Andreas Nachamas Amtszeit als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde restauriert worden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false