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Berlin: Keine Gurken mehr vom Ku’damm

Seit 86 Jahren bauen die Kleingärtner am Olivaer Platz Gemüse an. Damit soll 2008 Schluss sein – das Gelände wurde verkauft.

Keine fünf Minuten Fußweg nördlich des geschäftigen Ku’damms, gleich hinter dem Olivaer Platz, liegt Stephan Berendonks Oase. In der Kleingartenkolonie Württemberg hat der 68-Jährige seit 30 Jahren seine Laube – und ist über die Jahre Spezialist im Anbau von Zucchini geworden. Inzwischen ist er Vorsitzender des Vereins, dessen Mitglieder nun um ihre 48 Parzellen fürchten: Das Grundstück ist verkauft – im Herbst 2008 droht die Räumung.

In keiner anderen deutschen Großstadt findet man derart nah zur Innenstadt Kolonien: Während ein paar hundert Meter weiter Taschen von Gucci und Co. zu kaufen sind, werden in den 200 bis 400 Quadratmeter großen Gärten seelenruhig Kürbisse und Gurken geerntet. Gerade mal 35 Cent monatlich muss ein Pächter für den Quadratmeter Grün zahlen – und das in einer der besten Wohnlagen Berlins.

Der Anachronismus ist überraschend. Und zugleich typisch für Berlin. Insgesamt 950 Kleingartenanlagen sind über das Stadtgebiet verteilt, 116 gibt es allein in Charlottenburg-Wilmersdorf. Die besondere Bedeutung der Kleingärten resultiert aus der früheren Insellage des Westteils: Da die Bewohner vom Umland abgeschnitten waren, förderte der Senat Erholungsgebiete mitten in der Stadt.

Bereits 1915 gab es erste Pläne, die Grünfläche zu bebauen. Auch eine Grube war schon ausgehoben worden, was die tiefe Lage der Gärten erklärt: Bei einem kleinen Rundgang durch die Kolonie fühlt man sich fast wie in einem Tal – nur ist man statt von Bergklippen von grauen Häuserfronten umgeben.

Der Erste Weltkrieg verhinderte dann fürs Erste die geplante Bebauung des Grundstücks. Denn im Zuge der ausbrechenden Hungersnot wurden die Gärten dringend für den Anbau von Obst und Gemüse benötigt. Aber kurz nach dem Ende des Weltkriegs wurde die Kolonie dann doch gegründet. Ursprünglich reichte sie von der Pariser bis zur Emser Straße, weshalb sie bis 1996 „Emser Platz“ hieß. Über die Jahrzehnte verkleinerte sich die Kolonie jedoch immer mehr, vor allem Mitte der 90er Jahre wurden viele Parzellen gekündigt.

Bis 2004 galt der Bestandsschutz für die 1,5 Hektar große Restfläche, auf der nun Wohnungen entstehen sollen. Voraussichtlich 2008 ist Baubeginn. Berendonk gibt sich aber noch immer kämpferisch: „So ganz einfach wollen wir uns damit nicht abfinden.“

Es fällt ihm schwer, sich von seiner Laube zu verabschieden: Sie ist nicht nur für ihn zum Lebensmittelpunkt geworden. „Wer Zeit hat, kommt morgens und geht erst abends wieder“, sagt Berendonk. „Im Sommer kommen Verwandte vorbei, dann wird gemütlich geplauscht oder auch gefeiert.“ Die Lauben sind mit Gas oder Strom bestens dafür ausgerüstet. Gemeinsam mit dem Bundes- und dem Landesverband der Kleingärtner kämpft er deshalb um die Erhaltung der Kolonien. Nicht nur die Pächter, auch die Angestellten der umliegenden Büros würden den Garten zu schätzen wissen und in ihrer Mittagspause für einen Spaziergang nutzen. „Wir werden auch unheimlich viel von Touristen besucht“, sagt Berendonk, „die sind begeistert, dass es so was in der Stadt gibt.“ Mehr noch als das sind sie sicher verwundert.Lena Hach

Lena Hach

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