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Berlin: KFZ-Zulassungsstelle: "Das ist doch ein Chaotenladen"

Ja, sind hier denn alle Leute in eine tiefe Depression verfallen? Die Gesichter verschlossen, als hätte der Bundeskanzler heute morgen unter dem Eindruck der mageren Konjunkturdaten die Osterfeiertage abgeschafft.

Ja, sind hier denn alle Leute in eine tiefe Depression verfallen? Die Gesichter verschlossen, als hätte der Bundeskanzler heute morgen unter dem Eindruck der mageren Konjunkturdaten die Osterfeiertage abgeschafft. Die Augen zu keinem Gruß bereit, die Rücken an die Wand gepresst oder gebeugt, als gäbe es auf dem schmutziggrünen Linoleum interessante Dinge zu betrachten. Die Füße zappelig - und ab und zu schimpft jemand los: Warten in der Kfz-Zulassungsstelle an der Jüterboger Straße 3 in Kreuzberg. In Fluren und Räumen, die garantiert niemand verlässt, ohne mindestens einen halben Tag darin verbracht zu haben. Eine Tortur. Jeder kennt sie, jeder fürchtet sie, doch geändert hat sich bisher nichts.

Es gibt allerdings einen kleinen Trost. Den hat eine Sachbearbeiterin eingerahmt an ihren Schalter gehängt. "Wer den Tag mit Lachen beginnt, hat ihn gewonnen." Aber das empfindet ihre Kundschaft eher als Provokation. Frank Essler zum Beispiel, dem der Humor seit 7.30 Uhr in der Frühe vergangen ist, obwohl er sich auf die erste Ausfahrt mit seinem neuen Cabrio freut. "Das ist doch ein Chaotenladen", bricht es aus ihm heraus - und sieht sich plötzlich von TV-Journalisten mit Mikros umringt, schließlich waren die Zustände in der Kfz-Zulassung gestern Thema in allen Zeitungen. Wartemärkchen würden illegal am Eingang verscherbelt, hieß es. Die kleinen Gauner verdienten gut, indem sie in aller Frühe päckchenweise Wartemarken am Automaten ziehen und sie unter der Hand anbieten. Zeit ist schließlich Geld. Am Mittwoch allerdings, als die Presse anrückte, hatten sie sich dünne gemacht.

Gestern ging an der Jüterboger Straße also alles mit rechten Dingen zu. Deshalb gab es schon vor dem preußischen Backsteinbau, die gewohnten Bilder: Menschen stürmen durch die großen Tür wie Schwärme verspäterer Schüler. Wer sich auskennt, hat Glück und rennt zielstrebig zu jenem grauen Automaten rechts an der Wand, der auf Knopfdruck die Wartemärkchen ausspuckt. Die braucht man, um sein Gefährt an- oder abzumelden. Doch wer zum ersten Male hier ist, kommt sich wie im Irrgarten vor - "oder im Irrenhaus", tobt ein Mann mit Motorradjacke. "Du findest hier nichts."

Um ihn herum haben es alle eilig. Drängelei auf vier Etagen. Keine Zeit für Tipps. Schilder hat die Behörde zwar jede Menge aufgehängt, aber ohne erkennbares System. "Wartebereiche 3, 4 und 5", "Stillegung für die Endziffern 5, 6, 7". Doch wo, bitte sehr, muss denn nun der Anfänger hin? "Gehen sie zur Infoabteilung im Parterre!", ruft einer, der Mitleid hat. "Die wissen Bescheid. Die sagen, was bei ihrem Antrag fehlt." Doch auch das ist eine Strapaze. Man muss auch dafür eine Nummer ziehen und mindestens eine Stunde warten. Und danach steht man dann ein weiteres Mal Schlange vor dem Automaten mit den noch viel wichtigeren Märkchen für die Ummeldung in den oberen Stockwerken.

Mancher kommt sich raffiniert vor, wenn er gleichzeitig Marken für oben und unten zieht, um sein Auto oder Motorrad offiziell zu machen. Doch viel bringt das nicht. Eine junge Frau starrt frustriert auf die Anzeigentafel. "Ding, dong" - Nummer 156. Sie hält Nummer 240 in der Hand, und ihr Nachbar rechnet ihr vor, wie lange sie sich gedulden muss. "Maximal 20 Nummern bearbeiten die in einer halben Stunde", sagt er und zeigt zu den Schaltern im Warteraum. "Die müssten endlich Tempo machen." Dann vertieft er sich wieder im Schneidersitz in seinen Fantasy-Roman.

Die Angesprochenen sitzen gegenüber hinter Glas und sehen recht eifrig aus. Sie reichen Papiere hin und her, alle paar Minuten sprintet ein Aufgerufener zum Tresen. "Wir schaffen hier im Akkord", sagt eine Sachbearbeiterin. "Sehen Sie das dennnicht?" Das Problem: es gebe zu wenig Personal. Ihre Tipps: "Lassen Sie Ihr Auto von einer Kfz-Firma ummelden oder gehen Sie zu unserer Außenstelle in Hohenschönhausen. Dort ist weniger los."

Außerdem gibt es ja noch die Chance, einen Termin telefonisch zu vereinbaren. Aber das weiß in den Warteräumen kaum jemand. Es steht auch nur auf einem kleinen Zettel, der unten am Hauptportal hängt.

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