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Kiez Oper: Der "Chor der Verrückten" im Stattbad Wedding

Ohne Bühne und Verstand: Am kommenden Freitag feiert die zweite Auflage des experimentellen Berliner Projekts "Kiez Oper" im Stattbad Wedding Premiere. Zuvor wurde es schon im Club "Zur wilden Renate" aufgeführt.

Es ist kühl in der alten Schwimmhalle. Auftritt: der Chor der Verrückten. Schreiend, hysterisch lachend und haareraufend jagen die Irren am Beckenrand entlang und die Treppe in den leeren Pool hinab. Wenige Tage vor der Premiere tragen sie noch keine Kostüme, stattdessen dicke Schals und Mützen. Oben am Beckenrand schlägt ein Pianist den ersten Akkord an. Es klingt blechern-mechanisch. „Ich kann dieses Keyboard nicht mehr hören“, sagt Produzent Alex Eccleston und grinst. Am Freitag, zur Premiere seiner „Kiez Oper“ im Stattbad Wedding, wird die Musik selbstredend besser sein, live gespielt von einem Barock Ensemble unter der Leitung von Jorge Jimenez. Das aber wird erst in letzter Minute eingeflogen.

Die Ellenbogen auf das Geländer am Beckenrand gestützt, beobachtet der Produzent das Treiben auf dem Schwimmbad-Boden. Es ist nicht das erste Mal, dass Eccleston Oper an einem ungewöhnlichen Ort inszeniert. Im Sommer des vergangenen Jahres entdeckten er und seine Hauptdarstellerin und Co-Produzentin Rowan Hellier den Innenhof der Wilden Renate in Alt-Stralau. Hier fanden sie hinter einem haushohen Bretterzaun die perfekte Bühne: Ein Schiff, das in den Bäumen schwebt, Feuertonnen, überall bunte Lichter und ein mit Efeu bewachsener Wandelgang bilden einen Ort, den man oben, unten, überall bespielen kann. Und das taten sie dann auch, nicht einmal zwei Monate später. Etwa 1400 Menschen haben die Inszenierung von Henry Purcells „Dido und Aeneas“ in der Wilden Renate gesehen. Diesmal heißt das Stück „Insanity“, mit Kompilationen verschiedener klassischer Komponisten von Händel über Vivaldi bis zu Johann Sebastian Bach.

„Wir wollen die Opernmusik einem jungen und modernen Publikum nahebringen, das normalerweise nicht in die Oper geht“, sagt Eccleston. Die „Kiez Oper“ setzt deshalb auf günstige Eintrittspreise und ungewöhnliche Aufführungsorte. Einige der Sänger und Tänzer sind, wie Rowan Hellier, an der Berliner Staatsoper tätig und kennen sich von dort. Andere holten die Macher nach einem Casting dazu. Mitte Februar gab ein Teil des Ensembles kleine Überraschungskonzerte in U- und S-Bahnen. Die Aktion wurde gefilmt und dient jetzt per Youtube-Video als Werbeträger für die Aufführung am Freitag und Sonnabend.

In dem ehemaligen Weddinger Schwimmbad mit seinen blau und weiß gefliesten Wänden hat das Produzenten- Duo wieder ein ideales Setting für sein „Irrenhaus“ gefunden. Das Stattbad habe die „Kiez Oper“ mit offenen Armen empfangen, erzählt Eccleston und wundert sich selbst ein bisschen über die Experimentierfreude der Clubbetreiber. Seine Erklärung: „Das muss an Berlin liegen. Diese Stadt ist einfach verrückt genug.“

Eine Bühne gibt es nicht. Es gehört zum Konzept der „Kiez Oper“, den ganzen Raum zu bespielen. Das heißt, es gibt auch keine Distanz, die Fehler verbergen könnte, keinen Sicherheitsabstand zwischen Schauspiel und Zuschauer. „Wenn hier erst mal hunderte Leute drin sind, sieht das alles ganz anders aus“, sagt Eccleston. Der 26-jährige Brite weiß, auf welche Gratwanderung er sich einlässt. Das Publikum mit einem gewagten Konzept überraschen zu wollen ist das eine. Aber ein überraschtes Publikum ist auch ein unberechenbares Publikum. Was, wenn es nicht mitspielen will?

Er hofft, dass seine Mischung aus Opernmusik und audiovisuellen Effekten bei den Zuschauern ankommt. Per Lichtinstallation wird das alte Schwimmbecken wieder unter Wasser gesetzt – eine Metapher für die Depressionen, in denen die Protagonistin zu ertrinken droht. Allzu deprimierend soll der Abend aber nicht enden: Nach der Oper strömen die Tanzwütigen in den Pool und feiern zu den im Stattbad gewohnten Elektro-Beats weiter.

Die zweite Auflage der „Kiez Oper“ bleibt der jungen, hippen Szene also treu. Nur größer, aufwendiger und ehrgeiziger ist sie geworden, ein bisschen teurer auch. Nur eines wollten er und seine Co-Produzentin dieses Mal ganz anders machen, verrät Eccleston: Weniger Stress bei der Vorbereitung haben. Aber das hat nicht geklappt.

Kiez Oper, Freitag, 22., und Samstag, 23. Februar, Stattbad Wedding, Gerichtstraße 65. Einlass 20 Uhr, Beginn 22 Uhr, Die Karten kosten 12 Euro, mehr Infos auf www.kiezoper.com

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