zum Hauptinhalt
Keine Angst vor Konventionen. Alex Eccleston und Rowan Hellier haben die Kiez Oper erfunden.

© Thilo Rückeis

Kiez Oper in der Alten Münze: Mit Händel im Club

Wenn Nachtleben auf Hochkultur trifft: Die Kiez Oper ist zurück mit einer Inszenierung, die nicht besser zur Berliner Partyszene passen könnte.

Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Zumindest nicht ihre eigenen. Denn die Zeit hat sich die Hand gebrochen – oder vielmehr Adrian Strooper, der diese Rolle in einer neuen Inszenierung von Georg Friedrich Händels Oratorium „Il trionfo del Tempo e del Disinganno” („Der Triumph von Zeit und Enttäuschung“) übernimmt. Darum kann er an diesem Tag, kurz vor der Premiere, nicht zur Probe nach Prenzlauer Berg kommen. Rowan Hellier und Alex Eccleston stöhnen kurz auf, lassen sich aber keine Panik anmerken.

Sie machen das ja nicht zum ersten Mal: Eine Oper auf die Beine stellen, mit geringsten Mitteln, Vorschüssen aus der eigenen Tasche und nur wenigen Probentagen. Für die Besetzung der Rollen, die Choreographie und die Regie greifen sie auf ihr internationales Netzwerk zurück. Die Kostümbildnerin wird wenige Tage vor der Premiere eingeflogen. Opernsängerin Hellier sieht das pragmatisch. „Mit einer knappen Deadline legst du einfach los.“ Viel Geld gibt es für die Beteiligten nicht, dafür die Chance, anders als sonst im Hochkulturbetrieb, mit flachen Hierarchien zu arbeiten, sich stärker einzubringen, etwas ganz anderes zu probieren.

Den Anfang machten sie 2012 in der "Wilden Renate"

Helliers und Ecclestons Projekt, die durchaus erfolgreiche Kiez Oper, ist zurück. Für vier Abende wird die Alte Münze am Molkenmarkt zum Opernhaus. Die Projektionen der Multimedia- Ausstellung „Von Monet bis Kandinsky“ werden, weil sie nicht abgebaut werden können, kurzerhand in die Inszenierung integriert. Die beiden Briten mit Wohnsitz Berlin brauchen keine teure Saalakustik oder ein Orchester für ihr Opernexperiment. Als sie 2012 im Friedrichshainer Club Wilde Renate Henry Purcells „Dido and Aeneas“ inszenierten, gab es nicht mal eine richtige Bühne. Die Sänger und Darsteller bespielten den verwunschenen Innenhof, das Publikum war nah dran, es gab Zwischenrufe. „Die Leute haben sich richtig reinziehen lassen“, erzählt Rowan Hellier. „In einem Opernhaus hätten sie das Gefühl gehabt, sich benehmen zu müssen.“

Später gastierte die Kiez Oper im mittlerweile geschlossenen Stattbad Wedding, im leeren Becken erklangen Vivaldi und Bach. Auch vor der Ringbahn machten Ecclestone und Hellier nicht Halt.

Erst Oper, dann Party. 2013 gastierte die Kiez Oper im Stattbad Wedding.
Erst Oper, dann Party. 2013 gastierte die Kiez Oper im Stattbad Wedding.

© Kiez Oper /Promo

Ihr Konzept: Hochkultur fürs Berliner Partyvolk, das sich nach dem letzten Akt nicht ins Taxi nach Wilmersdorf setzt, sondern da bleibt, auf ein paar Drinks oder bis zum nächsten Morgen. „Eine Karte soll nicht mehr kosten als der Eintritt in einen Club“, sagt Alex Eccleston. Das Geld kommt über Getränke rein, so die Hoffnung. Damit Opernneulinge nicht überfordert werden, dauert keine Inszenierung länger als ein Spielfilm. Und weil der Text zu Händels Oratorium auf Italienisch ist, gibt es deutsche und englische Untertitel.

"In London wäre das so nicht möglich"

Die beiden Opernmacher reißen kulturelle Barrieren ein und scheren sich nicht um Konventionen. Mag sein, dass die Kiez Oper nicht die gleiche Qualität hat wie eine Aufführung Unter den Linden. Darum geht es auch nicht. Sie wollen etwas Eigenes auf die Beine zu stellen, nach ihren Regeln. „Dafür ist Berlin der perfekte Ort, Ideen lassen sich leichter umsetzen. In London wäre das so nicht möglich, allein schon wegen der Kosten“, erklärt Rowan Hellier, die in der neuen Kiez Oper auch eine der vier Gesangspartien übernimmt, nämlich die Enttäuschung.

Nach den ersten Aufführungen der Kiez Oper zog sie für ein zweijähriges Engagement nach Salzburg, solange pausierte das Projekt. Letzten Sommer kehrte sie nach Berlin zurück, „weil es hier auch etwas anderes als Oper gibt“. Eccleston hat sich mit der Agentur Bad Bruises einen Namen gemacht, etablierte Partyreihen wie „The House of Red Doors“ in der Wilden Renate und „Apokalipstick“ im Kitkat gehen auf sein Konto. Hauptsache wild, verspielt, etwas düster, fantasievoll und sexy. Auf diese Ästhetik können sich Hellier und Ecclestone einigen.

Im Stattbad wurde das leere Becken mit Kompositionen etwa von Vivaldi zur Bühne.
Im Stattbad wurde das leere Becken mit Kompositionen etwa von Vivaldi zur Bühne.

© Kiez Oper/Promo

"Händel wollte angeben und zeigen, was er konnte"

Die Händel-Inszenierung stützt sich darum nicht nur auf die vier Sänger und das Barockensemble, sondern auch auf Performancekünstler und Artisten, die sich unters Publikum mischen. Musik aus dem frühen 18. Jahrhundert trifft auf die visuellen Gewohnheiten im modernen, hedonistischen Berlin.

Obwohl die Musik allein ja auch schon mitreißend sei, schwärmen Hellier und Eccleston bei der Gesangsprobe in der Wohnung von Benjamin Bayl. Der dirigierte bereits in der Wiener und in der Berliner Staatsoper, an diesem heißen Nachmittag begleitet er Martha Eason am Klavier. Die US-amerikanische Sängerin trat im Frühjahr einige Male in der Komischen Oper auf, jetzt peitscht sie ihren Koloratursopran für den Part der Bellezza, also der Schönheit, in schwindelerregende Höhen.

Knappe Probenzeit. Die Sängerinnen Martha Eason, Julia Dawson und Rowan Hellier (v. li.) mit Dirigent Benjamin Bay.
Knappe Probenzeit. Die Sängerinnen Martha Eason, Julia Dawson und Rowan Hellier (v. li.) mit Dirigent Benjamin Bay.

© Thilo Rückeis

„Händel wollte angeben und zeigen, was er konnte“, erklärt Benjamin Bayl. „Er schrieb die Musik, als er mit Anfang Zwanzig nach Rom kam.“ Für den sächsischen Komponisten dürfte das damals etwa so gewesen sein, als würde er heute aus Halle nach Berlin ziehen. Zuzügler aus der Provinz, die sich in der Großstadt entfalten, kennt man hier ja.

Ein Stoff wie gemacht für die Peter-Pan-Stadt Berlin

Auch der allegorische Stoff passt ins moderne Berlin, finden Rowan Hellier und Alex Eccleston. Denn die Schönheit wird vom Vergnügen (Julia Dawson) bezirzt, das süße irdische Leben auszukosten. Zeit und Enttäuschung treten als Spielverderber auf und ermahnen die Schönheit an später zu denken – also an die göttliche Ewigkeit. Der innere Konflikt, der gemeint ist, dürfte manchem Besucher der Kiez Oper bekannt vorkommen, hofft Alex Eccleston. „Berlin ist eine Peter-Pan-Stadt, viele weigern sich lange erwachsen zu werden. Aber verhindern können sie es natürlich nicht.“

Die Kiez Oper ist jedenfalls keine Hilfe beim Erwachsenwerden: Die Vorführungen des „Late Night Händel“ starten jeweils um 21.30 Uhr, danach legt ein DJ auf, man könnte später noch weiterziehen. In die Panorama Bar vielleicht, um die Ecke ins Golden Gate oder ins Kitkat – zu ganz anderen Inszenierungen.

27. bis 30. Juni, jeweils 21.30 Uhr. Alte Münze, Molkenmarkt 2. Karten ab 15 Euro: www.brownpapertickets.com

Zur Startseite