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Berlin: Kiezforum: Fusion Friedrichshain-Kreuzberg: Warum Robby Schlesiger und Carola Ludwig von dem einen in den anderen Bezirk umzogen

Im kommenden Jahr sollen Friedrichshain und Kreuzberg im Rahmen der Gebietsreform fusionieren. Gern werden Parallen zwischen den beiden Partnern als Szene-Bezirke gezogen.

Im kommenden Jahr sollen Friedrichshain und Kreuzberg im Rahmen der Gebietsreform fusionieren. Gern werden Parallen zwischen den beiden Partnern als Szene-Bezirke gezogen. Hier wie dort ist Alternativ-Kultur zu Hause, gibt es eine bunte Kneipenlandschaft. Doch die Gräben zwischen den Bezirken sind nach wie vor tief. In Kreuzberg blickt man gern und selbstbewusst auf die bewegten Jahre der Bürgerinitiative zurück, in Friedrichshain dagegen ist man stolz auf die Strukturen, die man in nur zehn Jahren unter zum Teil schwierigen Bedingungen aufgebaut hat. Im Ost-Bezirk ist die PDS stärkste Fraktion, im West-Bezirk haben die Grünen eine Hochburg. Doch auch jenseits von politischem Zank und Eitelkeiten gibt es viele Widersprüche und unterschiedliche Mentalitäten zwischen den Partnern. Der Tagesspiegel sprach mit zwei Zugereisten, die beide Seiten der Spree kennen lernten - und sich ganz bewusst für eine entschieden haben.

Nie wieder Friedrichshain

Er verließ Kreuzberg in Richtung Friedrichshain - doch nach vier Jahren zog es Robby Schlesiger zurück

"Auf Berliner Boden heimisch wurde ich am Kottbusser Tor. Da hatte ich mir 1988, als ich nach Kreuzberg kam, eine Wohnung genommen. Später bin ich dann zum Görlitzer Park gezogen. Aber nach der Wende wurden hier die Mieten teurer, und viele Läden, in denen ich Stammgast war, machten zu. Das war plötzlich nicht mehr das alte Kreuzberg. Darum verschlug es mich nach Friedrichshain: Ein Kumpel von mir hatte in der Finowstraße eine Wohnung, und weil ich mal etwas Neues kennen lernen wollte, bin ich schließlich zu ihm gezogen. Damals gab es eine richtige Ausreisewelle von Kreuzbergern. Irgendwie haben die beiden Bezirke ja auch was gemeinsam: Friedrichshain ist doch das Kreuzberg des Ostens. Damals waren dort die Wohnungen billig, und es gab viele, die man noch richtig selbst renovieren konnte. Drei Jahre lang habe ich in Friedrichshain eine Baufirma gehabt, die Holzfußböden renoviert hat. Aber eigentlich bin ich immer wieder nach Kreuzberg zurückgekehrt: Um abends auszugehen, fuhr ich mit dem Rad über die Oberbaumbrücke. In Kreuzberg geht es familiär zu, man kennt sich untereinander eben schon seit zehn Jahren.

Und die Kneipen, die in den letzten Jahren in der Friedrichshainer Simon-Dach-Straße entstanden sind, fand ich langweilig. Die sehen doch alle gleich aus. Leute von dort habe ich kaum kennen gelernt, dabei habe ich es immer versucht. Ich fand, dass eine richtige Ablehnung gegen Westler herrschte - auch wenn das mit der Zeit besser wurde. Was mich noch genervt hat, war der Baulärm. Vier Jahre lang war das ein einziges Chaos, und Parkplätze gab es auch nicht. Trotzdem war es am Anfang noch ganz witzig in der Finowstraße, auch wenn es nicht wie in Kreuzberg an jeder Ecke einen Laden gab, und man auch sonst nirgendwo einkaufen konnte. Da war zwar ein Tante-Emma-Laden um die Ecke, aber das Angebot war sauteuer.

In diesem Jahr bin ich dann wieder auf die andere Seite der Oberbaumbrücke gezogen, nach SO 36. Für mich war das wie Nach-Hause-Kommen. Jetzt habe ich eine Kneipe in der Wiener Straße, und in der Straße wohne ich auch. Ich spiele in der Kreuzberger Softball-Mannschaft "Crosshill Creeps", für dieses Jahr ist die Saison allerdings schon fast zu Ende.

Manchmal mache ich auch bei Theaterstücken mit. Das ist allerdings selten geworden, weil wegen der Bar keine Zeit bleibt. Die Gegend hier ist einfach die verrückteste Ecke des alten West-Berlins. Und in den letzten Jahren sind auch viele wieder zurückgekommen - wie ich."

Nichts wie weg aus Kreuzberg

Als sie nach Berlin kam, wohnte Carola Ludwig ein Jahr lang in Kreuzberg. Dann hielt sie es nicht mehr aus - und zog nach Friedrichshain

"Ich arbeitete als Plakatmalerin, als ich 1995 von meiner Heimatstadt Bremen nach Berlin zog. Ursprünglich wollte ich schon immer in den Osten der Stadt, aber dann fand ich eine Wohnung in der Kreuzberger Katzbachstraße: Zwei Zimmer, große Küche. Die war wunderschön und genau richtig, weil ich damals immer eine Werkstatt mit mir führte. Doch dann, als endlich alles eingerichtet war, bekam ich Terror mit meinem Vermieter. Das war ein alt eingesessener Kreuzberger Handwerker mit Berliner Schnauze. Der hat mich mürbe gemacht, bis ich schließlich freiwillig ausgezogen bin - weg aus Kreuzberg, hierher nach Friedrichshain.

Ich hatte schon länger Bekannte und Freunde, über die ich meine Liebe zum Osten entdeckte. Ich finde, dass hier die Authentizität des Deutschen eher gewahrt ist - im Westen hat doch der Kapitalismus alles kaputt gemacht. Die Oranienstraße zum Beispiel ist für mich das größte Aquarium der Stadt - wegen der großen Fensterscheiben in den Cafés. Da sitzen die Leute auf den Fensterplätzen, nur um gesehen zu werden.

In Kreuzberg sind viele Leute einfach arrogant. Die kommen dich auch nicht besuchen, so wie ich das von zu Hause her kenne. Die Kneipe ist offenbar deren verlängertes Wohnzimmer. Ich habe mich wirklich immer gefragt, woher die Leute dort das Geld nehmen, um den ganzen Tag in Cafés zu verbringen. Darum fühle ich mich auch eher als Ossi denn als Wessi - aus Überzeugung. Nach Kreuzberg fahre ich eigentlich nicht mehr.

Auch die politische Kultur in Friedrichshain ist sehr erwachsen. Das sind von unten gewachsene Strukturen - denn hier trafen sich ja schon seit der Wende immer autonom denkende Menschen. Von meinem Fenster zur Revaler Straße hin hatte ich seit meinem Einzug im Oktober 1996 das Gelände des alten Reichsbahnausbesserungswerks, des RAW, vor Augen. Zusammen mit Gleichgesinnten habe ich dort den "RAW-Tempel" gegründet, wo seit dem vergangenen Jahr über 30 Projekte zu Hause sind. Der Gemeinschaftscharakter ist für uns ganz wichtig: Hier soll sich der Mensch noch wiederfinden.

In Kreuzberg, davon bin ich überzeugt, wäre solch ein Projekt in vergleichbarer Lage gar nicht möglich gewesen. Kunst und Kultur haben dort durch das Inseldasein Schaden genommen - das ist zumindest mein Eindruck."

Johannes Metzler

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