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Als die Briten 1994 das Deutsche Sportforum verließen, warb Stamm für die Wasserfreunde Spandau 04 als Nachnutzer des Geländes.

© Mike Wolff

Kiezspaziergang zum Olympiapark: "Das schönste Sportgelände der Welt"

Hagen Stamm, Präsident der Wasserfreunde Spandau 04, schwärmt für das Deutsche Sportforum auf dem Olympiagelände.

Für einen kurzen Augenblick kämpft Hagen Stamm mit sich. Eigentlich ist das Familienbad gesperrt, aber wenn die Tür schon mal halb offen steht und gerade niemand in der Nähe ist... „Kommen Sie!“, sagt der graublonde Hüne, „wir wagen es einfach.“ Als Präsident eines im Wasser verorteten Vereins wird er doch mal nach dem Nassen schauen dürfen. Vor einem Vierteljahrhundert ist Stamm mit den Wasserfreunden Spandau 04 in den Olympiapark nach Charlottenburg gezogen, gut 100 Meter hinter die Bezirksgrenze, er kennt hier jeden Grashalm und jede Kachel, „aber im Familienbad war ich schon ewig nicht mehr. Das muss jetzt phantastisch aussehen!“

["Mein Traum vom Hexenkessel in Spandau": Wasserfreunde-Präsident Hagen Stamm spricht mit dem Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel über den Plan für eine neue Wasserball-Arena. Den kompletten Spandau-Newsletter gibt es in voller Länge und kostenlos hier leute.tagesspiegel.de]

Hagen Stamm stößt also die Zauntür auf und bahnt sich seinen Weg durch kniehohes Gras. Links erinnern Pappschilder an das „Turnfest 2005“, rechts türmt sich ein Hügelchen auf, Reste des blauen Granulats, das die Laufbahn nebenan im Olympiastadion zum Leuchten bringt. Am Ende des Trampelpfades öffnet sich der Blick auf grünes Wasser und hellblaue Kacheln. Junge Birken sprengen den Beton des Beckenrandes, ganz hinten blättert der Lack von einem winzigen Bademeister-Häuschen. Hagen Stamm macht sich noch ein bisschen größer, als es seine knapp zwei Meter erlauben und ruft: „Na, hab’ ich zu viel versprochen?“

Früher, als britische Soldaten über Charlottenburg wachten und nördlich des Olympiastadions militärisches Sperrgebiet war, haben hier deren Frauen und Kinder gebadet. Gar nicht so weit weg von diesem Idyll soll Großes entstehen. Hertha BSC plant den Neubau eines Stadions. Eine Arena für 50.000 Zuschauer, der Verein befindet sich in vielversprechenden Verhandlungen mit dem Senat. „Wird schon so kommen“, sagt Hagen Stamm – trotz des Protests von Anwohnern in Ruhleben oder Westend. „Hertha ist ein Schwergewicht in dieser Stadt“ und schon jetzt allgegenwärtig im Sportforum. Die Geschäftsstelle sitzt vorn im Friesenhof, nebenan ist die Nachwuchs-Akademie eingezogen, eine Ecke weiter haben die Fußballprofis ihre Kabinen.

Hagen Stamm beim Besuch des Olympiaparks.
Hagen Stamm beim Besuch des Olympiaparks.

© Mike Wolff

"Das schönste Sportgelände der Welt"

Hagen Stamm spricht von „der guten Nachbarschaft zu Hertha, wir kommen wunderbar miteinander zurecht.“ Und doch hat er ein bisschen Angst, dass mit dem Neubau am Rand des Sportforums etwas verloren gehen könnte. Der Charakter der Anlage, „für mich ist es das schönste Sportgelände der Welt“, und dazu gehört auch das Biotop des einstigen Familienbades. Noch viel früher befand sich hier der Anger. Eine zum Verweilen bestimmte Liegewiese, die man so gar nicht in Verbindung bringt mit dem militärischen Pathos der Nazis, der wie brauner Mehltau über dem Gelände liegt und unheilvolle Erinnerungen an die Propaganda-Spiele von 1936 weckt. Als die Deutschen die Jugend der Welt riefen und sie ein paar Jahre später auf dem Schlachtfeld niedermetzelten.

Vor zwei Wochen ist die Jugend der Welt zurück nach Westend gekommen. Beim Musik-Festival Lollapalooza hat sie das Maifeld in Besitz genommen und das Olympiastadion in eine Freiluft-Disko verwandelt. Die Jugend der Welt hat sich gefreut über den vielen Platz und doch ein bisschen gewundert über allerlei wuchtige Säulen und steinerne Figuren, die einmal einschüchtern sollten und heute eher albern wirken.

Alle kennen das Olympiastadion, viele die Waldbühne und nicht mehr ganz so viele das Maifeld oder das baufällige Schwimmstadion. Aber wer weiß schon, dass sich gleich nebenan ein Gartendenkmal versteckt? Das Deutsche Sportforum ist der unbekannte Teil des Olympiaparks. Ein schmaler Streifen vom U-Bahnhof Olympiastadion bis zur Waldbühne, gut 20 Hektar in bester Villenlage, alles unter Denkmalschutz. Vor dem Krieg saß hier die Deutsche Sporthochschule für Leibesübungen und danach die britische Militärverwaltung.

Der Klub-Präsident Hagen Stamm ist heute 58 Jahre alt und und kann sich noch gut daran erinnern, wann er das erste Mal hier war: als Teenager in den siebziger Jahren, damals noch als Torjäger der Spandauer Wasserballer. „Die Alliierten haben uns öfter mal zu Spielen eingeladen, anders bist du nicht auf das Gelände gekommen.“ Als die Soldaten 1994 abzogen, las Stamm in der Zeitung, dass da einiges an Sportflächen frei werden würde. „Ich hab’ sofort den damaligen Sportsenator Jürgen Klemann angerufen und gefragt: Können wir da nicht einziehen? Einer muss doch die Anlagen unterhalten!“

Das Sportforum ist keine Erfindung der Nazis

An einem warmen Spätsommertag bittet Hagen Stamm auf die Terrasse des „Alfreds“ und erinnert sich laut daran, „dass wir mal Führungen über das Gelände anbieten und die Leute dann hierher zu Kaffee und Kuchen einladen wollten“. Das „Alfreds“, benannt nach dem früheren Spandauer Trainer Alfred Balen, ist das Clubhaus der Wasserfreunde. Ein spartanisches Gebäude, das frühere Arzt-Haus, in dem während der Spiele von 1936 die Mediziner ihrer Arbeit nachgingen. Für die Wasserfreunde passte es perfekt, weil es sich in direkter Nachbarschaft zum Schwimmhaus befindet, einem Seitenflügel vom Haus des Deutschen Sports, und das führt nun ganz weit zurück in die Geschichte.

Volker Kluge schildert in seinem schönen Buch „Steine beginnen zu erzählen“, wie Johannes Seifert und Carl Diem schon zu Beginn der zwanziger Jahre das Gelände konzipierten, mit Bauten am östlichen Ende, terrassenförmig angelegten Sportplätzen in der Mitte und einem separaten Bereich für die Frauen im Westen. Das Sportforum ist keine Erfindung der Nazis. Die haben nur fortgeführt, was während der Weltwirtschaftskrise nicht mehr zu bezahlen war. Die Ausführung lag in den Händen der Brüder Werner und Walter March, sie verantworteten auch das Olympiastadion mit seiner protzigen Natursteinverkleidung. Dagegen wirkt das Haus des Deutschen Sports mit seiner dunkelroten Ziegelfassade zierlich-elegant.

Wo früher die Reichssportführung residierte, bildet heute die Poelchau-Schule mit einem etwas anderen pädagogischen Ansatz die künftige Elite aus. Links und rechts fügen sich Schwimm- und Turnhaus an, mit Sporthallen und einem in Marmor gehaltenen Bad, „leider zu klein für die Bundesliga“, sagt Hagen Stamm. Manchmal spielen die Spandauer Wasserballer im Forumbad direkt vor dem Haus des Deutschen Sports, aber dort ist es ab Oktober doch recht frisch. Seit ein paar Jahren kämpfen die Wasserfreunde darum, im Winter eine Traglufthalle über das Becken zu spannen. Mit 1500 Mitgliedern sind sie mal ins Sportforum gezogen, heute sind es 4000. Langsam wird es eng, aber „der Denkmalschutz macht Ärger“, sagt Hagen Stamm. „Angeblich würde eine Blase über dem Bad die Sichtachse über den gesamten Platz verstellen. Kann schon sein. Aber erstens wollen wir ja keinen festen Bau errichten. Und zweitens: Wer sucht denn hier im Winter nach einer freien Sichtachse? Hier ist doch schon im Sommer nichts los.“

„Der Denkmalschutz macht Ärger“

Die Laufkundschaft macht sich rar in dem verwunschenen Gartenstädtchen. Hagen Stamm spaziert vorbei an schattigen Bäumen und verwaisten Rasenflächen, auf denen allein Rasensprenger ihren Dienst tun. Auf halber Strecke zu drei in einer Mulde versteckten Tennisplätzen verwittert eine Tankstelle, hingeklotzt vom britischen Militär, ganz ohne Probleme mit dem Denkmalschutz. Weiter hinten thront als Solitär mit steinernem Portikus das einstige Clubhaus der britischen Armee, man kann es heute als Party-Location mieten. Bis 1945 war es die Dienstvilla des Reichssportführers Hans von Tschammer und Osten, eines üblen Antisemiten. 1936 stellte Tschammer der weltbesten Hochspringerin Gretel Bergmann mit amtlichem „Heil Hitler!“ ihren Ausschluss von den Olympischen Spielen zu. Die Jüdin Gretel Bergmann ist im vergangenen Sommer mit 103 Jahren gestorben und hat noch den späten Triumph miterleben dürfen, dass der zur Dienstvilla führende Weg jetzt Gretel-Bergmann-Weg heißt.

Weiter geht es über den früheren Wurfplatz, auf den Hertha BSC vor ein paar Jahren ein Mini-Stadion für die zweite Mannschaft und die A-Jugend gesetzt hat. Zur anderen Seite schließt sich ein Reitplatz an, zu dem der Wasserballer Hagen Stamm eine ganz besondere Beziehung hat. „Da ist unsere Lena Schöneborn Weltmeisterin geworden“, vor zwei Jahren im Modernen Fünfkampf. Lena Schöneborn ist die prominenteste Spandauer Wasserfreundin, den WM-Sieg feierte sie 2015 im Sportforum.

Nach einem semilegalen Abstecher ins Familienbad geht es zurück zum Alfreds. Vorbei am weitläufigen Schenckendorffplatz, der zwei Fußballfelder fasst und auf dem Hertha BSC eigentlich das neue Stadion errichten wollte. So sah es eine erste, im vergangenen März vorgestellte Skizze vor. Weil sich dieses Vorhaben schlecht mit dem Gartendenkmal verträgt, hat Hertha die Pläne geändert und das Projekt knapp 100 Meter nach Osten verschoben. Das Stadion soll nur noch zu einem Drittel auf dem Gelände des Sportforums liegen. Ein Wäldchen aus Eichen, Birken und Fichten muss weichen, auch für sechs Mietshäuser und die Begegnungsstätte der Sportjugend wird kein Platz mehr sein.

Zeit für einen letzten Kaffee auf der Terrasse des „Alfreds“. Hagen Stamm grüßt in die versammelte Runde der Wasserfreunde und erzählt von dem schönen Spaziergang. Was ist eigentlich aus der Idee mit den geplanten Führungen geworden? „Dafür fehlen uns die Leute, außerdem ist das eher eine Sache für den Senat.“ Und was das Familienbad betrifft: Demnächst sollen Bagger die Brache einebnen, auf dass zwei neue Kunstrasenfelder entstehen. „Kann ich verstehen, ist ja auch gut für den Sport“, sagt Stamm. „Schön, dass wir noch mal vorbeigeschaut haben.“

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