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Kinderbetreuung in Berlin: Größere Kita-Gruppen? Das wäre "Massenaufbewahrung"

In Berlin fehlen viele Betreuungsplätze. Gruppen also vergrößern? Die Idee eines Stadtrats würde aus Sicht einer Kita-Leiterin nicht funktionieren.

Jakob schiebt sich regelrecht vorwärts, er kann nichts dafür, die Legosteine zwingen ihn dazu. Fußgroße Legosteine, giftgrün, Jakob hat sich umgedreht, so dass er in ihnen stehen kann. Jetzt schiebt er sich also vorwärts, hektisch, so schnell wie möglich. Muss so sein, er liefert sich ein Wettrennen mit Leon (Namen geändert). Und Leon in seinen bordeauxroten Legosteinen ist verdammt schnell.

Drei Meter weiter, auf einer langen Holzbank im Spieleraum, sitzt ein Vater, die Fäuste unters Kinn gestützt, und beobachtet die Kinder. Nicht bloß Leon und Jakob, auch die anderen Drei- und Vierjährigen, die hier toben. Es ist Nachmittag, normaler Betrieb in der Kita Maris in Tempelhof. Leon und Jakob haben ihren Spaß, sie wissen nichts von rund 3000 fehlenden Erziehern in Berlin, fehlenden Kita-Plätzen und verzweifelten Eltern.

Sie wissen auch nichts von dem Vorschlag des Sozialstadtrats Gernot Klemm (Linke) aus Treptow-Köpenick. Klemm hat kürzlich erklärt, man könne doch den Betreuungsschlüssel in Kitas verschlechtern, so dass pro Erzieher mehr Kinder zu versorgen wären. Vorübergehend, bis die Personalnot gelöst ist, unter anderem durch Quereinsteiger.

"Ein hanebüchener Vorschlag"

Eine Etage tiefer sitzt Sahira Zarth, eine der beiden Leiterinnen der Kita Maris, in ihrem Büro. Sie kennt Klemms Idee gut, und wenn sie über diese Idee redet, passt ihr Gesichtsausdruck bestens zu ihrem Kommentar: „Das ist ein hanebüchener Vorschlag. So ein Gedanke ist völliger Unsinn, das ist komplett aus der Luft gegriffen.“ Sie sitzt an einem kleinen Besprechungstisch, kurz schüttelt sie den Kopf. „Ich kann nicht einfach weitere Kinder aufnehmen, nur weil es mir gerade passt.“

In ihrer Kita sind derzeit 190 Kinder angemeldet. 35 Pädagogen, also Erzieher und Sozialpädagogen, Auszubildende inklusive, kümmern sich um die Kinder. Die sind aufgeteilt in Gruppen des Krippenbereichs (bis drei Jahre) und des Elementarbereichs (drei bis sechs Jahre).

Pro Gruppe arbeiten in der Regel zwei Pädagogen, in den Krippen-Gruppen sind zwölf Kinder, in den Elementarbereichsgruppen 16 bis 17 Kinder. „Die Kollegen sind mehr als ausgelastet“, sagt Sahira Zarth. Jeden Monat ermitteln die Leitungskräfte den Betreuungsbedarf jedes Kindes. Kann ja sein, dass die Eltern nicht mehr Teil-, sondern wieder Vollzeit arbeiten. Oder umgekehrt.

Gruppen aufstocken? "Geht nicht"

So, und jetzt mal vorübergehend die Gruppen auf 20 oder 22 Kinder aufstocken? „Das geht nicht“, sagt Sahira Zarth. „Wir haben nur eine Betriebserlaubnis für eine bestimmte Zahl von Kindern. Wir arbeiten nach dem Berliner Bildungsprogramm. Es gibt einen Bildungsanspruch, den wir erfüllen müssen.“

Kreativer Bereich, Sprachförderung, Musik, Naturwissenschaften, alles Bereiche, die Pädagogen abdecken. „Wir sind voll. Wenn wir mehr Kinder aufnehmen würden, ginge das zu Lasten der Qualität“, sagt die Kita-Leiterin. „Außerdem würden sich die Arbeitsbedingungen der Kollegen verschlechtern.“

Größere Gruppen, das bedeutete: „Wir könnten keine größeren Ausflüge mehr machen. Man kann so viele Kinder nicht mehr kontrollieren.“ Dann wären die Kinder vor allem in der Kita. „Massenaufbewahrung“, sagt Sahira Zarth ironisch.

Nicht genug Räume

Aber die Qualität der Gruppenarbeit wäre ja nur das erste Problem. Das zweite ist der Platzmangel. „Wir haben gar nicht die Räume für größere Gruppen.“ Im ersten Stock ist zum Beispiel der „Monde-Raum“. Von der Decke hängen Zweige, an die Kinder als Blätter grünes Krepp-Papier gebastelt haben. Neben den Zweigen hängen farbige Papier-Ostereier, liebevoll bemalt und mit Streifen und Punkten versehen. Durch vier Fenster fällt Tageslicht ins Zimmer. Er ist nicht klein, der Raum, aber auch nicht riesig groß. „Hier“, sagt Sahira Zarth, „spielen 17 Kinder.“ Mehr, dazu benötigt man nicht viel Phantasie, wäre wirklich der Schritt zur Massenaufbewahrung.

Träger der Kita Maris ist das „Nachbarschaftsheim Ufa Fabrik“, es ist eine Kita mit angenehmer Atmosphäre, in der die Kinder in einem großen Hof toben können, mit Sand, Kletterseilen und Spielsachen. Er ist schön, der Hof, keine Frage, aber „er ist auch nur für eine bestimmte Zahl von Kindern ausgelegt“.

Es fehlen ja in Berlin nicht bloß rund 3000 Erzieher, in Wirklichkeit ist das Problem, statistisch gesehen, ja noch viel größer. Denn Quereinsteiger und Auszubildene zählen im Personalschlüssel der Senatsverwaltung als vollwertige Erzieher. Und bei diesem Punkt lacht Sahira Zarth bitter auf. „Diese Menschen muss man ja noch ausbilden.“ Ein vollwertiger Erzieher muss in allen Bereichen, die vom Berliner Bildungsprogramm gefordert werden, fit sein. „Wir achten sehr auf die Qualität unserer Ausbildung. Aber diese Anforderungen können diese nicht fertig ausgebildeten Quereinsteiger und Auszubildenden ja gar nicht erfüllen.“

"Markt für Erzieher ist abgegrast"

Im Schuljahr 2016/17, teilt eine Pressesprecherin der Senats-Bildungsverwaltung mit, hätten an den Erzieher-Fachschulen in Berlin 2458 Männer und Frauen ihre Ausbildung beendet. Zehn von ihnen haben in Sahira Zarths Büro gesessen und sich um eine Stelle beworben. Das Problem ist nur, dass viele von ihnen so eine Stelle offenbar bloß als Parkplatz betrachten.

„Die Hälfte sagte: Ich warte eigentlich auf einen Studienplatz. Und wenn ich den bekomme, möchte ich vielleicht zehn oder 20 Stunden arbeiten.“ Nur wenn der Plan mit dem Studium nicht klappe, sagt die Kita-Leiterin, würde der Bewerber Vollzeit arbeiten.

Derzeit sind in ihrem Team zwei Studenten, ausgebildete Erzieher, die sich in der Kita Geld dazuverdienen. „Der Markt für Erzieher ist einfach abgegrast“, sagt Sahira Zarth. Und Quereinsteiger sind nur bedingt eine Lösung. „Mit denen ist der geforderte Bildungsauftrag, den die Kindertagesstätten haben, nicht zu stemmen.“ Sie hatte bisher keinen einzigen Quereinsteiger als Bewerber.

Im Bauraum ist das Jakob und Leon alles herzlich egal. Da strahlt Jakob übers ganze Gesicht. Er hat das Wettrennen gewonnen.

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