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Kinderheilkunde: Tropfweise gesund

Für Erwachsene ist eine Magen-Darm-Infektion meist harmlos. Doch bei Kleinkindern verläuft die Krankheit mitunter dramatisch. Erbrechen und Durchfall können den kleinen Körper in wenigen Stunden austrocknen. Dann müssen die Kinderärzte in einem Krankenhaus helfen.

Müde liegt Matilda auf dem Rücken in ihrem Bettchen. Matilda ist erst sechs Monate alt – und seit drei Tagen nun schon im Krankenhaus. Sie wirkt immer noch sehr schlapp. Wie eine Mütze mit groben Maschen bedeckt ein weißes Netz ihren kleinen Kopf. Über der Stirn steckt eine Kanüle in einer Vene. Ein mit mehreren Pflastern befestigter Schlauch reicht bis zu einem Gestell neben dem Bett. An diesem hängt ein noch halb mit einer klaren Flüssigkeit gefüllter Beutel: Matilda ist an den Tropf gelegt. Und bei so kleinen Kindern steckt der üblicherweise im Schädel, nicht in der Armbeuge, wie bei Erwachsenen.

Matilda hatte sich plötzlich mehrmals übergeben. Ihre Eltern machten sich Sorgen, fuhren mit ihr ins Sankt Joseph Krankenhaus in Berlin-Tempelhof. Nun sitzen sie neben dem Bett des Mädchens auf der Kinderstation der Klinik. „Eigentlich sollte unsere Tochter morgen entlassen werden“, sagt Sibylle Wenk. „Aber dann ging es ihr doch wieder schlechter.“

Matilda leidet an einer der häufigsten Kinderkrankheiten: Einer Magen-Darm-Infektion. Diese werden meist durch Viren wie dem Rota- oder dem Noro-Virus, seltener durch Bakterien oder Parasiten hervorgerufen.

Die Keime, die den Magen-Darm-Trakt schädigenden, gelangen meist mit verunreinigter Nahrung und mangelnde Hygiene in den Körper. Normalerweise ist das keine Gefahr, denn die meisten Erreger werden von der Magensäure abgetötet. Doch bei einer sehr großen Keimanzahl könnten einige überleben und so in den Darm gelangen.

Besonders im ersten Lebensjahr verläuft fast jede Infektion mit einem dieser Erreger dramatisch. Für Erwachsene ist so ein Infekt meist ungefährlich, bei kleinen Kinder kann er jedoch zu Krampfanfällen führen und sogar lebensbedrohlich werden. Denn neben lebenswichtigen Elektrolyten, also Blutsalzen wie Natrium und Kalium, verliert der Körper durch das anhaltende Erbrechen und die Durchfälle auch viel Wasser. Da Säuglinge und kleine Kinder über geringere Reserven verfügen als Erwachsene, drohen sie schneller zu dehydrieren, das heißt von innen auszutrocknen. „Ein dreieinhalb Kilogramm schwerer Säugling kann bereits innerhalb von sechs bis acht Stunden gefährlich stark austrocknen“, sagt Beatrix Schmidt, Chefärztin der Kinderklinik des Sankt Joseph Krankenhauses in Tempelhof. Bei einem Baby wie Matilda könne das innerhalb eines Tages passieren. Deshalb sei es bei Säuglingen und Kleinkindern so wichtig, den Flüssigkeitsverlust schnell auszugleichen. Ist dies auf natürlichem Wege, nicht möglich, da das Kind jede Flüssigkeit sofort wieder erbricht, ist eine stationäre Behandlung notwendig – so wie bei Matilda.

„Matilda war eigentlich noch nie krank“, erzählt ihre Mutter. Eines Abends aber, als Sibylle Wenk noch einmal nach ihrer Tochter schaute, lag diese wach in ihrem Bettchen – in ihrem Erbrochenen. „Sie hat nicht geweint, sondern mich nur erstaunt und fragend mit ihren großen Augen angesehen.“ Als ihre Mutter sie in den Arm nahm, merkte sie, dass das kleine Mädchen am ganzen Körper zitterte. „Da hab ich Angst bekommen“, sagt die Sachbearbeiterin.

In der nächsten Dreiviertelstunde erbrach sich Matilda noch drei Mal. Also beschlossen ihre Eltern, sie ins Krankenhaus zu bringen. Sie entschieden sich, ins Sankt Joseph Krankenhaus zu fahren: „Hier ist Matilda auch zur Welt gekommen.“

Dennoch musste Familie Wenk eine Stunde im kargen Wartesaal der Kindernotaufnahme warten, ehe eine Krankenschwester Matilda und ihre Eltern in das Behandlungszimmer bat. Danach verging eine weitere knappe Stunde, bis ein Kinderarzt sich das sechs Monate alte Baby anschaute. „Da war es schon schwer für mich, ruhig zu bleiben“, sah Sibylle Wenk. Schließlich sah sie, dass es ihrer kleinen Tochter nicht gut ging.

Das stellte dann auch der Arzt fest, der Matilda schließlich von Kopf bis Fuß untersuchte: Durch das Erbrechen und die Durchfälle war ihr kleiner Körper geschwächt. Die Ursache: ein Virus. Welches genau, konnten die Ärzte nicht feststellen. Das sei für die anschließende Behandlung auch nicht notwendig, sagt die Kinderärztin Beatrix Schmidt, „da man Viren nicht medikamentös bekämpfen kann wie beispielsweise Bakterien.“ Aus diesem Grund werden Magen-Darm-Infektionen meist auch nur symptomatisch behandelt: Die Krankheitszeichen wie Durchfall, Erbrechen und Fieber werden gelindert, nicht aber die Ursachen.

Matilda hatte bereits viel Flüssigkeit verloren. Deshalb entschied sich der Arzt, das Kind und seine Mutter stationär aufzunehmen. Um den Wasser- und Elektrolytverlust des Körpers schnell auszugleichen, legte der Mediziner dem Baby einen Tropf. Das ging natürlich nicht ohne Tränen. „Als der Zugang des Tropfes am Kopf gelegt wurde, mussten wir sie sehr doll trösten“, sagt die Mutter.

Über den Zugang zur Vene gelangt die Elektrolytlösung, die aus Wasser, Zucker und den Blutsalzen Natrium und Kalium besteht, direkt in den Blutkreislauf, während die auf natürlichem Wege aufgenommene Flüssigkeit vom Körper ungenutzt wieder erbrochen würde.

Aber warum wird der Tropf an den Kopf angelegt? Der Zugang kann überall dahin gelegt werden, wo die Ärzte eine Vene finden, „also an den Händen, den Füßen oder eben am Kopf“, sagt Beatrix Schmidt. Auch wenn es für die Eltern erst befremdlich erscheinen mag: Zumindest für Säuglinge ist der sogenannte Kopftropf die angenehmste Variante: „So können sie strampeln und sich bewegen, ohne, dass die Kanüle herausrutscht.“

Nach der ersten Versorgung in der Notaufnahme kam Matilda auf die Kinderstation. Vorbei an bunt mit Blumen und Tieren bemalten Wänden, wurde sie in ihr Zimmer geschoben. Die Mutter durfte mit einziehen: „Für mich war völlig klar, dass ich bei ihr bleiben werde“, sagt die Frau mit dem dunklen Kurzhaarschnitt und einer schwarzumrandeten Brille, die ihr Alter nicht verraten mag.

Matilda ist kein Einzelfall. In Berlin werden jährlich rund 2900 Kinder wegen einer Magen-Darm-Infektion in ein Krankenhaus eingewiesen. Und die Zahl der ambulant behandelten Fälle ist noch weit höher. Experten schätzen, dass jedes Kind bis zu seiner Volljährigkeit rund drei Magen-Darm-Infektionen erlebt.

Vor allem im Kleinkindalter ist das häufig der Fall. Denn im Kindergarten reichen die Kleinen Bakterien und Viren gern beim Spielen weiter. Nicht selten sammeln sich allein in den Wintermonaten im Schnitt 72 Krankheitstage pro Kind an. Aber: „Die Kinder müssen sich mit den Keimen auseinander setzen, sagt Mathias Herr, Oberarzt der Kinderabteilung der DRK-Kliniken Berlin-Westend. Das stärke ihr Immunsystem. Bei jeder Infektion steige die Abwehrfähigkeit, denn der Körper erkenne die einzelnen Erreger wieder und könne so Bakterien und Viren das nächste Mal schneller bekämpfen. Magen-Darm-Infektionen werden somit seltener.

Der Tropf zum Ausgleich des Flüssigkeitsverlustes ist eine wichtige Therapie, Medikamente aber helfen bei Brechdurchfällen nur selten. In einigen Fällen können sich die Säfte und Tabletten sogar negativ auf den Krankheitsverlauf auswirken. Antibiotika zum Beispiel töten nicht nur die Krankheitserreger, sondern auch die schützende Darmflora. Diese nützlichen Bakterien schützen den Körper selbst vor Infektionen. Ist die Darmflora zeitweilig geschädigt, können sich bestehende Infektionen noch verstärken. Daher werden Antibiotika nur in Ausnahmefällen von Ärzten verschrieben, etwa bei Säuglingen in den ersten drei Monaten oder bei Frühgeborenen, bei denen eine Grippe tödlich enden kann. Auch Durchfallmedikamente, die den Stuhl festigen, verlängern häufig die Erkrankung, da sie die Ausscheidung der Krankheitserreger aus dem Körper verzögern.

Bei leichteren Krankheitsverläufen ist eine stationäre Behandlung gar nicht nötig. Da reicht es in der Regel, darauf zu achten, dass das erkrankte Kind viel trinkt, „und zwar löffelweise, in kleinen Schlucken“, Chefärztin Schmidt vom Sankt Joseph Krankenhaus. Um den Wasser- und Elektrolytverlust möglichst effektiv auszugleichen, empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO folgende Rezeptur: Vier gestrichene Teelöffel Zucker, einen drei viertel Teelöffel Salz, einen Teelöffel Bikarbonat und einen Becher Orangensaft auf einen Liter Wasser. Fertige Elektrolytlösungen können auch in der Apotheke gekauft werden.

Eine spezielle Diät sei nicht notwendig, sagt Schmidt: „Kleine Kinder können spätestens ab Kindergartenalter das essen, worauf sie Lust haben; Säuglinge können auch während der Erkrankung weiterhin gestillt werden.“

Auch Matilda wird weiter von ihrer Mama gestillt. Nur nachts muss Sibylle Wenk ihre überschüssige Milch abpumpen, da der Tropf ihrer Tochter ein wenig den Durst nimmt. Am vierten Tag auf der Kinderstation guckt das kleine Mädchen mit den großen blauen Augen trotz der Kanüle in ihrem Köpfchen schon freundlicher, strampelt und schreit vergnügt, wenn sie die Stimme ihrer Mama hört. Es geht ihr schon viel besser.

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