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Berlin: Kinderkarneval der Kulturen: Trommeln im Großstadtdschungel

Noch sind nicht alle Pflastersteine vor dem Bethanien am Mariannenplatz neu verlegt. Aufgebuddelte Löcher und herumliegende Brocken erinnern an die Schlacht vom 1.

Noch sind nicht alle Pflastersteine vor dem Bethanien am Mariannenplatz neu verlegt. Aufgebuddelte Löcher und herumliegende Brocken erinnern an die Schlacht vom 1. Mai. Doch am Sonnabend war niemand gekommen, um Steine zu werfen; Feiern war angesagt. Der Kinderkarneval der Kulturen, der gestern um 14 Uhr startete, fand erstmals eine Woche vor dem Karneval der Kulturen statt. Der Zug ging über die Muskauer, die Wrangel- und die Lübbener Straße zum Görlitzer Park.

Seit 1997 organisieren Kreuzberger Kinder- und Jugendeinrichtungen den multikulturellen Straßenumzug. "Großstadtdschungel" lautete in diesem Jahr das Motto. Von Jahr zu Jahr kommen mehr Teilnehmer und Besucher. Im vergangenen Jahr gingen rund 2000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene verkleidet auf die Straße, in diesem Jahr waren 3000 Teilnehmer angemeldet. Ein Polizist schätzt, dass sogar ein paar mehr auf der Straße sind, darunter die "Rolling Guides" in ihren sonnengelben T-Shirts.

"Wir machen das erste Mal mit", erzählt die zwölfjährige Jennifer, während sie ihren silbernen Roller festhält. Einmal in der Woche trifft sich die Gruppe zum Rollern, und nun wollen sie nach dem Umzug auf dem Kinderfest im Görlitzer Park ein paar Mark dazu verdienen: Für zwei Mark führen sie Interessierte durch ganz Kreuzberg, per Roller. Geschminkt sind sie nicht.

Anders die Kinder einer Neuköllner Kita, deren Gesichter in allen Farben leuchten. Die Vier- bis Zehnjährigen haben sich allesamt Tropenhüte auf den Kopf gesetzt. Ansonsten ist das Motto "Großstadtdschungel" nicht unbedingt dominant auf dem Kinderkarneval, jedenfalls nicht als Dschungel, obwohl der eine oder die andere ein Leoparden- oder Krokodilskostüm trägt oder im Bärenpelz schwitzt. Mitarbeiter des Statthauses Böcklerpark ziehen ein dickes rosa "Einsparschwein" aus Pappmaché durch die Straßen. Eine magere Mutter hat sich künstliche, hüftlange Silberlocken angeklebt und lässt sich von ihrem Sohn mühsam vorwärts ziehen. Mädchen auf Stelzen überragen alle anderen, nehmen einen Schluck Limo beim Laufen und können alles sehen. Dann werfen sie Konfetti. Viele Kinder zusammen sind ein Drachen. Aus den Fenstern hängen die Alten und die Türken und schauen zu.

Am Straßenrand steht sogar eine echte Kölnerin mit blauer Lametta-Perücke und Leopardenhemd, die jedem, der es hören will, erzählt, dass sie extra nach Berlin gekommen ist: "Ich muss doch mal gucken, wie die hier Karneval feiern." Sie sei schließlich, fügt sie stolz hinzu, "überzeugte Karnevalistin". Doch so richtig überzeugt ist sie nicht: "Ich bin skeptisch." Allerdings geht es bei diesem Umzug auch nicht um abgeschnittene Krawatten oder um Kampftrinken mit Kölsch. Die Veranstalter wollen Zeichen setzen gegen Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile.

Die Zeichen sind laut. Krach gemacht wird mit dicken Schlägern auf blauen Plastikfässern, mit den Händen oder mit um den Hals gehängten Trommeln und Pfeifen. Und eine rollende Jugendband spielt "richtige" Musik. "Sind ganz schön viele Leute", staunt ein Kind. An einem Tag im Jahr dürfen diejenigen, die sonst auf Spielplätze verbannt und von Autos bedroht sind, laut sein, mitten auf der Straße, auffällig und bunt. Und anders als am 1. Mai schickte die Polizei nicht Tausende Beamte nach Kreuzberg, sondern ganze zehn Mann.

Katharina Körting

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