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Kinderschutzbund: "Berlin ist ein schlechter Ort für Kinder“

Nach einem Jahr Netzwerk Kinderschutz ziehen Kinderschutzbund und Opposition eine negative Bilanz. Es fehlt vor allem Personal, um Misshandlungen und Vernachlässigungen zu verhindern.

Von Sabine Beikler

Diese Zahlen alarmieren: Bundesweit werden in Berlin die meisten Fälle von Kindesmisshandlung registriert. 563 Fälle – und damit fast jede fünfte bundesweit – erfasste die Polizei 2006, Zahlen für 2007 liegen erst im März vor. Experten sprechen seit Jahren von einem dramatischen Anstieg. Der Senat reagierte darauf und gründete das „Netzwerk Kinderschutz“, das Polizei, Jugendämter, Krankenhäuser, Hebammen und Kinderärzte theoretisch besser vernetzt werden soll. Doch die Bilanz nach genau einem Jahr ist vernichtend: Die Opposition kritisiert die mangelnde Umsetzung, die Bezirke warten immer noch auf zugesagte Stellen, und der Berliner Kinderschutzbund spricht von einem „Papiertiger“. Solange es an der Grundausstattung beim Personal und Angeboten fehle, sei „Berlin ein schlechter Ort für Kinder“, sagte Sabine Walther, Geschäftsführerin vom Kinderschutzbund, dem Tagesspiegel.

Um Misshandlungen und Vernachlässigungen zu verhindern, setzt der Senat vor allem auf Prävention als Frühwarnsystem. Ein wesentlicher Aspekt sind Hausbesuche des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes bei Erstgeburten. „Das ist politischer Wille“, sagt Marie-Luise Dittmar, Sprecherin der Gesundheitsverwaltung. Doch die Bezirke können das gar nicht leisten. Beispiel Tempelhof-Schöneberg. Rund 1800 Kinder wurden im vergangenen Jahr in dem Bezirk geboren. 30 Mitarbeiter des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes sind dort für 50 000 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren zuständig. „Hausbesuche bei Erstgeburten schaffen wir mit dem Personal nicht, außer wir unterlassen andere gesetzliche Aufgaben“, sagt Gesundheitsstadträtin Sibyll Klotz (Grüne). Außerdem habe die Gesundheitsverwaltung je zwei Stellen pro Bezirk versprochen. „Seit einem Jahr werden wir vertröstet. Passiert ist bisher noch nichts.“ Die Gesundheitsverwaltung sagt, dass noch „Ausführungsvorschriften“ fehlten.

„Dafür hat man ein Jahr Zeit gehabt. Bisher ist im Angebotsbereich nicht viel passiert“, kritisieren die Jugendpolitiker Elfi Jantzen (Grüne), Mirco Dragowski (FDP) und Emine Demirbüken-Wegner (CDU). „Man spielt mit den Schicksalen von Neugeborenen“, sagt die CDU-Politikerin. Auch Hebammen müssten „dringend“ in das Netzwerk einbezogen werden. Grünen-Politikerin Jantzen fordert ebenfalls eine „engmaschigere“ Betreuung von Müttern und Kindern. Die Antwort der Gesundheitsverwaltung auf Tagesspiegel-Anfrage: „Wir haben den Wunsch, Hebammen einzubinden.“ Ende März/Anfang April wolle man konkreter werden.

Für die Prävention fehlt das Geld

Dann will die Gesundheitsverwaltung auch das Konzept des „verbindlichen Einladungssystems“ für Vorsorgeuntersuchungen vorstellen. Über eine zentrale Stelle sollen Eltern aufgefordert werden, die Untersuchungen wahrzunehmen. Werden diese nicht wahrgenommen und reagieren die Eltern nicht auf eine weitere Mahnung, sollen sie Besuch von Kinder- und Jugendämtern erhalten.

„Die Vernetzung von Gesundheits- und Jugendämtern ist durch das Netzwerk verbessert worden, aber für die Prävention fehlt nach wie vor das notwendige Geld“, sagt die Friedrichshain-Kreuzberger Jugendstadträtin Monika Herrmann (Grüne). Sieben Millionen Euro seien für die Jugendhilfe im Bezirk vorgesehen, das sind umgerechnet nur 152 Euro pro Jahr pro Kind. Friedrichshain-Kreuzberg brauche aber „mindestens 13 Millionen“, so Herrmann. Dann könne man eine effektivere Präventionsarbeit leisten und verhindern, dass Kinder und Jugendliche stationär untergebracht werden müssen. Und das ist teuer: 15 Millionen Euro gab dafür allein Kreuzberg im Vorjahr aus - eine Million Euro mehr als 2006.

Der Bezirk ist auch zuständig für die „Hotline Kinderschutz“, die im Rahmen des Netzwerks im Mai 2007 eingerichtet wurde. Unter der Telefonnummer 610 066 sind seitdem über 800 Anrufe eingegangen. „Darunter wurden 1100 Kinder benannt, bei denen der Verdacht einer Gefährdung bestand“, sagt Beate Köhn, Kordinatorin der Hotline. Mitarbeiter des Jugendamtes werden dann informiert und suchen die Familie auch in Zusammenarbeit mit der Polizei auf. „Wir sind bei der Hotline die Spitze des Eisbergs“, sagt Köhn. „Die Jugendämter brauchen mehr Mitarbeiter, um diese Aufgaben zu bewältigen.“ Auch der Jugendausschuss des Abgeordnetenhauses will heute am heutigen Donnerstag über die Arbeit des Netzwerks diskutieren.

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