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Weil Fachkräfte fehlen, sind viele Erzieher in den Kindertagesstätten auf sich alleine gestellt.

© Kai-Uwe Heinrich

Kindertagesstätten in Berlin: Alltäglicher Kampf der Erzieher

In vielen Berliner Kitas ist das Personal knapp. Auch deshalb wird am Donnerstag gestreikt. Die Erzieher wollen mehr Geld – und brauchen vor allem Hilfe junger Fachkräfte.

Zahnputzzeit in der Kita am Zauberberg in Pankow: Einige Kinder tanzen im Bad umher, zwei holen ihre Bürste aus dem Nebenraum, eine kleine Meute drängt sich um die Erzieherin, um Zahnpasta zu erhaschen. „Piraten, Piraten“, rufen die einen. „Putzi“ wollen die anderen. Ein bisschen geht es zu wie auf einem Basar. Ihre zwölf Schützlinge hat Erzieherin Kay Schwarger alle im Blick: „Julia, geh Zähne putzen. Gehst du bitte noch aufs Klo? Wo ist eigentlich Paul? Wasch dir mal die Soße vom Mund. Deine Zahnbürste musst du nicht mit dem Handtuch abtrocknen!“ Am Abend, sagt die 45-Jährige, wisse man, was man geschafft habe.

Es fehlt an Erziehern in den Kindertagesstätten. Nicht nur am Zauberberg, sondern in ganz Berlin. Bis zum Sommer dieses Jahres rechnen Experten mit 1500 unbesetzten Stellen. Allein an der Kita am Zauberberg sind es derzeit zwei. Mit einem Protestbrief hat sich bereits eine Gruppe von zehn Kita-Betreibern aus Pankow an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) gewandt. Daraus geht hervor, dass an den 115 Kitas derzeit 118 Stellen unbesetzt sind. Es gibt zu wenige Fachkräfte, schreiben auch sie.

In der vergangenen Legislaturperiode habe man die Ausbildungsplätze für Erzieher verdoppelt und auch in Zukunft werde man die Fachschulen ausbauen, heißt es aus der Senatsverwaltung für Bildung. Gleichzeitig will Scheeres den Erzieherberuf auf Bundesebene zum Mangelberuf erklären lassen. „Erzieherinnen und Erzieher sind rar“, gibt die Senatorin zu. Rund 30.000 neue Kitaplätze will Scheeres bis zum Jahr 2020 schaffen, dazu sollen sich Erzieher in den kommenden Jahren durchschnittlich um weniger Kinder kümmern. Laut Senatsverwaltung braucht es dafür 29.500 Erzieher. Im vergangenen Jahr waren rund 23.300 beschäftigt. Der Beruf muss attraktiver gestaltet werden, wenn das geschafft werden will.

Rund 1000 Erzieher der öffentlichen Träger ziehen in den Warnstreik

Die Kitas werden weiter ausgebaut, aber die Erzieher rücken nicht im gleichen Maße nach“, sagt Torsten Wischnewski- Ruschin, Fachreferent für Kindertagesstätten vom Paritätischen Wohlfahrtsverband in Berlin. Ein Problem bei der Anwerbung von Erziehern sei dabei auch, dass Berlin weniger zahle als das Nachbarland Brandenburg. „Gerade in den Randbezirken überlegen es sich Erzieher, wo sie eher arbeiten.“ Ein Problem, dass nun auch die Bildungssenatorin erkannt zu haben scheint: „Wir plädieren dafür, dass die Gehaltslücke zwischen den Tarifverträgen geschlossen wird", sagt Scheeres.

Genau dafür plädieren auch die Gewerkschaften. Rund 1000 Erzieher der öffentlichen Träger ziehen deshalb heute in den Warnstreik. Allein in Pankow, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf schließen mehr als die Hälfte der öffentlichen Kindertagesstätten. Ziel der Streikenden sind bessere Gehälter (siehe Kasten). „Wenn es nicht zu spürbaren Verbesserungen kommt, dann gehen Frau Scheeres die Argumente aus“, sagte Doreen Siebernik, Vorsitzende der GEW Berlin. „Welche Erzieher sollen dann in den neu gebauten Kitas arbeiten?“

"Im Moment stehen wir als Träger unter enormem Druck"

Generell griffen alle Maßnahmen der Politik nur langfristig, es müsse aber auch kurzfristig etwas passieren, sagt Monika Pause. Sie ist stellvertretende Geschäftsführerin der „Vielfarb Social gGmbH“ – einem freien Pankower Träger, zu dem die Kita am Zauberberg gehört. „Wir könnten umgehend 66 weitere Kinder aufnehmen, wenn wir dafür Personal finden würden“, sagt sie. Insgesamt beschäftigt der Träger derzeit 81 Erzieher an fünf Kindertagesstätten. Fünf Stellen seien unbesetzt, Kollegen immer wieder überfordert.

Das öffentliche Bild der Kita, sagt Pause, habe sich in den vergangenen Jahren zum Positiven verändert. Erzieherinnen seien nicht mehr bloß „die Tanten, die mit Kindern spielen, sondern als pädagogische Fachkräfte anerkannt“. Diese Entwicklung dürfe nicht dadurch aufs Spiel gesetzt werden, dass es an Fachkräften fehle. „Ich stehe absolut für fachliche Qualität, verstehen Sie mich nicht falsch", sagt sie. Und dann etwas leiser: „Aber im Moment stehen wir als Träger unter enormem Druck." Fachkräfte anzuwerben und zu halten sei unglaublich schwierig.

17 Mitarbeiterinnen für 117 Kinder bis sechs Jahre

In der Kita am Zauberberg kümmern sich derzeit 17 Mitarbeiterinnen um 117 Kinder im Alter von null bis sechs Jahren, 52 Kinder davon jünger als drei. Eine Erzieherin ist derzeit langzeitkrank, drei fehlen aufgrund der Grippewelle, eine ist im Urlaub. Ersatz gibt es keinen. Die Kita behilft sich mit Praktikanten. Derzeit sind es vier. Die restliche Arbeitszeit wird durch Überstunden der anderen Erzieherinnen ausgeglichen. „Wenn Leute nur Dienst nach Vorschrift machten, ginge das nicht“, sagt Kitaleiterin Gabriele Häßler. 180 Überstunden stünden derzeit auf ihrem Zettel.

Auf weißen Plakaten haben die Erzieherinnen zusammengefasst, was sie sich für ihren Arbeitsalltag wünschen: „Man ist häufig auf sich alleine gestellt. Krank sein ohne schlechtes Gewissen. Mehr Zeit für Kinder wäre schön“, steht da. „Man wird den Kindern kaum mehr gerecht", sagt auch Sophie Bresching. Die 24-Jährige arbeitet ebenfalls als Erzieherin in der Pankower Kita. „Den Tagesablauf kriegt man hin, aber die kleinen Extras wie das Sprachtagebuch schafft man nicht.“

Um 11.30 Uhr ist Ruhezeit in der Kita. Auch Sophie Bresching bringt ihre Gruppe ins Bett. Während die Kinder sich bereits auf ihre Matratzen gekuschelt haben, stimmen sie noch ab, welches Hörspiel sie heute hören wollen. Elf Stimmen für „Max kommt in die Schule“, zwei für „Bibi Blocksberg“. Das Licht geht aus, die Erzieherinnen haben Ruhe. Zumindest für einen kleinen Moment.

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