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Berlin: Kindheit im Müll: Eltern weisen alle Schuld von sich

Beim Prozess um Vernachlässigung berichten Zeugen von unbeschreiblichen Zuständen

Die Zeugin schüttelt sich bei ihrer Aussage. „Schimmel und Schmutz im Kühlschrank, Müll in der ganzen Wohnung, die drei Hunde, der Kot – und dazwischen die drei kleinen Kinder.“ Die Frau war als Haushilfe gekommen, sie hat sich bemüht, geputzt, mit den Kleinen gespielt. „Die Kinder taten mir leid“, sagt sie, „aber die Verantwortung war mir zu viel.“

Nun geht es um die Verantwortung der Eltern. Simone und Jan K. sitzen seit gestern auf der Anklagebank. Es geht um Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. Hinter dem juristischen Vorwurf stecken Vernachlässigung, Verwahrlosung, Elend. Fast ein Jahr lang sollen die Kinder im Dreck gelebt haben. Als die Polizei im Oktober 2006 die Wohnung in Hohenschönhausen durchsuchte, war Oliver zweieinhalb Jahre alt, Susi 14 Monate und Sven gerade vier Monate alt (Namen geändert).

Die Beamten standen vor einem Chaos: Aus Olivers Zimmer kam beißender Uringestank. „Die gesamte Wohnung war von Schmutz geprägt“, heißt es in der Anklage. „Frische Lebensmittel waren nicht vorhanden.“ Der Balkon sei mit Hundekot verschmutzt gewesen. Volle Aschenbecher im Wohnzimmer, daneben alte Lebensmittel und Küchenmesser. Auch gibt es Fotos, die gegen die Eltern sprechen. Auf einem Bild flößt die Mutter dem ältesten Sohn einen Alcopop ein. Ein anderes Bild zeigt Oliver mit einer brennenden Zigarette im Mund.

Simone K. ist 28 Jahre alt. Sie wirkt völlig verzweifelt, als sie am Morgen auf den Gerichtssaal zugeht. Doch die Stimmung der Mutter schlägt schnell um. Vielleicht liegt es daran, dass sie endlich neben ihrem inhaftierten Ehemann sitzen darf, vielleicht findete sie das, was Zeugen erklären, auch einfach amüsant. Immer wieder dreht sie sich lächelnd zu ihrem Lebenspartner. „Wir sind mit den Kindern nicht überfordert“, erklärt dieser dem Gericht. „Es ist allerdings mit drei kleinen Kindern anstrengend.“ Von Vernachlässigung oder Verwahrlosung könne keine Rede sein. „Wir mögen in unserer Haushaltsführung nicht ganz ordentlich sein, aber unsere Kinder wurden in keiner Weise in ihrer Erziehung beeinträchtigt.“

Als die Polizei kam, hat das Jugendamt der Mutter die Kinder nicht weggenommen. Nach der Wohnungsdurchsuchung aber schickte man eine Familienhelferin, die die Eltern früher abgelehnt hatten.

Jan K. ist 25 Jahre alt. Er hat eine Maurerlehre abgebrochen und war zuletzt arbeitslos. Aber der Mann kann reden, er hat offenbar für alles eine Erklärung. Zur fotografierten Alcopop-Flasche beispielsweise sagt er: „Da war nur Wasser drin.“ Der Junge habe unbedingt aus so einer Flasche trinken wollen. Die Sache mit der Zigarette sei ein „Spaß“ gewesen. „Es war keine Absicht, das Kind zu schädigen.“ Und die Lebensmittel mit abgelaufenen Haltbarkeitsdaten? „Wir kaufen auf Vorrat ein, frieren ein und tauen dann auf.“ Alles sei genießbar gewesen.

Eine Nachbarin sagt, sie habe die schlimmen Zustände wahrgenommen. „Ich habe aber nicht darüber nachgedacht, das Jugendamt einzuschalten.“ Das Amt aber soll längst von den Problemen in der Familie gewusst haben. „Eine wirksame Abhilfe erfolgte nicht“, heißt es in der Anklage. Am ersten Prozesstag wurde noch kein Mitarbeiter des zuständigen Jugendamtes befragt. Die Verhandlung wird am 22. Februar fortgesetzt.

Kerstin Gehrke

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