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Berlin: Kirchen-Kampf in Spandau

In einem Gotteshaus stritten SPD-Politiker und Religionslehrer über den geplanten Werteunterricht

Im schlichten Saal der evangelischen Zufluchtskirche in Spandau ist sonst viel von Toleranz die Rede. An diesem Mittwochabend liegt schon nach zehn Minuten Feindseligkeit in der Luft. „In einer Stadt mit so vielen Kulturen ist es wichtig, dass sich alle gemeinsam über Werte verständigen“, sagt Monika Buttgereit vom Landesvorstand der SPD. Deshalb seien viele in ihrer Partei für ein Pflichtfach Ethik. So weit können ihr die Religionslehrer und Eltern noch folgen, die zur Diskussion über den geplanten Werteunterricht gekommen sind. Dann holt Buttgereit noch mal aus: „Ich möchte den Katholiken nicht absprechen, dass sie auch Werte haben.“ „Das ist ja großzügig“, ruft es im Saal. „Aber das sind nicht die Werte, die ich mit Schülern diskutiert haben will“, endet die SPD-Politikerin. „Unglaublich“, ruft ein junger Mann, „Stammtisch“, eine Frau. Einigen Zuhörern zeichnet die Wut rote Flecken ins Gesicht.

Steffen-Rainer Schultz, Schuldezernent bei der evangelischen Landeskirche, führt ruhig aus, „dass uns der SPD-Entwurf für das neue Pflichtfach sehr trifft, denn wir glauben, dass unser Religionsunterricht den Schülern gut tut“. Es schade den Berliner Kindern nichts, wenn sie über Traditionen der Religionen nicht nur Bescheid wissen, sondern sie auch respektieren. „Dazu müssen sie aber zumindest einmal einen Menschen kennen lernen, dem etwas heilig ist und von dem sie erfahren, wo er in Krisensituationen seine Orientierung herbekommen hat.“ Im Religionsunterricht könnten Kinder gelebten Glauben erfahren – eine Chance über das reine Faktenwissen hinaus, das ihnen SPD und PDS in einer Art erweitertem Sozialkundeunterricht beibringen will. Die Kirchen wollen stattdessen ein Wahlpflichtfach, bei dem die Kinder zwischen Lebenskunde/Ethik/Religion (LER) und klassischem Religionsunterricht wählen können.

Der Podiumstisch, an dem auch Werner Schultz vom Humanistischen Verband und Thomas Kleineidam, der migrationspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, sitzen, ist mit einem knallroten Tischtuch mit SPD-Emblemen bedeckt. Der schlichte Altar mit dem Holzkreuz verschwindet in der Ecke der Kirche.

Für gelebten Glauben und Indoktrination sei an den Schulen kein Platz, antwortet Buttgereit dem Kirchenmann. „Ich wehre mich gegen die Unterstellung, Religionslehrer würden Kinder indoktrinieren“, sagt Antje Schliebitz. Sie ist Religionslehrerin und kommt aus Baden-Württemberg. „Ich habe schon in drei verschiedenen Bundesländern unterrichtet, aber hier habe ich das Gefühl, ich sitze im falschen Boot.“

Warum lässt man nicht die Eltern entscheiden, ob sie ihr Kind zu LER oder zum Religionsunterricht schicken“, fragt eine Zuhörerin. Was der Humanistische Verband in der Diskussion will, wird nicht klar. Einmal plädiert Werner Schultz dafür, dass alles bleibt, wie es ist, später argumentiert er für das Pflichtfach Ethik. „Wichtig ist, dass die Kinder Menschen mit Überzeugungen erleben“, sagt Kleineidam von der SPD, um die Stimmung zu entschärfen. „Aber muss das im bekenntnisorientierten Religionsunterricht sein?“ „Schade, dass der Abend in einer solchen Konfrontation abläuft“, sagt der Kirchenvertreter nach zwei Stunden, „wir sollten uns zusammensetzen.“ Da ist sie wieder, die Toleranz, fast hätte sie doch noch gesiegt.

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