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Aus „Der Kirschdieb“ macht Skip Pahler 1987 ein Wandbild in der Berliner Straße. Nun steht ein Neubau davor.

© Skip Pahler

Berlin: Kirschen gegen Kriege

Mehr als 30 Jahre schmückte ein Wandbild nach Bertolt Brecht eine Fassade in Weißensee. Nun wurde ein neues Haus davor gebaut.

An einem frühen Morgen,

lange vor Hahnenschrei

Wurde ich geweckt durch ein Pfeifen

und ging zum Fenster

Auf einem Kirschbaum –

Dämmerung füllt den Garten –

Saß ein junger Mann mit geflickter Hose

Und pflückte lustig meine Kirschen.

Mich sehend

Nickte er mir zu, mit beiden Händen

Holte er die Kirschen von den Zweigen

in seine Taschen.

Noch eine ganze Zeitlang,

als ich wieder in meiner Bettstatt lag

Hörte ich sein lustiges kleines Lied pfeifen.

Nur ein schmaler bunter Streifen blitzt noch hinter der grauen Baufassade hervor. Dahinter ist der Frieden begraben. 31 Jahre grüßte der Kirschbaum auf blauem Grund an der Fassade des Hauses in der Berliner Allee 177 vorbeifahrende Autos und Fußgänger: Gemalt nach dem Gedicht „Der Kirschdieb“ von Bertolt Brecht. Es war ein Friedensbild. Jetzt ist es von einem neuen Wohnhaus verdeckt. „Es hatte seine Zeit“, sagt Skip Pahler, der das Haus 1987 bemalte. Er steckt die Hände in die mit Farbklecksen bespritze Hose, zieht die Schultern zu den Ohren hoch und versucht gleichgültig dreinzublicken. Doch eigentlich kann er das nicht. Konnte er noch nie. Der 78-Jährige war immer einer, der den unbequemen Weg ging, der aneckte, um Denkanstöße zu geben. So wie mit dem Kirschdieb-Wandbild.

Im Auftrag des Kulturministeriums der DDR

Der Auftrag kommt 1987 vom Kulturministerium der DDR. Zur 750-Jahr-Feier sollen eine ganze Reihe Wandbilder Berlin verschönern. „Der Kirschdieb“ von Bertolt Brecht war ein Wunsch der Kommission, visualisiert nur wenige Meter entfernt vom kleinen Brechthaus, dem früheren Wohnhaus des Dramatikers. „Ich habe spät angefangen Brecht zu lesen“, sagt Pahler in seinem Atelier in Weißensee, in dem er täglich arbeitet. Mit dem Kirschdieb konnte er nichts anfangen und fragte sich: „Brecht, was willst du?“ Also erkundigt sich Pahler bei Forschungseinrichtungen, bei Brecht-Experten. Doch keiner konnte ihm den Sinn des Kirschdiebs erklären. Erst als Pahler die Entstehungszeit erfährt, versteht er: „1938. Brecht wusste, der Knabe muss in den Krieg. Er wusste, der würde womöglich gar nicht mehr oder wenigstens versehrt wiederkehren und vielleicht nie wieder auf einen Kirschbaum klettern können.“

Da war für den Berliner Künstler klar: „Das wird ein Anti-Kriegs-Giebel.“ Die leuchtenden Farben ließ er eigens für die Auftragsarbeit herstellen, das Bild fertigte er binnen fünf Tagen, frei Hand und ohne Raster. Im Grunde war der Friedensgiebel der Berliner Allee eine Plastik, eine Skulptur, die sich über zwei Häuser hinweg erstreckte: Groß und markant im Hintergrund das Hauptbild, klein und im Vordergrund die Moral des Kirschdiebs. Hinten groß der Kirschbaum auf blauem Grund. Eine Leiter lehnt am Baumstamm, daneben Brecht in schwarz-weiß, der aus dem Fenster blickt und vom Dieb, der auf einem Ast sitzt, ist nur ein Bein samt Holzschuh zu sehen. Ein Verweis auf den Künstler, der selbst stets nur barfuß in Holzschuhen läuft. Vorne, klein und ebenso ganz in dominantem Blau, der Teil des Gemäldes, der den Giebel erst zum Friedensgiebel werden ließ: Von rechts nähert sich ein Schwarm schwarzer Vögel, Vorbote des Zweiten Weltkriegs und links der Hahn, der als Mahner Brecht und dem Knaben auf dem Baum zuruft.

Ein Anti-Kriegs-Giebel. Ein Symbol, das, wenn es nach Pahler geht, eigentlich nicht aus dem öffentlichen Raum verschwinden darf: „Denn was wir nicht erreicht haben, das ist Frieden.“ Nur: Das Haus, an dessen Wand er einst das große Bild malte, steht nicht unter Denkmalschutz. Ebenso wenig das kleinere Nachbarhaus, das schon vor einem Jahr abgerissen wurde. Es ist das gute Recht des Architekten, das Wandbild auf unbestimmte Zeit zu verdecken. Nur guter Stil sei es nicht, findet Pahler.

Es ist nicht das erste seiner Fassadenbilder, das aus dem öffentlichen Raum verschwunden ist. Doch zum Kirschbaum hatte er ein liebevolles Verhältnis. Zum 30-jährigen Bestehen im vergangenen Jahr feierte er mit Freunden auf dem Gehweg der Berliner Allee: mit Kirschkuchen, belgischem Kirschbier und Kirschbrand.

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