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Berlin: Klagen bis zum jüngsten Tag

Schon über ein Jahr dauert die Auseinandersetzung zwischen den Mietern des ehemals besetzten Hauses Rigaer Straße 94 und dem Eigentümer Suitbert Beulker. Jetzt tritt der Konflikt in eine neue Phase.

Schon über ein Jahr dauert die Auseinandersetzung zwischen den Mietern des ehemals besetzten Hauses Rigaer Straße 94 und dem Eigentümer Suitbert Beulker. Jetzt tritt der Konflikt in eine neue Phase. Kurz vor Weihnachten wies das Landgericht Berlin eine Rahmenvertragsklage der Mieter ab und gab der Gegenklage des Eigentümers auf Räumung des Erdgeschosses und zweier Wohnungen statt.

Noch haben sich die Mieter nicht entschlossen, ob sie gegen das Urteil Berufung einlegen wollen, da sie im Fall einer erneuten Niederlage die Kosten von mehreren zehntausend Mark tragen müssten. Hinterhaus und Seitenflügel der Rigaer Straße 94 wurden - wie viele andere Häuser in Ostberlin - 1990 nach den tagelangen Straßenkämpfen in der Mainzer Straße besetzt. Die Besetzer wandelten das Haus in ein Wohnprojekt um, in dem heute 30 Menschen leben. "Wir haben offene Wohnstrukturen, das bedeutet, es gibt gemeinschaftlich genutzte Räume, Küchen und Bäder", erklärt Mieter Martin Schulz. "Die Wohnungstüren sind nicht abgeschlossen, das Treppenhaus gehört also zum Wohnraum dazu."

Im Erdgeschoss gibt es eine Fahradwerkstatt, die jeder nutzen kann, sowie die so genannte "Kaderschmiede", in der Konzerte, Parties, Lesungen und Informationsveranstaltungen abgehalten werden. Zu den Grundsätzen des Projekts gehört auch der "Versuch eines herrschaftsfreien Lebens", zumindest steht es so in der Selbstdarstellung. Schulz, der seit 1996 in der Rigaer Straße 94 wohnt, denkt marxistisch: "Dass mit Wohnraum als Eigentum Profit erwirtschaftet wird, halte ich für einen Systemfehler, denn Menschen müssen wohnen." 1991 gründeten die Mieter einen Verein und schlossen mit der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) als Verwalterin einen Rahmenvertrag sowie mehrere Einzelmietverträge - ein übliches Verfahren bei der Legalisierung von besetzten Häusern.

1998 wurde das in den dreißiger Jahren arisierte Haus an die Jewish Claims Conference (JCC) übertragen, die es zwei Jahre später an den jetzigen Eigentümer Suitbert Beulker verkaufte. Den mit der WBF abgeschlossenen Rahmenvertrag erkannte Beulker aber nicht an, statt dessen versuchte er im vergangenen Jahr, das Haus durch fristlose Kündigungen aller Einzelmietverträge zu entmieten. Vor Gericht wurden bis heute 16 Fälle abgewiesen. Zusätzliches böses Blut schuf ein Polizeieinsatz im Februar 2001, bei dem mehrere Wohnungen widerrechtlich aufgebrochen wurden. Da Beulker nach dem Kauf des Hauses eine Absichtserklärung zum Abschluss eines aktualisierten Rahmenvertrags unterschrieben hatte, dem dann aber nicht nachgekommen war, verklagte ihn der Verein. Das Gerichtsurteil vom 20. Dezember war für die Bewohner eine unangenehme Überraschung: Es bedeutet, wenn es rechtskräftig wird, dass der alte Rahmenvertrag nichtig ist. "Damit bekommt Beulker das Haus aber nicht leer", so Jörg Czech, der die Mieter als Rechtsanwalt vertritt, "denn die Einzelmietverträge gelten weiter. Aber es wäre das Ende des Vereins und des Wohnprojekts."

Eine Berufung würde sich anbieten, so Czech, denn "monatelang war das Gericht der Auffassung, dass die Absichtserklärung von Suitbert Beulker bereits die Annahme eines neuen Vertrages sei." Im Urteil erscheine dieser Punkt plötzlich nicht mehr.

Noch bis zum 8. Februar haben die Bewohner Zeit, um Berufung einzulegen. Heute rufen sie zu einer Demonstration für den Erhalt ihres Wohnprojektes auf. Die Veranstalter rechnen mit bis zu 500 Teilnehmern.. Obwohl Jörg Czech betont, dass Suitbert Beulker vom Kauf des Hauses Rigaer Straße 94 zurücktreten könnte, da ihn die JCC nicht ausreichend über die dortigen Wohnverhältnisse informiert habe, erscheint eine außergerichtliche Einigung zwischen Mietern und Eigentümer extrem unwahrscheinlich. Beulker, der gestern für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung stand, hat bisher gegen elf abgewiesene Kündigungen Berufung eingelegt. Nach Aussage der Mieter will er "bis zum jüngsten Tag klagen".

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