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Markus Krönert (links) und Maxim Wermke von der J-Meingut AG präsentieren ihr alternatives Bier "Jesöff" vor einem Späkauf in der Sonntagstraße in Berlin-Friedrichshain.Jesöff

© Patrick Volknant

Klassenkampf der Billigbiere: "Jesöff" aus Berlin soll Oetkers "Sterni" aus linkem Milieu verdrängen

Maxim Wermke und Markus Krönert wollen dem „Sterni“ an den Kragen. Mit kleinem Preis und Spendencharakter soll ihr „Jesöff“ zum neuen Szenebier werden.

Es gilt als Inbegriff des linken Lebensgefühls, das „Sterni“ aus dem Berliner Spätkauf um die Ecke. Mit dem Kult, der sich um das Sternburg-Bier in den letzten Jahren entwickelt hat, kann die Marke inzwischen sogar Merchandise verkaufen. Maxim Wermke stößt all das das übel auf: „Die Leute laufen in roten Trainingsanzügen und Pullis rum, wissen aber offenbar nicht, dass ihr geliebtes Szenebier zu Dr. Oetker gehört.“

Dass Sternburg auf der einen Seite systemkritisches Punkbier sein will, auf der anderen Seite aber einem Großkonzern untersteht, hält der 30-jährige Berliner für unvereinbar. Zusammen mit Markus Krönert, dem zweiten Vorstandsmitglied der J-Meingut AG will Wermke nun das Sterni vom Himmel holen. „Jesöff“ heißt ihr neues Bier, das den Platz stattdessen für sich beansprucht.

Beim „ersten sozialen Berliner Billigbiers“, wie es auf der Webseite der Marke heißt, soll sich alles um Gemeinwohlorientierung drehen. „Wo sich große Firmen niederlassen, tun sie der Gemeinde zwar erst mal Gutes“, sagt der 32-jährige Krönert, „aber insgesamt zwacken sie der Gesellschaft mehr ab, als sie ihr am Ende zurückgeben.“ Der gesamte Markt werde von einigen großen Playern dominiert, Eigentumsstrukturen ließen sich nur schwer zu durchblicken.

Die beiden Jungunternehmer hingegen wollen Profitorientierung und Intransparenz nicht nur entsagen, sondern sich zu ihr zwingen. Deshalb fiel die Wahl auf die Rechtsform einer Aktiengesellschaft. „Auch wenn es kompliziert ist, schafft es die AG, dass wir eine nicht gewinnorientierte Richtung festlegen können“, sagt Wermke. Diese könne nur dann umgelegt werden, wenn sich alle Mitglieder der AG gleichzeitig für den Profit aussprächen.

„Ich weiß, dass eine Aktiengesellschaft jetzt erst mal nicht nach Gemeinwohl klingt“, ergänzt Krönert, „aber mit unserer Aktie kann man nicht machen, was man von einer Aktie erwarten würde.“ Bei Jesöff soll es weder Gewinnausschüttungen an die Aktionäre geben, noch dürfen diese ihre Anteile ohne einstimmige Genehmigung des Vorstandes verkaufen. Der Aktienpreis soll niedrig gehalten werden. „Wer bei uns mitmachen will, braucht nicht mehr als einen Personalausweis und 25 Euro“, sagt Krönert.

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Gegründet wurde die J-Meingut AG bereits 2016. Unter wechselnden Vorständen, aber immer unter Beteiligung Wermkes, verkaufte das Unternehmen unterschiedliche Getränke wie Cola, Saft und eine Mate-Alternative. Erst 2020 stieß Krönert in den Vorstand hinzu und es startete die Crowdfundingkampagne für ein alternatives Sterni.

In etwas mehr als einem Monat wurde das erste Zwischenziel von 10.000 Euro erreicht. Laut Krönert sorgte die Kampagne nicht nur Finanzierung, sondern zugleich auch für Marktforschung und PR: „Die Aussage ist doch, dass wir den Leuten nicht einfach nur ein Bier geben, sondern es mit ihnen zusammen machen wollen.“

Eroberung der Spätis

Auch beim nächsten Schritt wird es wieder auf die Community ankommen. Jesöff-Fans sollen selbst für die Verbreitung des Bieres sorgen, es im eigenen Lieblings-Späti vorstellen. Erklärtes Ziel ist, das neue Sterni in jedem zweiten Laden in Berlin unterzubringen. Bis jetzt vertreiben etwas mehr als 30 Spätkaufs das Getränk. Erste Gespräche mit Supermärkten laufen jedoch bereits.

Eine Flasche Leipziger Bier "Sternburg Export" ("Sterni") neben "Jesöff", einem Pils der J-Meingut AG aus Berlin.
Eine Flasche Leipziger Bier "Sternburg Export" ("Sterni") neben "Jesöff", einem Pils der J-Meingut AG aus Berlin.

© J-Meingut AG

Wie auch das Sternburg-Bier befindet sich das Jesöff im Segment der Billigbiere. Je nach Späti kostet das Bier aktuell zwischen 80 Cent und einem Euro je Halbeliterflasche. Den niedrigen Preis ermöglichen Wermke und Krönert durch effiziente Logistik, Masse in der Produktion und natürlich dem Engagement von Ehrenämtlern. „Der Vertrieb, die Werbung und Organisation – für all das müssen wir kein Geld ausgeben“, sagt Wermke. Zudem verzichte man eben auf die Gewinnmarge.

Trinken und enteignen

Pro verkaufter Liste bleiben laut Wermke und Krönert 50 Cent über, die an gemeinwohlorientierte Projekte gespendet werden. Während 20 Cent an den eigenen Trägerverein „Jayvolution Berlin“ für die Stärkung zwischenmenschlicher Beziehungen gehen, bleiben 30 Cent für andere Organisationen, wie etwa den alternativen Sportverein „Roter Stern Berlin“.

Über 30.000 Euro im Jahr soll das „Jesöff“ auf diesem Wege einem guten Zweck zukommen lassen. Mit der frei belegbaren Rückseite des Bieres wollen Wermke und Krönert außerdem auf diverse Aktionen aufmerksam machen. Für den kommenden Februar ist etwa geplant, die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ auf diese Weise zu unterstützen.

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Abgesehen von seiner sozialen Komponente soll Jesöff aber ganz Sterni sein. Für die Auswahl der Brauerei führte der Vorstand Verkostungen mit Sternburg-Trinkern aus dem eigenen privaten Umfeld und später auch öffentlich, im Rahmen der Kampagne durch. „Wir wollten beim Geschmack durchaus eine Verwechselbarkeit erreichen“, sagt Wermke. Schließlich fiel die Wahl auf das Exportbier einer lokalen, thüringischen Brauerei, die Vereinsbrauerei Greiz.

Faire Arbeitsbedingungen oder eine biologisch nachhaltige Produktionsweise spielten bei dem Auswahlprozess eine untergeordnete Rolle. Bei Jesöff gehe es um die „systemische Wirkung“ und nicht darum, ein möglichst faires Bier zu verkaufen, sagt Krönert: „Du kannst Bio und Fairtrade kaufen, aber wenn du dann CDU wählst, ist das eben nichtig.“ Wermke beteuert, dass man es mit der Brauerei Greizer trotzdem gut getroffen habe, was die Rahmenbedingungen angeht.

Wer darf entscheiden?

Wie Sternburg-Bier bietet das Jesöff einen eher pragmatischen Biergenuss. Auch bei den Kopfschmerzen am nächsten Morgen lässt sich kein Unterschied zu seinem Pendant aus Leipzig feststellen. Was zählen soll, ist die politische Vision, die Wermke schon auf dem Etikett, einer roten Sternschnuppe auf schwarzem Untergrund, vermitteln will: „Der Kosmos ist Allgemeingut, keine Nation erhebt Anspruch auf ihn.“ Auch das Unternehmen beschäftige sich letztlich mit diesen Fragen: „Wem gehört was und wer darf darüber entscheiden?“

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