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Berlin: Klassentreffen der Kapitalisten - 8000 Aktionäre kamen ins ICC

Nur einen Schritt, und der kleine grau melierte Herr hätte es hinaus geschafft an die frische Luft. Doch auf der Schwelle stellt sich ihm ein Sicherheitsmann in den Weg.

Nur einen Schritt, und der kleine grau melierte Herr hätte es hinaus geschafft an die frische Luft. Doch auf der Schwelle stellt sich ihm ein Sicherheitsmann in den Weg. "Tut mit leid, hier ist nur Einlass. Sie müssen zurück durch den ausgeschilderten Ausgang." Doch ein DaimlerCrysler-Aktionär lässt sich nicht einfach den Weg versperren: "Ich kann doch hinausgehen, wo ich will. Dies ist ein freies Land." Aber auch für die Aktionäre des größten Konzerns der Welt hat die Freiheit ihre Grenzen. Wer gestern im ICC am Messegelände die erste Jahreshauptversammlung nach der Fusion von DaimlerCrysler verlassen wollte, der musste sich schon an die Regeln halten.

Manchen Aktionären war morgens ab acht Uhr schon die Eingangsprozedur auf den Magen geschlagen, bevor sie sich drinnen bei kostenlos gereichten Speisen und Getränken wieder beruhigen konnten. "Schlecht organisiert", urteilte Herr von Arnim, der mit seiner Frau aus Darmstadt angereist war. "Eine halbe Stunde haben wir Schlange gestanden", sagt er, und Frau von Arnim legt nach: "Wie die Tiere haben die uns reingeschoben."

"Bei tausenden Besuchern gibt es eben mal ein bisschen Gedränge." Michael Kunz, Aktionär aus Berlin, findet das ganz normal und keiner Aufregung wert. "Der Rummel und das ganze Drumherum" interessiere ihn ohnehin mehr als die eigentliche Versammlung, sagt der 59-Jährige. "Was da geredet wird, kann man ja alles nachlesen", sagt er und deutet auf seine Papiertasche mit der Firmenaufschrift, in der jeder Aktionär den zahlengespickten Geschäftsbericht mit sich herumträgt. Michael Kunz scheint nicht der einzige zu sein, der in erster Linie zum "Rummel" gekommen ist. Etwa 8000 DaimlerCrysler-Aktionäre haben sich um die Mittagszeit im ICC eingefunden. Hunderte haben sich in den Gängen und Foyers verteilt, lassen sich von livriertem Personal belegte Brötchen und kühle Getränke reichen. Was in der Aktionärsversammlung im großen Saal vorgeht, übertragen Monitore und Lautsprecher zwar in jeden Winkel des Kongresszentrums, doch das Spiel "Aktionäre fragen, Manager antworten" bereichert das allgemeine Stimmengewirr nur um eine weitere Note. Vor den Bildschirmen hält sich kaum jemand länger auf.

Für die Betreuung der Gäste sorgen 150 Mitarbeiter des Konzerns und weitere 100 Hostessen. "Azubis aus unseren Niederlassungen in Berlin und Brandenburg und Studenten", erklärt Konzernsprecher Udo Sürig im Presseraum im ersten Stock, wo einige der 135 Journalisten aus aller Welt ihre Laptop-Tastaturen malträtieren. Aktionärshelferinnen nennt Sürig die jungen Frauen. Ihre himmelblauen Sweatshirts tragen die Aufschrift "shareholder service", was ungefähr dasselbe bedeutet, nur eben in International. Eine von ihnen ist Patricia Rumpf. Die 21-Jährige studiert Betriebswirtschaft in Potsdam ist seit sechs Uhr früh für DaimlerCrysler auf den Beinen. Sie ist zum ersten Mal im Hostess-Einsatz, und auf einer Aktionärsversammlung war sie auch noch nie. Ein unschlüssiger Blick reicht, und Patricia ist wie ihre Kolleginnen mit einem entschlossenen Lächeln und einer Hilfsbereitschaft zur Stelle, der sich kein Aktionär entziehen kann. Das zweitägige "Briefing" im "shareholder service" hat seine Wirkung getan.

Jürgen Prochnow - der zwar so heißt wie der pockennarbige Schauspieler, aber ganz anders aussieht - kommt mit seinem Bruder Klaus und dessen Frau gerade aus Saal 2, wo sie die DaimlerCrysler-Manager auf Großbildleinwand gesehen haben. Sie haben die Hauptversammlung zu einem Familientreffen genutzt. "Wir waren auch schon auf den Jahresversammlungen von Siemens und Lufthansa", erzählen sie. Aktien verbinden eben. Doch so ganz zufrieden sind die Brüder Prochnow nicht. Gerne wären sie im großen Saal 1 dabei gewesen, um die Manager leibhaftig zu erleben. Doch die entsprechenden Zugangskarten hätten sie nicht bekommen. "Das ist hier eine Zwei-Klassen-Gesellschaft", sagt Klaus Prochnow.

Die Vorlesungspause im Uni-Stundenplan haben die beiden Jungaktionäre Thomas Hammer und Carmen Farchin genutzt, um die Aktionärsversammlung im ICC zu besuchen. "Nach Stuttgart haben wir es im letzten Jahr nicht geschafft", sagt der 25-jährige Musik- und Mathematik-Student. Er habe zwar auch Titel vom Neuen Markt, aber in DaimlerCrysler habe er "langfristig angelegt, auch in Richtung Rentensicherung", sagt Thomas Hammer und lächelt seiner Freundin zu.

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