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Berlin: Klassenziel: Täter finden

Nach  zwei Amokdrohungen wird am Schadow-Gymnasium wieder unterrichtet. Die Schüler rätseln über die Motive des Urhebers

Max und Moritz zählen Mitschüler. Aus ihrer 7b sind an diesem Mittwochmorgen schon elf gekommen, eine halbe Stunde vor Schulbeginn. „Am Montag waren aus unserer Klasse am meisten da”, sagt Moritz stolz und beobachtet weiter aufmerksam den Strom der Kinder und Jugendlichen auf dem Weg ins Schadow-Gymnasium. Zwei Tage ist es nun her, dass viele Schüler nach einem im Internet angedrohten Amoklauf dem Zehlendorfer Gymnasium fernblieben. Die Polizei stufte den Interneteintrag als „nicht ernsthaft“ ein – doch eine erneute Amoklauf-Drohung führte dazu, dass Schulleiter Harald Mier für Dienstag offiziell den Unterricht absagte.

Auch die zweite Drohung gilt inzwischen als „nicht ernsthaft“, jetzt soll in den roten Ziegelmauern des ältesten Zehlendorfer Gymnasiums langsam wieder der Schulalltag einkehren. Und tatsächlich herrscht um kurz vor acht eine entspannte und geschäftige Atmosphäre vor und im Gebäude, keiner der Schüler wirkt verunsichert. „Richtig Angst hatten wir sowieso nicht“, sagt ein Neuntklässler, ein anderer fügt hinzu: „Außerdem vertraue ich Herrn Mier.“

Überdurchschnittlich viele Eltern bringen an diesem Morgen ihre Kinder direkt bis ans Schulgebäude. Dort bietet sich ihnen ein ungewöhnliches Bild: Ein Polizeibeamter in Uniform steht für Fragen bereit. Und auch Schulleiter Harald Mier wartet am Eingang, zusammen mit einigen Lehrern. Sie begrüßen die rund 950 Schüler des Gymnasiums mit einem Lächeln hier und einem netten Wort da. „Vorrangig ist, dass Schüler und Eltern sich wieder sicher fühlen“, sagt Harald Mier. Geplant sei, die Schüler in Ruhe über die Vorfälle und Entscheidungen der letzten Tage zu informieren und mit ihnen auch über die Vor- und Nachteile des Internets und die Gefahren der Anonymität im Netz zu sprechen.

Beide Amoklauf-Drohungen wurden auf der bereits seit längerem in der Kritik stehenden Internetseite iShareGossip.com veröffentlicht. Hier können Jugendliche ihre Meinung zu Mitschülern und Lehrern veröffentlichen. Der Umgangston ist oft ausgesprochen rüde und beleidigend, es werden konkrete Namen genannt, oft wird über das Aussehen oder über angebliche Sexpraktiken der betroffenen Schüler gelästert. Der Seitenbetreiber wirbt damit, dass „auch nicht die Polizei“ die Identität der Nutzer ausfindig machen könne. Das stachelt manche Nutzer zu besonders drastischen Kommentaren an. „Diese Seite ist ein Verbrechen und gehört sofort abgeschaltet“, sagt die Mutter eines Siebtklässlers an diesem Morgen. Ihr steckt der Schrecken der vergangenen Tage noch in den Knochen. „Früher hätte ich vielleicht gedacht, der Mist, der dort von ein paar Idioten scheinbar ohne Grundschulbildung geschrieben wird, ginge mich nichts an“, sagt sie. Nun, da „diese erschreckende Parallelwelt“ in ihr Leben eingebrochen sei, würde sie anders denken. „Da viele Eltern große Ängste ausgestanden haben, wird eine außerordentliche Sitzung der Gesamtelternvertretung stattfinden“, sagt deren Vorsitzender Stephan Braum. Auf dem Treffen soll unter anderem über die Frage beraten werden, wie man in solchen Belastungssituationen mit den eigenen und den Ängsten des Kindes umgehen kann.

Die meisten der Gymnasiasten beschäftigt indes anderes: Wer hat die Drohungen geschrieben – und wird er gefunden und bestraft? Die Polizei hält es auch für möglich, dass gleich mehrere Jugendliche hinter den Aktionen stecken. Viele Schüler scheinen zu vermuten oder sogar zu wissen, wer der oder die Übeltäter waren. „Eigentlich wollte derjenige mit seinem Eintrag bloß auf den Schwachsinn dieser Internetseite aufmerksam machen“, sagt eine Schülerin der zehnten Klasse. Doch die Grenzen der Ironie habe er offensichtlich nicht begriffen.

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