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Klaus Wowereit: Berlins roter Baron

Klaus Wowereit ist in der Berliner SPD eine Art Popstar, und er verbreitet den Eindruck, das müsse reichen. Wahlkampf jedenfalls macht er am Rande auftrumpfender Selbstgewissheit.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Ein Tisch und zwei Stühle. Mehr steht nicht auf der Bühne. Vorn auf der Rampe sitzt Klaus Wowereit und philosophiert über die Frage, was einen Schauspieler von einem Politiker unterscheidet. „Die einen schlüpfen in eine Rolle und lernen Texte auswendig“, sagt Berlins Regierender Bürgermeister. „Das sollten Politiker nie tun.“ Er ist, wie jeden Tag seit Anfang August, auf Wahlkampftour. In der privaten Schauspielschule Charlottenburg, neben dem örtlichen Rathaus, sitzen die jungen Schüler auf den Zuschauerbänken des Proberaums und schauen hinunter auf den Gast im dunklen Anzug.

Gelegentlich habe er Angebote für kleine Gastrollen angenommen, sagt Wowereit. Etwa im Kinofilm „Alles auf Zucker“. Das sei lustig gewesen. „Ansonsten spiele ich nur mich selbst, als Politiker muss man authentisch bleiben.“ Damit hat der SPD-Spitzenkandidat, der am 18. September zum dritten Mal die Abgeordnetenhauswahl gewinnen will, keine Probleme. Er ist so, wie er ist. Seit zehn Jahren regiert der gebürtige Berliner die Hauptstadt mit Zuckerbrot, Peitsche und wechselnden Erfolgen.

„Selten fielen mir so viele Gegensätze bei einem Politiker auf wie bei Klaus Wowereit“, schreibt die Linken-Politikerin und ehemalige Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner in ihrer jüngst erschienenen Biografie. „Einerseits eine überraschend herzliche Zugewandtheit, andererseits ein Poltergeist, der einen in Senatssitzungen in Minutenschnelle plattzumachen verstand.“ Jetzt dominiert die herzliche Zugewandtheit. Wowereit als Landesvater und Weltbürger, als netter Nachbar, der die Oma an der Hand nimmt oder sich von frechen Kindern mit dem Stoffkrokodil in die Nase zwicken lässt. Das personifizierte Wir-Gefühl. Die Plakate kennt derweil jeder, alle schwarz-weiß. „Ich bin schillernd genug“, sagt der SPD-Mann dazu. Nur Helmut Kohl hat sich im Wahlkampf 1994 einen Schritt weiter getraut. Mit einem Foto, das den Kanzler beim Besuch in Stendal zeigte, ohne ein Wort, nicht einmal CDU stand auf dem Großplakat.

Klaus Wowereit ist eine Kultfigur. Lesen Sie weiter auf Seite 2.

Das trauen sich die Berliner Genossen nun doch nicht. Stattdessen werden seit ein paar Tagen alle Plakate mit roten Aufklebern verziert: „Wer Wowereit will, muss SPD wählen.“ Ohne ihn wäre und bliebe seine Partei in Berlin nicht an der Spitze der Macht. Der Kandidat der Sozialdemokraten trifft den Ton, er steht für das Lebensgefühl der Stadt. Gewiss nicht alle Berliner fühlen sich angesprochen, aber es könnte für die SPD mal wieder reichen, um weiterzuregieren. Im kollektiven Gedächtnis der Berliner Sozialdemokratie ist die Legende Willy Brandt noch fest verankert, an der sich auch Wowereit nicht messen will und kann. Trotzdem hat die Partei mit ihm eine neue Kultfigur. Einen Menschenfänger, der herrisch und besserwissend, aber auch Herzen zerschmelzend charmant sein kann.

Da zeigt ein Mädchen, das auf dem Heimweg von der Schule den Regierungschef auf einer Kiezwanderung abfängt und ein Autogramm erhascht, den eigenen Kugelschreiber beglückt der Mutter. „Den hat er sogar angefasst, meinen Stift.“ Überall ein großes Hallo, wenn er mit strammem Schritt auf der Suche nach Wählern durch die Straßen marschiert. Tuscheln, lachen, Fotowünsche, die fast immer erfüllt werden. Manchen geht das auf die Nerven. „Wissen Sie“, raunt eine Frau mittleren Alters auf einer Kieztour mit Wowereit: „Ich bin nicht mehr so ein Fan von ihm, also diese Selbstbeweihräucherung, das ist mir zu viel.“

Aber noch hat der politische Popstar genügend Fans. Wenn es der SPD hilft, trällert er ihnen sogar ein Ständchen, so wie im Geriatriezentrum „Ida Wolff“ der Arbeiterwohlfahrt, wo Wowereits Oma einst gepflegt wurde. Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky und Parteichef Sigmar Gabriel singen mit, auch wenn es nicht zum Wahlziel passt: „Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt ...“ Die Senioren finden das schön. Alle sollen mit ins Boot der Wowereit’schen Volksbewegung für die Wiederwahl: Alte und Junge, Migranten und Urdeutsche, Wirtschaftskapitäne und Sozialmieter, Klimaschützer und BMW-Fahrer. Er zelebriert einen Wohlfühl-Wahlkampf, den die Opposition kaum stören konnte. Wer ergänzend das SPD-Wahlprogramm lesen möchte, bitte schön! „Das gibt’s bei uns gratis“, sagt der Kandidat. Nicht wie bei der CDU für 50 Cent.

Ein halbes Jahr lang haben die Gremien der Landespartei, vom Ortsverband bis zum Vorstand, in Konferenzen und Klausuren an diesem Programm gebastelt, bis auch der letzte Konflikt herausgeschliffen war. Die Berliner SPD ging in den Wahlkampf, als wäre sie aus einem Block gemeißelt. Zwischen Spandau und Marzahn, Reinickendorf und Köpenick agiert sie seit Wochen als emsiger Wowereit-Wahlverein. Gnadenlos wurden die Stadtquartiere mit mehr als 50 000 Wahlplakaten, Infoständen, Podiumsveranstaltungen, Straßenfesten oder nachbarschaftlichen Putzaktionen überzogen. „Powerplay 35“ heißt der flächendeckende Wahlkampf, der die Sozialdemokraten 1,7 Millionen Euro kostet. Maßgeblich unterstützt von der Agentur Butter, die unter anderem Bombardier und Mövenpick bewirbt – und seit 2001 den Berliner SPD-Spitzenkandidaten.

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Wowereit ist zufrieden und lächelt versonnen: „Es läuft gut, Wahlkampf ist schön, da brauche ich keinen Urlaub.“ Noch vor zwei Jahren, nach der Bundestagswahl, die für die SPD zum Desaster wurde, lag auch der Berliner Landesverband am Boden. Im Roten Rathaus saß ein amtsmüder Wowereit, der sich von einem SPD-Kreischef sagen lassen musste, dass die Partei nicht dafür da sei, „die Rücksitze der Dienstwagen des Landes warmzuhalten“. Zwei Monate später war er Vize-Chef der Bundespartei und im Januar 2010 feierte ihn die SPD-Abgeordnetenhausfraktion auf einer Klausurtagung in Thüringen, als ihm mit einer „Eisenacher Erklärung“ der Neustart glückte. Wirtschaft und Soziales, Bildung und Integration, mit diesen Themen verbinden die Berliner Genossen seitdem den Anspruch auf viele weitere Regierungsjahre unter Führung der SPD.

Dabei sitzt Wowereit schon seit zehn Jahren im Berliner Rathaus. Erst im Juli hat die SPD-Fraktion das Amtsjubiläum gefeiert. „Für uns Berliner ist Berlin perfekt. Wir haben es trotzdem verbessert“, stand in einer Hochglanzbroschüre der Sozialdemokraten. Es gibt mehr Arbeitsplätze, aber trotzdem hat Berlin immer noch die meisten Arbeitslosen. Der Kitabesuch ist gratis, aber es fehlen 6000 Kita-Plätze. Neue Radwege wurden angelegt und Bäder saniert, aber die Mieten steigen stetig. Die Stadt bleibt eine große Baustelle, aber das kreiden viele Wähler nicht dem Mann an der Spitze an.

Der absolvierte und absolviert täglich fünf bis sechs Wahlkampftermine. Mit kleinem Gefolge steht Wowereit bei „Konnopke’s Imbiss“ an der Schönhauser Allee. Eben hat es noch heftig geregnet, aber jetzt blinzelt er wieder in die Sonne. Vor sich eine Currywurst mit Pommes, die er in aller Ruhe verspeist. Hier, im Pankower Wahlkreis 8 lagen die Grünen bei der letzten Wahl mit 34,6 Prozent vor den Sozialdemokraten. Für Wowereit ein Grund mehr, die Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast kleinzureden. „Ich kann mir die Konkurrenz doch nicht aussuchen.“ Damit ist für ihn alles gesagt, und er lässt sich eine Stofftasche reichen. Knuddelige Plüschtiere sind da drin, Wowi-Bären für die Wurstverkäufer. Maskottchen, die überall reißenden Absatz finden.

Das ist der Wahlkampf 2011 in Berlin. Brennende Autos? Die Empörung flammte heftig auf, um wieder zu verglühen. Falsche Flugrouten? Ein Problem am Müggelsee. Steigende Mieten? Wer aus Hamburg oder Stuttgart an den hippen Kollwitzplatz zieht, hat vorher teurer gewohnt. Berlin hat viele Probleme, aber die Stadt saugt sie auf wie ein Schwamm. Eine Woche vor der Wahl gibt es immer noch kein Thema, das die Wahlentscheidung der Bürger maßgeblich beeinflussen könnte. Den verkorksten Sommer haben die Berliner stoisch hingenommen, auf die Wahl am 18. September reagieren sie nicht anders. „Bitte vormerken“, sagt Wowereit und zeigt beim Rundgang in Prenzlauer Berg auf die monumentale Backsteinfassade der Kulturbrauerei. „Da ist am 18. September unsere große Party.“ Alle Meinungsumfragen deuten darauf hin, dass die Berliner Sozialdemokraten Grund zum Feiern haben könnten. Nämlich den Wahlsieg samt Regierungsauftrag bis 2016.

So wie es jetzt aussieht, mit den Grünen, die sich in diesen letzten Tagen vor der Wahl mental darauf einstellen, Juniorpartner der Sozialdemokraten zu werden. Deren Fraktionschef Volker Ratzmann schwärmt bereits von der „Kraft des rot-grünen Milieus, das Berlin nach vorne bringen wird“. Angeblich haben auswärtige Sozialdemokraten mit Regierungserfahrung schon Interesse bekundet, in den Berliner Senat berufen zu werden. Die Stadt ist attraktiv und Wowereit eine Herausforderung. Zwar muss der Spitzenkandidat bei der Postenvergabe den eigenen Nachwuchs bedienen, der nach vorn drängt. Aber er wird sich die Auswahl des Regierungspersonals, wenn er denn Regierender Bürgermeister bleiben sollte, nicht von den innerparteilichen Grüppchen diktieren lassen. Nur der engste Vertraute, SPD-Landeschef Michael Müller, hat ein eingeschränktes Vetorecht in personellen Fragen.

Ansonsten lässt Wowereit in den eigenen Reihen keine Zweifel aufkommen, wer das Sagen hat. So wie im Park-Inn-Hotel am Alexanderplatz. „Höher hinaus geht es nicht“, sagt der junge Mann im dunklen Anzug, der die Gäste mit dem Expresslift in die 37. Etage befördert. Die Stadt zu Füßen der SPD. Zwölf Kandidaten, die Bezirksbürgermeister werden wollen, stehen dort aufgereiht, leutselig ruht der Blick des Chefs auf ihnen. „Ich möchte mehr sozialdemokratische Bürgermeister sehen“, sagt Wowereit. Nur Heinz Buschkowsky erlaubt sich eine kokette Bemerkung: „Vor 1920 war Neukölln eine stolze preußische Stadt, dann wurde sie leider von Berlin annektiert.“ Mir kann keener, will er damit sagen, auch du nicht im Roten Rathaus. Wowereit lächelt milde.

Er braucht Buschkowsky, weil der mit seiner Weltsicht weit in die gesellschaftliche Mitte zielt, und für den Wahlkampf in Neukölln zieht er sich sogar ein T-Shirt mit dem Konterfei des berühmten Bezirkschefs über. Wowereit braucht auch den Finanzsenator Ulrich Nußbaum, der 2009 aus Bremen kam, als parteilosen Mittler zwischen dem linken SPD-Landesverband und dem Berliner Mittelstand. Selbst Ehrhart Körting ist als Garant für Recht und Ordnung noch unverzichtbar, obwohl dem Innensenator bei der misslungenen Kür eines neuen Polizeipräsidenten ein schwerer Fehler unterlief. Die SPD möglichst breit aufstellen, mit populären Leuten, die sich nicht dem Ortsverband verpflichtet fühlen. Das ist Wowereits Rezept.

Ein Erfolgsrezept – in Berlin. Aber geht es für ihn noch ein Treppchen höher? Wenn der Regierende Bürgermeister beim Kamingespräch der Ministerpräsidenten in die Runde schaut, sitzt da nur noch der Pfälzer Kurt Beck mit mehr Dienstjahren auf dem Buckel. Beck wird nicht mehr Kanzlerkandidat der SPD. Aber vielleicht Wowereit? Ein Wahlergebnis knapp über 30 Prozent könnte reichen, dass die Bundespartei am Wahlsonntag nach 18 Uhr mehr als nur pflichtgemäßen Beifall spendet. Immerhin hat ihn die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles vorauseilend geadelt als jemanden, der „auch für Höheres geeignet“ sei.

Wer Wowereit darauf anspricht, kann zwischen gestanzten Formeln wählen: „Ich will auch die nächsten fünf Jahre Regierender Bürgermeister sein.“ Oder: „Ich bleibe in Berlin.“ Beides ist so zweideutig, wie es eindeutig klingt. Er hat ein Talent, nervenstark abzuwarten. Schon bevor der SPD-Mann aus Lichtenrade 1984 jüngster Stadtrat in Berlin wurde, entwickelte er sein Karriererezept: Wenn sich eine Bresche bietet, springe ich rein.

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