zum Hauptinhalt
Klaus Wowereit regierte Berlin 13 Jahre. Seine neues Buch heißt "Sexy, aber nicht mehr so arm – mein Berlin".

© Kai-Uwe Heinrich

Klaus Wowereit: „Es darf in der Politik auch mal gelacht werden“

Klaus Wowereit freut sich, dass manche Menschen ihn vermissen und wünscht sich Politiker mit Profil. Die umstrittene Sparpolitik war angesichts von Milliardendefiziten richtig, sagt Berlins ehemaliger Regierungschef im Interview.

Von

Herr Wowereit, Sie haben wieder ein Buch geschrieben. Ist bei Ihnen Langeweile ausgebrochen?

Ach was. Ich bin weiter neugierig auf Berlin. Und hoffentlich sind auch noch viele Leute neugierig auf mich.

Im Vorwort schreiben Sie, dass Berlin die Hauptstadt aller sein soll, nicht nur der Berlinerinnen und Berliner.
Für andere Hauptstädte in Europa und der Welt ist diese Rolle selbstverständlich. Aber Berlin hat eine schwierige Vergangenheit und wurde erst nach einer knappen Entscheidung des Bundestags Parlaments- und Regierungssitz. Zu verstehen, dass auch der föderale deutsche Staat eine starke Hauptstadt braucht, die das Land nach außen repräsentiert, musste erst gelernt werden. Noch immer gibt es Konkurrenz mit anderen deutschen Städten, die Angst haben, dass ihnen etwas weggenommen wird. Und leider haben die Berliner oft zu wenig Selbstbewusstsein, wenn es um ihr Bild von der eigenen Stadt geht. Die hauen da lieber selber noch mal drauf.

Beim Spatenstich für den BER am 05.09.2006 hatte Klaus Wowereit (3.v.l.) noch gut lachen.
Beim Spatenstich für den BER am 05.09.2006 hatte Klaus Wowereit (3.v.l.) noch gut lachen.

© Patrick Pleul/dpa

Aber wie viel Berlin steckt denn noch in Berlin? Wächst nicht auch innerhalb der Stadt die Konkurrenz – zwischen den Alteingesessenen und den Zugewanderten, denen die Schuld daran gegeben wird, dass es in der Hauptstadt immer enger, stressiger und teurer wird?
Es sind, so glaube ich, nicht die alten Berliner, die jammern. Sie haben die wechselvolle Stadtgeschichte selbst erlebt und viel ertragen müssen. Ich glaube, es sind eher jene, die noch nicht so lange hier sind, aber ein nettes Refugium für sich gefunden haben und sagen: Veränderung ja, aber nicht bei mir um die Ecke. Es kann aber nicht so bleiben wie es war. Diese Stadt hat nur in der Veränderung eine Chance.

Knapper Wohnraum, steigende Mieten – das ist ein großes Problem der wachsenden Stadt. Haben Sie das Thema in Ihrer Amtszeit unterschätzt, was würden Sie heute anders machen?
Hätten wir im vergangenen Jahrzehnt gewusst, dass Berlin so enorm wachsen würde, hätten wir keine öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften verkauft. Aus heutiger Sicht war das ein Fehler, damals war es angesichts des großen Leerstands naheliegend.

Was wäre denn heute, aus Ihrer Sicht, die richtige Wohnungspolitik?
Es muss neu gebaut werden, ganz klar. Aber die Mischung muss stimmen, damit nicht nur Luxusappartements, sondern bezahlbarer Wohnraum entsteht. Wir brauchen dafür zügige Baugenehmigungen, die aktuellen Zahlen befriedigen nicht. Die knappen Flächen müssen besser ausgenutzt werden, wir brauchen bauliche Verdichtung. Mietpreisbegrenzung bei Modernisierungen ist ebenfalls wichtig, aber auch genug Wohnungen für Studierende. Zurzeit sind es etwa 10.000, vielleicht brauchen wir 20.000 Studentenwohnungen. Und: Wir hatten früher viel mehr Seniorenwohnungen. Auch ältere Menschen müssen die Chance haben, mitten in der Stadt zu wohnen.

Wo sollen die neuen Wohnungen denn hin? Auf die Dächer, auf die Kleingartenanlagen, ins Umland?
Die Debatte um Platz ist wichtig. Aber ich finde, dass die Kleingartenkolonien nicht nur für die Laubenpieper, sondern für die ganze Stadt von ökologischem und sozialen Nutzen sind. Erst einmal sollten alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Man kann beispielsweise höher bauen, auch wenn das in Berlin nicht besonders populär ist. Aber es geht ja nicht um Wolkenkratzer.

"Ego-Trips sind fehl am Platz"

Als Genickbruch seiner SPD sieht Klaus Wowereit die Agenda 2010.
Als Genickbruch seiner SPD sieht Klaus Wowereit die Agenda 2010.

© Patrick Seeger/dpa

Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass Sie Berlin gemeinsam mit dem Finanzsenator Thilo Sarrazin kaputt gespart haben?
Die Menschen vergessen so schnell. Die Spardiskussion wurde in Berlin seit Mitte der neunziger Jahre geführt, in manchen Jahren schloss der Landeshaushalt mit einem Defizit von mehreren Milliarden Euro ab und die Pro-Kopf-Ausgaben lagen, wie Sarrazin nachwies, höher als in Bayern. Es war richtig, die Notbremse zu ziehen und einen Mentalitätswechsel einzuleiten. Wir haben trotzdem auch in den härtesten Sparrunden Prioritäten gesetzt, Lehrer- und Erzieherplätze geschaffen und in die Kitas investiert. Der Polizeivollzugsdienst und die Justiz wurden von den Kürzungen ausgenommen. Ja, wir haben die öffentliche Verwaltung verschlankt, das war schwierig, aber richtig. Genauso richtig ist es jetzt, wieder neue Stellen zu schaffen, weil Berlin wächst.

Rot-Rot-Grün hat derzeit keine Finanzprobleme, aber es fehlen Politiker mit Ecken und Kanten, die bei den Wählern ankommen. Sehen Sie noch interessante Hoffnungsträger in der Berliner Landespolitik?
Erstens wünsche ich mir, dass die Berliner SPD ihre führende Rolle als Regierungspartei behält und der Regierende Bürgermeister Michael Müller lange im Amt bleibt. Das ist klar. Aber es stimmt, dass es bundesweit immer weniger profilierte Politiker gibt. Könnten Sie mir aus dem Stand heraus alle 16 Ministerpräsidenten in Deutschland nennen? Selbst mir würde es schwer fallen.

Ein Berliner Shootingstar, die ehemalige Neuköllner Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey, hat es gerade ins Bundeskabinett geschafft.
Ich war überrascht, vor allem darüber, dass Frau Giffey auf dem Ost-Ticket Bundesfamilienministerin wurde. Aber Glückwunsch, sie hat nun die Chance, etwas umzusetzen. Was sie vorher in Neukölln gemacht hat, war erfrischend.

Der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh ist doch auch ein Genosse mit Ecken und Kanten, oder?
(lacht). Politik ist immer dann erfolgreich, wenn man gemeinsam etwas hinbekommt. Die Fraktion darf nicht gegen den eigenen Senat arbeiten, die Partei nicht gegen die Regierungsfraktion oder den Senat. Natürlich ist die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus ein Kraftzentrum mit sehr kompetenten und selbstbewussten Leuten. So etwas spürt auch ein Regierender Bürgermeister. Trotzdem ist Regieren eine Gemeinschaftsaufgabe, da sind Ego-Trips fehl am Platz. Ja, wir brauchen Menschen in der Politik, die eine eigene Geschichte zu erzählen haben, die interessante Ideen einbringen. Aber dies alles, bitteschön, im Team.

Sie beklagen in Ihrem Buch die Schnelllebigkeit und den Stress in der Politik, die kaum noch ein Privatleben zulassen. Führt das nicht auch dazu, dass Politiker immer stromlinienförmiger werden?
Zuerst einmal bitte ich darum, die Politiker und ihren schwierigen Job zu respektieren. Die meisten von ihnen arbeiten hart daran, die Welt zu verbessern. Was in dieser hektischen Zeit fehlt, das ist die Zeit, Grundsatzfragen in Ruhe zu diskutieren, auch intern, ohne das alles gleich herum getwittert wird. Die Zeit für Reflexion und Expertise wird in der Politik leider immer weniger.

Dagegen lässt sich nichts machen?
Gewerkschafter würden sagen, wir brauchen mehr Personal. Aber es gibt nur einen Regierenden Bürgermeister und der soll möglichst jederzeit überall sein. Und das Amt lässt sich nicht teilen. Aber es wäre beispielsweise schon hilfreich, eine Klausurtagung ohne Ergebnisdruck zu veranstalten. Mal in Ruhe und ohne schlechtes Gewissen nur zu diskutieren, Ideen zu suchen, aber auch ohne Gesichtsverlust verwerfen zu können.

Wäre ein Twitter-Verbot für führende Politiker hilfreich?
Na ja, ich weiß gar nicht, wer so alles in der Gegend herum twittert. Ich mache das nicht. Problematisch finde ich, wenn durch Tweets oder mit Durchstechereien Denkprozesse zerstört werden, die Vertraulichkeit verdienen. Manches ist aber einfach nur blöde. Über mich wurde mal getwittert, ich hätte auf einer internen Tagung der SPD einen grünen Pullover angehabt. Eine tolle Nachricht.

Apropos Nonsens: Gibt es einen BER-Witz, den Sie lustig finden?
Den würde ich nie weitererzählen.

Sie schreiben im neuen Buch, dass jener Tag im Mai 2012, an dem die Flughafeneröffnung verschoben wurde, der dunkelste Tag in Ihrer Amtszeit gewesen sei. Werden Sie darauf noch angesprochen, wenn sie in Berlin unterwegs sind?
Gelegentlich ja, das muss ich ertragen. Was mich richtig ärgert ist, dass so viele Leute offenbar eine Lust daran haben, dass der Flughafenbau misslingt. Das finde ich völlig daneben. Die Situation wird sich wohl erst ändern, wenn BER fertig und eröffnet ist. Dafür sollten sich übrigens nicht nur Berlin, sondern auch die Mitgesellschafter Brandenburg und der Bund ins Zeug werfen.

Hat Ihnen die Pleite von Air Berlin nicht weh getan?
Das war ein Schlag, auch wenn das weggefallene Flugangebot schrittweise kompensiert wird. Aber die Marke ist weg, mit der Berlin durch die Lüfte flog.

"Die SPD muss linke Volkspartei sein"

Zurück zum Boden der Berliner Tatsachen. Sie sind jetzt viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln in der Stadt unterwegs. Was fällt Ihnen besonders auf?
Die Verdichtung. Berlin ist voller geworden. Das sehe ich schon in meiner Nachbarschaft, der Run auf den Preußenpark. Was da auf den Thai-Food-Markt strömt, ist ein Wahnsinn. Was mich aufregt, sind Baustellen, die nicht fertig werden. Da stehen die Gerüste und Absperrungen und kein Bauarbeiter ist zu sehen, das kann nicht sein. Aber um auch was Schönes zu sagen: In letzter Zeit war ich mal wieder häufiger am Viktoria-Louise-Platz in Schöneberg, das Blütenmeer dort, jetzt im Frühling, ist einfach traumhaft.

Auf was werden Sie auf der Straße angesprochen, wenn es nicht der Flughafen BER ist?
Auf alles Mögliche. Manche sagen auch nur: Sie fehlen uns. Das finde ich natürlich schön. Manchmal denke ich: Hätten Sie das mal früher gesagt.

Sie schreiben in ihrem Buch auch, dass Freizeit gelernt sein will. Wie hat der Ausstieg aus der Politik denn so geklappt?
Sehen Sie, da fällt mir ein, worauf ich häufig angesprochen werde: Sie sehen aber entspannt aus! Da scheint was dran zu sein. Für mich war nach 30 Jahren als Berufspolitiker eine wichtige Erfahrung, dass die Dauerbelastung wegfällt. Man ist nicht mehr durchgetaktet und komplett verplant. Ich stehe zwar immer noch relativ früh auf und habe immer noch einen festen Rhythmus, aber das ist jetzt mein privater Takt. Diese Freiheit genieße ich sehr. Früher war ich unter Dauerbeobachtung ab dem Moment, als ich aus der Haustür trat. Das ist vorbei.

Sie galten als sehr reiselustiger Berliner Regierungschef. Sind Sie immer noch viel unterwegs in der Welt?
Das Schöne ist jetzt, dass ich vor und nach dem Urlaub weiterhin Urlaub habe. Keine Berge von Akten mehr! Ich verreise nach wie vor gern, aber nicht drei Monate am Stück. Berlin ist so schön.

Dann noch schnell ein unschönes Thema: Was fällt Ihnen zur SPD ein?
Die SPD, das ist eine Partei, die es einem nicht leicht macht – und die es selbst nicht leicht hat. Leider gibt es keinen Knopf, auf den man drücken könnte und schon ist die viel zitierte Erneuerung da. Das Trauma der Sozialdemokraten ist nach wie vor die Agenda 2010, das war der politische Genickbruch, auch wenn kaum noch jemand weiß, was das eigentlich war. Mal abgesehen von Hartz IV. Es hilft aber nichts. Die SPD hat sehr viel Vertrauen bei ihren potenziellen Wählern verloren, nun muss sie entscheiden: Wollen wir eine linke Volkspartei sein oder wollen wir wieder mehr in Richtung Mitte schielen.

Für was sind Sie?
Die SPD muss linke Volkspartei sein. Nur dann haben wir eine Chance. Außerdem müssen wir die Machtfrage klären, so eine Quälerei wie nach der Bundestagswahl 2017, ob nun Groko oder nicht, darf es nicht mehr geben. Die Performance der Akteure an der Spitze ist auch noch verbesserungsfähig.

Haben Sie einen Ratschlag für Ihre Genossen, vielleicht auch für Ihren Nachfolger im Roten Rathaus?
Ich kenne Michael Müller sehr lange, wir haben immer gut zusammengearbeitet, von mir braucht er keinen Ratschlag. Ich wünsche ihm gute Nerven und, das gilt nicht nur für Michael Müller: Es darf in der Politik auch mal gelacht werden.

Zur Startseite