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Klaus Wowereit: Im Februar noch "Der Durchstehmeister"

Für Klaus Wowereit war auch die Sache klar: Er hat nichts falsch gemacht, auch nicht in der Affäre um den Steuerbetrug seines Kulturstaatssekretärs. Dazu veröffentlichten wir im Februar im Tagesspiegel das Porträt des "Durchstehmeisters", das wir anlässlich der Rücktrittsankündigung des Regierenden hier noch einmal dokumentieren.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Etwas verloren steht er dort, ganz vorn im Saal 376 des Berliner Abgeordnetenhauses. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, frisch aus dem Urlaub in Südtirol zurück. Routiniert lächelnd, wegen der vielen Kameras, aber angespannt. Es geht ihm nicht gut, das sieht jeder, der ihn kennt. Die Arme auf dem Rücken verschränkt, ein paar Worte mit dem Senatssprecher Richard Meng wechselnd. Elegant gekleidet, mit strahlend blauer Krawatte auf weißem Hemd, dunklem Anzug, die Haare locker nach hinten gekämmt.

Schmallippig und mit leerem Blick schaut Wowereit auf die dicht gefüllten Zuschauerbänke am hinteren Ende des Saals. An diesem Montag muss er ab 13 Uhr, hart bedrängt von der Opposition und der öffentlichen Meinung, Rede und Antwort stehen. In der „Angelegenheit Schmitz“, wie er es wenig später nennt. Um die Entscheidung zu begründen, warum er seinen Kulturstaatssekretär Andre Schmitz nicht schon 2012 wegen des Steuerbetrugs in den einstweiligen Ruhestand geschickt hatte. Für Wowereits Rechtfertigung wurde eine Sondersitzung des Rechtsausschusses anberaumt, an dem nun auch noch gleich die Mitglieder des Innen- und Kulturausschusses teilnehmen.

Die Ordner kämpfen gegen die Menge

Um das Fazit des Regierungschefs vorwegzunehmen: „Ich stehe zu der Entscheidung von damals“, sagt er am Ende seines Berichts, den er 20 Minuten lang sorgfältig artikuliert vom Blatt abliest. Vorbereitet hat die Verteidigungsrede ein kleiner Führungsstab im Roten Rathaus. Etwa fünf Dutzend Abgeordnete hören Wowereit zu, sie sitzen dicht gedrängt an den Tischen.

Schon eine Stunde vor Sitzungsbeginn müssen die Ordner des Abgeordnetenhauses den Saal gegen die Journalisten und Kameraleute der lokalen und überregionalen Medien verteidigen. „Den Gang bitte freihalten!“ Ihre Aufforderung verhallt, alle versuchen, einen Platz mit guter Sicht zu ergattern. Solche Szenen hat auch der Abgeordnete Stefan Schlede noch nicht erlebt. „Hier ist ja was los“, sagt der 73-jährige CDU-Mann, der seit Jahrzehnten Kultur- und Bildungspolitik macht, als er sich mit roten Wangen durch die Menge kämpft. Er hat schon so manchen Politiker kommen, gehen und fallen sehen, auch den eigenen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen, der 2001 von einer rot-rot-grünen Mehrheit im Abgeordnetenhaus aus dem Amt gewählt wurde. Aber so ein Gedränge, weil der Rechtsausschuss des Landesparlaments tagt, das ist ihm neu.

Das Fernsehen überträgt live

Mit leichter Verspätung eröffnet die Vorsitzende Cornelia Seibeld die Sitzung, die vom Fernsehsender Phoenix sogar live übertragen wird. Sie begrüßt Wowereit und seinen Kanzleichef Björn Böhning, den Justizsenator Thomas Heilmann und dessen Staatssekretär, die neben ihr Platz genommen haben. Innensenator Frank Henkel muss die Christdemokratin entschuldigen, weil er in Sotschi bei den Olympischen Spielen sei. Raunen im Saal, leises Gelächter. Wenig später, in seinem ersten Redebeitrag, kann sich der Linken-Abgeordnete Klaus Lederer die Frage nicht verkneifen: „Herr Henkel, vielleicht als Rodler?“ Da muss sogar Wowereit lächeln, der ansonsten kaum eine Miene verzieht.

Eine Geldbuße von 5000 Euro - das nennt Wowereit dann doch ein „relativ mildes Mittel“ der Strafverfolgung

Der Regierende weist den Vorwurf zurück, zugunsten des engen Freundes Schmitz, der 2001 Chef der Senatskanzlei und 2006 Staatssekretär für Kultur wurde, mit zweierlei Maß gemessen zu haben. „Ein normaler Beamter wäre nie anders behandelt worden“, sagt Wowereit. Und er bestätigt, dass er im zweiten Halbjahr 2012 ausschließlich von Schmitz über die staatsanwaltlichen Ermittlungen wegen Steuerbetrugs informiert worden sei. „Der gesamte Sachverhalt inklusive der Details wurden mir nicht vorgetragen.“

In einem Abwägungsprozess habe er entschieden, kein Disziplinarverfahren zu eröffnen, sagt der Regierungschef. Wowereit verweist auf seine langjährigen Erfahrungen in der Verwaltung, seitdem er Bezirksstadtrat in Tempelhof wurde, habe er viel mit Disziplinarvorgängen zu tun gehabt, „unter anderem für tausende von Lehrern“. Ruhig trägt er das vor, gelegentlich mit dem Finger über die Nase streichend, den Kopf nach vorn gereckt. Ende 2012 habe ihm Schmitz mitgeteilt, dass das Ermittlungsverfahren gegen ihn eingestellt worden sei. Spätestens da gab es für Wowereit „keine Anhaltspunkte mehr für eine Dienstpflichtverletzung“.

"Das hätte schärfer geahndet werden können"

Dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen eine Geldbuße von 5000 Euro eingestellt hat, nennt Wowereit dann doch ein „relativ mildes Mittel“ der Strafverfolgung, die von der Senatskanzlei aber nicht beeinflusst worden sei. Man könne es auch so sehen, sagt der Regierende Bürgermeister in einem Nebensatz, „dass die Sache schärfer hätte geahndet werden können“. Und noch einmal kommt Wowereit auf seine „Abwägung“ zu sprechen, die wegen der herausragenden Verdienste von Schmitz zugunsten des Staatsekretärs erfolgte. Sein früheres Engagement in Hamburg, dann für die Berliner Volksbühne und Deutsche Oper, die Arbeit als Chef der Senatskanzlei und als Kulturstaatssekretär. An dieser Stelle wechselt Wowereit in die dritte Person. „Das ist eine Entscheidung, die man persönlich zu treffen hatte.“ Das sei auch eine Frage von Loyalität gewesen. „Das scheint in heutiger Zeit ein bisschen altmodisch zu wirken.“

Dann schweigt er, sortiert seine Zettel und lehnt sich erwartungsvoll zurück. Wohlwissend, nicht alle Fragen der Opposition befriedigend beantwortet zu haben. Warum zwei Rechtsgutachten, die den Fall Schmitz aus Sicht des Beamten- und Disziplinarrechts beleuchten, erst jetzt, im Februar 2014 angefertigt wurden? Und nicht schon vor eineinhalb Jahren, das wollte die Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop wissen. „Das wirft doch ein schräges Licht auf die Sache.“ Erst am vergangenen Donnerstag wurde ein Rechtsvermerk des renommierten Berliner Anwalts Reiner Geulen bekannt.

Das Gutachten stützt Wowereit

Am Montag wird dann noch eine „rechtsgutachterlichen Stellungnahme“ verbreitet, verfasst im Auftrag der Senatskanzlei vom Jura-Professor Ulrich Battis, der seit 1993 an der Humboldt-Universität lehrt. „SPD-Mitglied“, ruft jemand in den Ausschuss-Saal, als der Name des habilitierten Rechtsanwalts fällt. Der argumentiert auf 14 Seiten, dass „das Bild des Beamten mit dem fortschreitenden gesellschaftlichen Wandel grundlegende Änderungen erfahren hat“. Nach diesem neuen Bild vom Staatsdiener sei ein außerdienstliches Fehlverhalten nicht mehr generell geeignet, das Ansehen des Berufsbeamtentums in disziplinarrechtlich bedeutsamer Weise zu beeinträchtigen.

Nach einer Stunde wird es fröhlich im Saal. Selbst der Regierende grinst

Der Jurist kommt zu dem Ergebnis, dass Wowereit aus juristischer Sicht nichts falsch gemacht habe. Aber auch er argumentiert mit dehnbaren Rechtsbegriffen. Es sei „gut vertretbar“, das private Steuervergehen von Schmitz nicht als Dienstvergehen zu qualifizieren. Und es sei „nicht zwingend“ die Pflicht des Regierenden Bürgermeisters gewesen, ein Disziplinarverfahren einzuleiten. Battis weist auch auf den „weiten Ermessensspielraum“ hin, den Wowereit „aus gewichtigen Gründen“ ausüben durfte. Mit dem Ergebnis, von einer Versetzung Schmitz’ in den Ruhestand abzusehen.

Andere Verwaltungsjuristen verweisen in diesen Tagen aber auf das Landesdisziplinargesetz, das einschlägig sei und wenig Spielraum lasse. Demnach müsse schon beim Anfangsverdacht einer Straftat ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden, selbst wenn es wenig später wieder eingestellt werde. Und der Vorgang hätte in den Akten des Roten Rathauses unbedingt vermerkt werden müssen. In der Senatskanzlei liegt aber nach allem, was bekannt ist, nichts vor.

Drei Männer im Senat wussten Bescheid

Klaus Lederer, Rechtsexperte der Linken, fragt im Ausschuss danach: „Gibt es Vermerke und Aktenstände?“ Er bekommt darauf keine Antwort. Dann meldet sich der Pirat Simon Weiß zu Wort, der die schicksalhafte Frage stellt: „Wer wusste wann was von wem?“ Neben Wowereit seien Justizsenator Heilmann und Finanzsenator Ulrich Nußbaum auf dem Dienstweg von der Sache informiert worden. Die Drei hätten nie darüber gesprochen? Das mag Weiß nicht glauben. Heilmann sagt: „Nein“. Er habe niemanden informiert, weder in der Verwaltung noch in der CDU. Das wäre auch strafbar gewesen. Finanzsenator Nußbaum kann nichts sagen, er wurde nicht eingeladen.

Für die Grünen-Fraktionschefin Pop ist die Sache klar. Der Regierende Bürgermeister habe niemand einbezogen und in eigener Machtvollkommenheit entschieden. Da schaut Wowereit demonstrativ in die andere Richtung. Pop mag er nicht. Aber dann haut Lederer in dieselbe Kerbe. „Herr Wowereit, Sie sind nicht der Staat!“ Es gebe verbindliche Regeln, wie mit steuersündigen Beamten umzugehen sei, es gehe nicht um Fürsorge und Loyalität. Und solche Vorgänge seien nun mal aktenkundig zu machen.

Das Geschehen im Saal, das erst nach einer Stunde munterer wird, gespickt mit Zwischenrufen von allen Seiten, verfolgen die Abgeordneten der rot-schwarzen Koalition zunächst schweigend. Als Erster wagt sich der CDU-Fraktionsgeschäftsführer Heiko Melzer vor, der auch in Tirol im Urlaub war. „Herr Wowereit, das Alpenpanorama, die steilen Pisten und das gute Essen, da kann ich verstehen, dass Sie nicht vorzeitig aus dem Urlaub kommen wollten.“

Der Regierungschef grinst.

Er hätte aber gut daran getan, schiebt Melzer nach, im Laufe der Woche wieder in Berlin zu sein. Es hätte einiges besser laufen können, auch bei der internen Kommunikation im Regierungsbündnis. Und – mit der heutigen Sitzung sei das Parlament noch nicht am Ende des Aufklärungsprozesses angekommen. Für die CDU-Fraktion hält Melzer am Ende fest: „Es handelt sich bei der Entscheidung für Herrn Schmitz, dessen engagiertes Wirken auch wir loben, um einen Grenzfall.“

Es ist Wowereits letzter Fehltritt, den die Genossen verzeihen

Später reicht die Union eine Pressemeldung nach, um ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass der gesamte Fall „weiterhin in der Verantwortung des Regierenden Bürgermeisters“ liege. Nirgendwo sonst. Die CDU setzt sich ab von Wowereit, ganz unmissverständlich.

Das mit dem „Grenzfall“ will die frühere Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher, jetzt Abgeordnete der Linken, so nicht stehen lassen. „Kein Grenzfall, sondern eine Grenzüberschreitung!“ Spätestens jetzt ist für den SPD-Fraktionsgeschäftsführer Torsten Schneider die Zeit gekommen, um sich vor den Parteifreund Wowereit zu werfen. Im Nachhinein sähen die Dinge doch immer anders aus, belehrt er die Opposition. „Wer wirklich ehrlich ist, kann nicht sagen, dass er damals anders entschieden hätte.“ Der Regierende Bürgermeister habe 2012 eine schwierige, aber vertretbare Entscheidung getroffen.

Abends muss Wowereit noch nach Wedding

Aber auch Schneider kündigt an, dass der Fall Schmitz mit der fast dreistündigen Sitzung des Rechtsausschusses nicht beigelegt sei. Die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus werde den Vorgang intern aufarbeiten und Manöverkritik üben. Und, schon wieder so ein Satz ganz nebenbei: Der Kulturstaatssekretär hätte vielleicht doch „Weihnachten 2012 aus persönlichen Gründen aus dem Amt scheiden können“. Hat er aber nicht getan. Und so muss Wowereit am späten Nachmittag auch noch in die Müllerstraße in Wedding fahren, zum SPD-Landesvorstand.

Der hat für das Thema, das seit einer Woche Berlin bewegt und auch bundesweit aufmerksam verfolgt wurde, nur eine Stunde eingeplant. Etwa 20 Vorstandsmitglieder melden sich zu Wort, es wird doch länger diskutiert. Kritische Worte fallen – gegen den Regierungschef. Wowereit passt das erkennbar nicht, er verzichtet aber darauf, pampig zu werden. Am Ende stärken die leitenden Genossen dem Parteifreund Wowereit demonstrativ und pflichtgemäß den Rücken. Das Meinungsbild fällt einstimmig aus. Aber der Vorstand stützt im Nachhinein genauso einstimmig die harte Linie des SPD-Landeschefs Jan Stöß, der den Rücktritt von Schmitz energisch vorantrieb und dafür sorgte, dass dies sofort in der Zeitung stand.

Dann stehen sie wieder Seit’ an Seit’, am Montagabend vor dem Kurt-Schumacher-Haus. Wowereit und Stöß, die sich am vergangenen Montag am Telefon noch laut gestritten haben. Von einem Zerwürfnis, versichern beide, könne keine Rede sein. „Ich bin zufrieden“, sagt Stöß über das eigene Krisenmanagement. Es ist Wowereits letzter Fehltritt, den ihm die Genossen durchgehen lassen.

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