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Klaus Wowereit: Das Beta-Tier

Umfragewerte im Keller, Nachfolgedebatten in der SPD: Klaus Wowereit ist angeschlagen. Schwankend zwischen Arbeitswut und Wurstigkeit kämpft der Regierende ums Überleben.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Beim Christopher Street Day vor zwei Wochen hielt er eine ernste Rede. Im blau karierten Hemd, den fein gestrickten Pullover lässig über die Schulter geworfen, stand Klaus Wowereit am Brandenburger Tor, hoch über der bunt geschmückten Menge, sein Credo verkündend: „Alle sollen so akzeptiert werden, wie sie sind.“ Vor einem Jahr war der Regierende Bürgermeister bei gleichen Veranstaltung noch in ausgelassener Stimmung durch die Straßen gelaufen. Den Sieg bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl vor Augen, im Jogginganzug, und hinten stand drauf: „Mutti vons Janze“.

Vorbei, vorbei. Jubelnde Mengen sind für Wowereit zu einem seltenen Vergnügen geworden. Seit Mai, seit dem Desaster um den Flughafen in Schönefeld, nehmen die Sozialdemokraten in der Hauptstadt missvergnügt zur Kenntnis, dass der CDU-Landeschef und Innensenator Frank Henkel auf gutem Weg ist, in Berlin zum Vati vons Janze zu werden. Die Meinungsforscher sehen den Christdemokraten seit Wochen klar an der Spitze der politischen Beliebtheitsskala. Gefolgt vom parteilosen Finanzsenator Ulrich Nußbaum, der vor drei Jahren aus Bremen an die Spree kam. Wowereit selbst gilt den Wählern nur noch als Mittelmaß.

Das ist das Schlimmste, was ihm passieren konnte. Seit dem 16. Juni 2001, als ihn das Landesparlament erstmals zum Regierungschef wählte, hat Wowereit stets polarisiert. Die einen mögen ihn, die anderen finden ihn schrecklich. Aber er blieb unangefochten an der Spitze, als charismatischer Repräsentant Berlins, der den Bogen zwischen dem Häuschen der Mutter im kleinbürgerlichen Lichtenrade und der großen weiten Welt spannte. Mit dem unbedingten Willen zur Macht und einem rustikalen Charme, der das internationale Markenzeichen des Regierenden Bürgermeisters wurde.

Bildergalerie: Wowereit feiert mal wieder

Dreimal gewann er Wahlen in Berlin. Sogar als potenzieller Kanzlerkandidat der SPD wurde er gehandelt, seit November 2009 ist Wowereit Vizechef der Bundespartei. Die Konkurrenz aus den anderen Parteien, zuletzt die Grüne Renate Künast, hielt er erfolgreich auf Abstand, und wer im Wettbewerb mit Wowereit Schaden nahm, brauchte für den Spott des Mannes im Roten Rathaus nicht zu sorgen. Als der CDU-Spitzenkandidat Friedbert Pflüger im Sommer 2006 vor der Kamera sagte: „Herr Wowereit hat das die letzten fünf Jahre ganz gut hingekriegt“, lief das als Wahlkampf-Spot der SPD im Kino. Ein echter Brüller.

Wowereit bekommt den BER-Ärger ab

Jetzt hat Wowereit nicht mehr viel zu lachen. Seit dem 8. Mai ist das so, als er im tristen Informationszentrum des Airports den Offenbarungseid leisten musste. „Kein guter Tag für den Flughafen Willy Brandt, kein guter Tag für die Bürgerinnen und Bürger“, begann er sein Statement vor Dutzenden Journalisten. Der Aufsichtsratchef der Flughafengesellschaft vergaß zu sagen, dass dies auch für ihn kein guter Tag war. Die Eröffnung des Hauptstadtflughafens wurde verschoben, die Baukosten explodierten. Schon 2003 hatte Wowereit den Vorsitz des Kontrollgremiums vom christdemokratischen Amtsvorgänger Eberhard Diepgen übernommen. Als die Privatisierung der Flughafengesellschaft damals scheiterte, behielt er den Job. Der Airport wurde zu seinem Projekt. Chefsache eben.

Er wollte es so, er kniete sich hinein, er war der politische Geschäftsführer des Unternehmens. Niemals hätte er dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck den Posten des Aufsichtsratschefs überlassen. Also kriegt Wowereit nun den ganzen Ärger ab. Seit zwei Monaten quält er sich durch die Gremien des Abgeordnetenhauses und des Bundestages. Versucht zu erklären, was er sich selbst nicht recht erklären kann. Mit stoischer Miene, geschäftsmäßig und distanziert absolviert er den Gang durchs Fegefeuer, das besonders die Grünen anheizen. „Er soll Farbe bekennen, statt weiter herumzumogeln“, forderte Künast, die unterlegene Widersacherin im Wahlkampf 2011.

Bildergalerie: Machtkampf um den Vorsitz der Berliner SPD

Er ist angreifbar geworden, der große Matador. So wie nie zuvor. Der eisige Winter und das S-Bahnchaos vor zweieinhalb Jahren, als er den Berliner erklärte, dass man hier nicht in Haiti sei, setzten ihm nicht annähernd so zu. Auch nicht die Partygeschichten aus den frühen Regierungsjahren, mit Sektflasche und Pumps in der Hand. Angesichts dessen klang es fast wie Hohn, als der neue SPD-Landeschef Jan Stöß auf dem Landesparteitag am 9. Juni im Hotel Estrel den angeschlagenen Parteifreund als „besten Regierenden Bürgermeister seit Willy Brandt“ lobte.

Noch brauchen die Genossen ihren Wowereit, um die Regierungsmacht zu sichern. Aber der stille Abschied auf Raten hat begonnen. In der SPD wird längst diskutiert, wer die Nachfolge antreten könnte.

Über „Kandidaten von außen“ wird geraunt, ohne Namen zu nennen. Die Arbeitssenatorin Dilek Kolat gilt als mögliche Anwärterin. Der smarte, aber im politischen Nahkampf beinharte Finanzsenator Nußbaum wurde ins Spiel gebracht. Zwar gab er den Bremer Sozialdemokraten, die ihm 2007 das Parteibuch aufdrängen wollten, einen Korb. „Und so halte ich es auch in Zukunft“, sagt er und schaut entschieden drein. Auf seine Unabhängigkeit legt der Unternehmer, der mit Fischfang gutes Geld verdient, größten Wert. Aber nicht alle glauben ihm das. Und so flüchtet er sich vorläufig in flotte Sprüche. Auf dem SPD-Parteitag schlenderte er auf Wowereit zu und grinste breit: „Ich bin der Mann mit dem Dolch im Gewande.“

Mögliche Nachfolger bringen sich in Stellung

Der Regierende Bürgermeister reagierte mit einem müden Lächeln. Eine Spaßkanone ist er derzeit nicht. Der Stress bleibt auch nicht in den Kleidern hängen: Der silbergraue, spärlicher werdende Haarschopf ist streng zurückgekämmt, der Teint eher blass, die Augen sind klein. Der letzte Urlaub war im Winter. Wachsam schaut er drein, aber vor allem nachdenklich. Genossen, die ihren Wowereit kennen, sagen: Es treibt ihn um. Die Sache mit dem Flughafen nagt an ihm. „Er ist sehr betroffen“, sagt ein Kollege aus dem Senat. „Weil die Probleme ihn im Griff haben.“ Dazu kam der Aufruhr in der eigenen Partei, die den engsten Vertrauten des Regierenden Bürgermeisters, Stadtentwicklungssenator Michael Müller, als SPD-Landeschef abwählte.

Als Nachfolger Wowereits sollte Müller auf diese Weise aussortiert werden. Aber er gibt nicht auf. Und so entwickeln sich die Vorbesprechung der SPD zu den Senatssitzungen, dienstags früh im Roten Rathaus, allmählich zu einem Schaulaufen potenzieller Spitzenkandidaten. Laut soll es zugehen, wenn sich Nußbaum, Müller und Kolat immer mal wieder unter den Augen Wowereits fetzen, der froh ist, dass wenigstens die nette Bildungssenatorin Sandra Scheeres niemanden anschreit. „Alle bringen sich in Stellung“, frotzelt ein führender Genosse.

Zu einer besseren Stimmung des Regierenden trägt das nicht bei. Auch Udo Wolf, Vorsitzender der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, der die Sozialdemokraten aus langjähriger Zusammenarbeit in der Regierung gut kennt und ein kluger Beobachter ist, sagt: „Ich habe Wowereit noch nie so verunsichert erlebt. Er grübelt und überdeckt das durch sein hemdsärmeliges Auftreten.“ Dazu passt, was der Regierungschef vor ein paar Tagen im Interview preisgab. Er könne versichern, dass der öffentliche Druck auf ihn „schon stark“ sei. Aber Politik sei nun mal keine Schönwetterveranstaltung, sonst könnte es ja jeder. Vorerst hält ihn ein stoischer Überlebenswille und das Wissen um die eigene Erfahrung und Routine nach über elf Jahren an der Spitze der Landesregierung aufrecht. Nur der Genosse Kurt Beck in Rheinland-Pfalz hat als Ministerpräsident mehr Dienstjahre auf dem Buckel.

Um Wowereit wird es einsam

Und so spult Wowereit in diesen Tagen den sommerlichen Terminplan ab. Im noblen Zelt der Fashion Week an der Siegessäule, auch so ein Projekt von ihm, entlockte er dem blonden Model Franziska Knuppe, die neben ihm in der ersten Reihe saß, mit einem kleinen Scherz ein fröhliches Lachen. Im dunkelblauen Anzug mit lila Krawatte. Noch ein landesväterlicher Blick, dann zückt er seinen Redezettel. Die Nächte waren kurz für Wowereit in der gerade beendeten Berliner Modewoche. Seit langem war er nicht mehr so präsent, wanderte durch die Ausstellungshallen, redete mit den Modemachern, eröffnete, erhob das Glas, ein Bussi hier, ein Bussi da. „Richtig harte Arbeit“, sagte ein Mitarbeiter, der ihn in den vergangenen Tagen begleitete.

Bildergalerie: Die Pflichten des Klaus Wowereit

Es fehlt ihm momentan aber nicht nur der Schlaf. Der altgediente Berliner Regierungschef ist an seine Grenzen gekommen. Schwankend zwischen Arbeitswut und Wurstigkeit kämpft er hartnäckig ums Überleben. Wohl in der stillen Hoffnung, dass sich alles wieder einrenken wird. Schließlich gibt es noch keinen Brutus, der den schwächelnden Cäsaren wirklich bedrohen könnte. Aber es wird einsamer um Wowereit. Dazu trägt er selbst bei, denn es sind nicht viele, denen er wirklich vertraut. Neben dem getreuen Senator Müller sind das der junge Kanzleichef Björn Böhning und die Bundes- und Europabeauftragte Hella Dunger-Löper, die er seit Studienzeiten kennt. Auch der Kulturstaatssekretär André Schmitz gehört zum engen Kreis. Manchmal hört Wowereit auf den Rat erfahrener SPD-Kreischefs. Viele gibt es nicht mehr, der Generationswechsel in der eigenen Partei ist weit gediehen.

Die neuen Führungskräfte lernen gerade, dass es schmerzhaft sein kann, sich mit einem angezählten Alphatier anzulegen, dass seinen Platz an der Spitze eisern verteidigt. Das Parlament hatte sich gerade in die Sommerferien verabschiedet, da setzte Wowereit im Senat völlig überraschend die Teilausschreibung des Berliner S-Bahnrings gegen heftigen Widerstand der SPD-Linken durch. Solche Signale sind ihm wichtig. Bei anderen Projekten ist er nicht mehr Herr des Verfahrens, weil aufmüpfige Genossen in Partei und Fraktion eigene Wege gehen. Als Studierende der Schauspielschule „Ernst Busch“ den Regierungschef Anfang Mai auf offener Straße zur Rede stellten, weil der versprochene Neubau der Hochschule nicht mehr finanziert werden sollte, verschränkte Wowereit die Arme und lachte abwehrend: „Wenn das Parlament sagt, da machen wir nicht mit, dann kann ich auch nichts machen.“ Nein, er habe keine Richtlinienkompetenz gegenüber der SPD-Fraktion, auch nicht gegenüber den Gremien der Partei.

Kanzlerkandidat 2013 wird er nicht werden

Schon der Amtsvorgänger Eberhard Diepgen, der 15 Jahre die Stadt regierte, musste schmerzlich erfahren, was es bedeutet, wenn die Parteifreunde dem eigenen Spitzenmann die Beine weghauen. Auch ohne die Abwahl durch eine rot-rot-grüne Mehrheit hätte sich Diepgen im Sommer 2001, auf dem Höhepunkt des Bankenskandals, nicht mehr lange gehalten. Wenige Monate später gab er angewidert auch den CDU-Landesvorsitz ab, weil ihm der ehrenhafte Abgang in den Bundestag verweigert wurde.

Wowereit wird wohl nicht warten, bis ihn das „friendly fire“, der mortale Angriff aus den eigenen Reihen erwischt. Vorläufig hat er auch noch den Rückhalt der Genossen, die fürchten, dass die Berliner SPD ohne ihn in der parlamentarischen Opposition verschwinden könnte. „Es gibt überhaupt keine Anzeichen, dass Klaus Wowereit hinwirft“, versichert der Berliner Parteichef Stöß. Nicht nur im Land Berlin, auch im Bund „weiß man, was man an ihm hat“. Er habe Charisma und stehe für das weltoffene Berlin. „Im Bundestagswahlkampf 2013 wird er einer derjenigen sein, die viele Menschen im ganzen Land begeistern.“

So viel Lob wagen andere Genossen nicht. „Für den Fall, dass er doch hinwirft oder im nächsten Jahr in die Bundespolitik geht, müssen wir ein geordnetes Verfahren für die Nachfolge anstreben“, sagt ein einflussreicher Genosse aus der jungen Garde. Dabei könne es hilfreich sein, so raunt er ins Telefon, wenn sich Wowereit zur rechten Zeit für einen „selbstbestimmten Abgang“ entscheiden könnte. Ein frommer Wunsch, solange für Wowereit interessante Alternativen fehlen. Kanzlerkandidat 2013 wird er nicht werden. Da ist die Troika vor. Als Abgeordneter in den Bundestag einziehen? Wie langweilig. Nur was er auf keinen Fall werden möchte, scheint Wowereit genau zu wissen. Auf dem Hoffest am Roten Rathaus stand der Regierende Bürgermeister und brummelte bei einem Gläschen Wein: „Ich bin doch kein Bundesminister.“ Sich den lieben langen Tag in einer sperrigen Behörde abzuquälen, immer den Bundeskanzler vor der Nase – undenkbar.

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