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Berlin: Kleine Ursache, große Wirkung

Gas geben. Stoppen. Wieder ein paar Meter voran: In der ganzen Stadt stockte der Verkehr. Die Autofahrer nahmen es meist gelassen

Sieht aus wie eingeübt. In der Schlange haben die Autofahrer den Ellenbogen beinahe synchron im heruntergekurbelten Seitenfenster aufgestützt. Nur diejenigen mit Klimaanlage an Bord, lassen das Fenster zu. Die Sonne knallt. Die Finger trommeln. Nahe dem Jakob-Kaiser-Platz in Charlottenburg stecken die Autofahrer aus Spandau kommend am frühen Mittwochnachmittag fest. Und das nur, weil am Morgen auf der Stadtautobahn am Dreieck Funkturm ein Wasserrohr geplatzt ist. Mit der Folge, dass dort die Fahrbahn unterspült wurde und später eineinhalb Meter abgesackt ist.

Weil auch hier die Zufahrt zur Autobahn gesperrt ist, lenken Polizisten die Fahrer in den Tegeler Weg. Die Beamten haben viel Zeit, die Leute in der Schlange zu beobachten, die sich im Schritttempo vorwärts bewegt. „Die sind eigentlich alle ganz ruhig, ausgetickt ist hier noch keiner“, sagt einer. Gleiches konnte die Berliner Polizei von den anderen Stau-Stellen berichten. Auch am Nachmittag quälten sich Autofahrer im Berufsverkehr durch verstopfte Nebenstraßen.

Olaf Henkel, 34, und sein Kollege Nico Matut, 25, beide Dachdecker, mussten in ihrem Firmen-Smart bereits am Vormittag „umorganisieren“. Sie kommen gerade von einem Kunden und wollen zum nächsten, nach Steglitz. „Wir stecken hier schon seit 40 Minuten fest, um 14 Uhr haben wir den Termin“, sagt Henkel am Steuer, während an seinen Füßen die mittlerweile leer getrunkenen McDonald’s-Becher rascheln. Der Kunde wisse schon Bescheid. Der Chef auch. „Mal sehen, ob wir nicht schon Feierabend haben, wenn wir ankommen.“ Wie die beiden die Zeit totschlagen? „Gespräche“, sagt Henkel. „Aber nur dienstlich. Privat haben wir uns nichts mehr zu sagen – so gut kennen wir uns“, sagt er.

Vor Wut aus dem Seitenfenster brüllen? Mit wildem Hupen die Warterei überbrücken? Kam gestern nur selten vor. Die Autofahrer blieben gelassen – trotz Termindrucks. Wie der „Stinnes Stahl“-Lkw-Fahrer aus Frankfurt (Oder). „Kannste eben nischt machen“, sagt er. „Immerhin: Ick rolle ja.“

Und während an der Unglücksstelle die zwei Spuren nach Norden von der Polizei wieder freigegeben werden, erfährt Haydee Freitas, 48, im Stau von einem Motorradfahrer neben ihr, was passiert war am Morgen. Eigentlich wollte sie mit dem dreizehnjährigen Sohn Lucas längst beim Optiker in der Wilmersdorfer Straße sein. „Meine Brille abholen“, sagt sie. Doch nun ist Musikhören angesagt. Lucas hat seine neue „Usher“-CD in den Player geschoben. „Und so komme ich jetzt in den Genuss, das Allerneueste zu hören“, sagt die Mutter.

Um kurz nach 14 Uhr an der Unglücksstelle: Die Fahrbahn bebt unter dem Presslufthammer. Das Gerät frisst sich in den Asphalt rund um die Stelle, an der das Rohr am Morgen geplatzt war. Fünf Meter im Durchmesser misst der Krater mittlerweile. „Das wird noch ein paar Tage dauern, bis hier alles repariert ist“, sagt einer der Bauarbeiter. Da werden viele Autofahrer in der nächsten Zeit – wie zuvor die beiden Dachdecker im Stau „umorganisieren“ müssen.

Deren Termin ist erstmal geplatzt. „Wir fahren dann an einem anderen Tag dorthin“, sagt Dachdecker Henkel. Mit zwei Stunden Verspätung hatte es sich für den Kunden nicht mehr gelohnt.

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