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Welche Partei als "klein" zu bezeichnen ist, wird immer nebulöser. Die Piraten liegen Umfragen zufolge in Berlin deutlich vor der FDP.

© Klaus Stuttmann

Kleinparteien: Spaßiger Ernst und der Spandauer Bock

Was tun, wenn man sich von keiner etablierten Partei vertreten fühlt? Unser Autor Nik Afanasjew war als interessierter Gast inkognito bei Kleinparteien unterwegs.

Es ist Donnerstagabend im Café Übereck am Ostkreuz. Weil es der dritte Donnerstag im Monat ist, treffen sie sich hier: vier Enthusiasten der Partei „Die Violetten“. Der jüngste von ihnen schaut phlegmatisch zur Seite, ein zweiter sagt, dass er in seinem Leben „17 Jahre Taxi gefahren ist“. Der dritte bestellt Bier und die einzige Frau in der Runde erzählt, wie sie für die gemeinsame Sache schon mal ihre Wohnung als Parteizentrale zur Verfügung stellt. Den unbekannten Gast, der dazu gestoßen ist, um sich über ihre Partei zu informieren, begrüßen sie freundlich, wenn auch etwas überrascht. „Wir sind sonst ein kleiner Kreis, von den 40 Mitgliedern ist nur ein Dutzend wirklich aktiv“, sagt ein älterer, freundlicher Mann, der mit der Taxierfahrung.

Die Violetten sind eine Kleinpartei. Sie wurden als eine von 36 Parteien zugelassen, an der Berlin-Wahl am 18. September teilzunehmen - wenn sie die nötigen 2200 Unterstützerunterschriften vorgelegt hätten. „Wir haben zuletzt im Mauerpark gesammelt, 17 Stück haben wir gekriegt“, sagt Jutta, die Landessekretärin und Wohnungs-Bereitstellerin. Jutta ist Religionslehrerin und muss im atheistischen Berlin an vier Schulen unterrichten, um auf ihre nötige Stundenanzahl zu kommen. Für die Violetten findet sie trotzdem Zeit, "weil wir eine spirituelle Politik vorantreiben wollen, eine die vom Inneren des Menschen ausgeht". Mit nur 700 Euro Monatsbudget, der Forderung nach bedingungslosem Grundeinkommen und dem Willen, „das Gute zu den Menschen zu tragen, nicht es zu erzwingen", wollen sie die Wähler überzeugen. Schnell kommt die Frage, ob der politisch unschlüssige Gast nicht auch unterschreiben wolle, ein Stück weiter zum Ziel. Macht er, am Ende reicht es trotzdem nicht. 2200 Unterstützer bekommen die Violetten nicht zusammen.

"Kleinparteien vertreten die Interessen von Gruppen, die in der Mehrheitsgesellschaft marginalisiert werden", sagt Oskar Niedermeyer, Politikwissenschaftler an der FU. Er sieht eine stärkere Diversifikation innerhalb des Spektrums der Kleinparteien, die "meistens versuchen, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen um dann radikal Flagge zu zeigen". Weil die Interessen und Wertvorstellungen der Gesellschaft weiter auseinander driften, sind es gerade die kleinen Parteien, die dafür sorgen, dass sich die Menschen in der Politik noch vertreten fühlen. "Es gibt keinen neuen gesellschaftlichen Grundkonflikt, wohl aber neue Themen“, sagt Niedermeyer.

Ob die Deutsche Kommunistische Partei, die bereits etablierten Piraten oder „Die Grauen“, die sich auf das Wohlergehen von Senioren spezialisiert haben: Wer im heutigen Kleinparteienspektrum seine Interessen nicht vertreten sieht, muss auf dem Mond nach einer Wahlurne suchen. Auffällig ist ein Rechtsruck der Kleinen, gleich vier Parteinamen fangen mit „Bürger“ an, drei mit „Deutsche“ und die Rechtsaußen von der NPD sind auch dabei. „Es stimmt, im Gegensatz zu früher gibt es kein linkes Übergewicht mehr, dafür viele dem Islam ablehnend gegenüber stehende Neugründungen“, sagt Professor Niedermeyer.

Im Hinterzimmer einer Kneipe in Spandau - lesen Sie mehr im zweiten Teil.

Eine solche ist die Deutsche Konservative Partei, ihr Geburtsjahr ist 2009. Die Mitglieder treffen sich in einem Hinterzimmer der Kneipe „Spandauer Bock“. Acht Konservative, die es mit der Ur-Tugend Pünktlichkeit nicht so genau nehmen, sie trudeln nach und nach ein. Die Atmosphäre hat was von einem Stammtisch in einer Eckkneipe in Vechta oder Schwäbisch Gmünd. Hier hat der Jüngste den Vorsitz, Andreas Corinth ist im bürgerlichen Leben Polizist. Er trägt schwarzes Hemd, hat überaus ordentlich gekämmtes Haar und sagt: „Vor allem sind wir enttäuscht von einer undurchsichtig gewordenen Politik.“ Allgemeines Nicken in der Runde, die weitgehend aus Enthusiasten im gehobenen Alter besteht. Bei gemäßigtem Bierkonsum und durch Zigarettenqualm hindurch wird dann mit dem Status quo abgerechnet. Korruption, Asylrecht im Grundgesetz, Klaus Wowereit: all das gehöre abgeschafft. Wann? Sofort natürlich.

Immer wieder betonen die Anwesenden, dass sie einen klaren Trennstrich ziehen zwischen sich und den zahlreichen Rechtsaußen-Nationalisten. Vielleicht weil ein unbekannter Bürger anwesend ist oder auch weil sie es sich selbst ins Gewissen rufen müssen. „Wir hätten uns schon vorstellen können, mit Stadtkewitz und der Freiheit zusammenzuarbeiten, aber die wollten nicht“, sagt ein Mann mit weißem Haar, der früher für die Republikaner unterwegs war zu Gründen, warum es die kleine Gruppe jetzt auf eigene Faust versucht, statt sich mit der größeren und verbal radikaleren „Freiheit“ zusammenzutun . „Ich bin doch kein tibetanischer Gebetsmönch“, fügt der Weißhaarige nach jedem seiner Sätze an, in denen er Filz und Klüngelei der alteingesessenen Parteien beklagt. Soll heißen: seine Geduld währt nicht ewig. Die Konservativen achten den ganzen Abend auf ihre Wortwahl, nur an und wieder rutscht jemandem als Sammelbegriff für Linke, Sozialdemokraten und Grüne das Wort „Pack“ heraus.

Noch mehr als auf den Feind von links dreschen die Konservativen auf die CDU ein, einfach weil die Enttäuschung über die "nicht mehr konservative" Volkspartei so groß ist. Es sind vor allem Bürger, denen „das System“, wie sie in verächtlichem Ton sagen, zu schnell, zu intransparent, zu wenig wertbewusst geworden ist. Auf die Frage, warum das Asylrecht aus dem Grundrecht getilgt gehöre, antworten sie fast im Chor: „Warum muss es denn da drin sein? “Irgendwann fängt die Diskussion an, sich im Kreis zu drehen, um immer neue Fälle angeblich klar belegbarer Wahlfälschungen, von Lichtenberg bis Bremen sei das alles verschoben gewesen. „Und Sie, warum genau sind Sie hier?“, fragt Corinth plötzlich den Gast. Dem wird es zu bunt, er geht.

Den Spaß ernst nehmen - Lesen Sie mehr im dritten Teil.

Das Gegenteil zur Spandauer Gemütlichkeit wartet am Oranienplatz in Kreuzberg. Dort sammelt „Die Partei“ ihre Unterschriften. „Autoausstieg jetzt“, ruft Dustin Hoffmann laut, eine Gruppe Touristen wird aufmerksam. „Wowereit ausstopfen, Künast frisieren, Knut wiederbeleben.“ So und so ähnlich lauten die ausgerufenen Forderungen der Partei. Unter einem Transparent stapeln sich Bierdosen in nicht geringem Umfang, alle Partei-Enthusiasten tragen graue, schlecht geschnittene Anzüge, die Stimmung ist ausgelassen. „Spaßpartei? Wir sind doch nicht die FDP“, sagt eine junge Dame, die sich als Finanzpolitikerin vorstellt. Zwei bärtige Männer kommen vorbei, sie unterschreiben bereitwillig. So macht Partei-Arbeit Spaß.

„Tierbeschädigung ist mit uns nicht zu machen. Und wir bauen die Mauer wieder auf“, sagt Hoffmann. „Mauer? Hmmm…“, sagt ein Passant. Er verstehe schon, dass es alles sehr lustig sei, aber bei Mauern höre Humor auf. Er kratzt sich am Kinn, nein, unterschreiben wolle er nicht. Ob „Die Partei“ ernst zu nehmen ist oder der Wahl jeglichen Ernst nimmt, will der Gast wissen. „Wir sind eine politische Antwort auf Satire“, sagt Dustin Hoffmann, der zu allem Überfluss wirklich so heißt, wie er dank seines Personalausweises belegt. Dann wird weitergesammelt - mit Erfolg. Am Ende kommen die 2200 Unterschriften zusammen.

Wem sich die Partei noch als zu ernst erweist, kann es auch bei der Anarchistischen Pogo-Partei probieren. Auf eine E-Mail mit der Frage, wo man die Mitglieder treffen könnte, kam der Vorschlag, sich sofort und unbekannterweise auf die Landesliste setzen zu lassen. Da angenommen werden kann, dass auch bei der APPD, wie bei allen besuchten Parteien, der Bierkonsum obligatorisch ist, bietet sich hier wohl der schnellste Weg zum Aufstieg. Und wer über zu wenig Sendungsbewusstsein für eine aktive Parteikarriere verfügt, kann bei den Kleinparteien immer noch das Suchen, was alle Mitglieder dort wollen: ihren Platz in einer Stadt, von deren Repräsentanten sie sich nicht repräsentiert fühlen.

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