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Gesichert. Polizisten stehen am Hauptbahnhof, während auf dem anliegenden Gelände in Moabit (l.) und im märkischen Falkensee nach Spuren der Täter gesucht wird.

© schroeder

Berlin: Knapp dem Chaos entkommen

Linksextremisten legten Brandsätze am Hauptbahnhof und in Falkensee. Sie sollten die Stadt lahmlegen – aber nur einer zündete

Zugausfälle, Verspätungen und ratloses Service-Personal – tausende Berufspendler und Touristen waren am Montag von den Brandanschlägen auf die Deutsche Bahn betroffen. In Falkensee steckten die Reisenden wegen des abgebrannten Kabelschachts fest, am Hauptbahnhof lösten zwei nicht gezündete Brandsätze einen Großeinsatz der Polizei aus. Da diese rechtzeitig entdeckt worden waren, ist Berlin knapp einem flächendeckenden Chaos im Zugverkehr entkommen.

Fast gespenstische Ruhe lag am Morgen über dem Bahnhof Finkenkrug in Falkensee. Nichts ging mehr. Die Station wird ohne Personal betrieben, und so gab es nur einen offiziellen Hinweis darauf, dass etwas gar nicht stimmte. Eine blasse Leuchtschrift verkündete: Der nächste Zug fällt aus. Ein Ehepaar, das die Familie seiner Tochter besucht hatte, wollte zurück nach Berlin und machte sich verärgert auf den Weg zur Bushaltestelle. Der Schienenersatzverkehr kam nur schleppend in Gang. „Wir können uns dafür nur entschuldigen, aber anders als bei geplanten Baumaßnahmen haben wir in einem solchen Fall nicht Busse zuhauf bereitstehen“, sagt Bahnsprecher Burkhard Ahlert.

Die Brandstifter hatten ihre Anschläge gut geplant. Das erste Mal schlugen sie kurz vor vier Uhr in Brandenburg zwischen den Bahnhöfen Brieselang und Finkenkrug zu: Sie entfernten die Abdeckung der Kabelschächte links und rechts der Gleise und deponierten die Brandsätze mit einem Zeitzünder. Nur einer von beiden zündete und zerstörte die Signalkabel, so dass der Bahnverkehr auf der Strecke Berlin-Hamburg zum Erliegen kam. Die Züge des Fernverkehrs wurden über Stendal und Wittenberge umgeleitet. Züge Richtung Norden hatten zum Teil 90 Minuten Verspätung. Den Fahrgästen im Zug wurde die Umleitung lediglich mit „Vandalismus an der Strecke“ erklärt.

Was sich erst im Laufe des Tages herausstellte: Vermutlich dieselben Täter hatten an einem Trafo, der sich nördlich des Tieftunnels des Hauptbahnhofs befindet, einen weiteren Brandsatz platziert. Ein Bahnmitarbeiter rief die Bundespolizei, die die Vorrichtungen entschärfte. „Sie ähneln denen, die auch beim Anschlag in Brandenburg benutzt worden waren. Daher wird ein Zusammenhang geprüft“, hieß es bei der Bundespolizei.

Am Hauptbahnhof kam es ebenfalls zu langen Wartezeiten. In Lautsprecherdurchsagen wurde von notwendigen „polizeilichen Ermittlungen wegen einer Sabotageaktion“ gesprochen. Viele Reisende glaubten zunächst, die Polizei habe einen Anschlag direkt im Bahnhof verhindert. Liv Klokk, eine Touristin aus Norwegen, berichtete von einer halben Stunde Verspätung auf ihrer Reise von Göttingen nach Berlin. „Im Zug wurden wir über eventuelle Anschläge informiert.“ Kurzzeitig habe es geheißen, dass der ICE gar nicht am Hauptbahnhof halten werde. „Zum Glück stimmte das nicht.“

Zu den Taten bekannten sich militante Kriegsgegner im Internet. Wenige Stunden nach der Tat veröffentlichte eine linksextreme Gruppierung auf dem Internetportal „Indymedia“ ein Bekennerschreiben. Weil die Bundeswehr seit zehn Jahren „Krieg in Afghanistan ohne Zustimmung der Bevölkerung“ führe, sei dies Anlass, die Bahn und die Telekommunikation zu sabotieren und die „Hauptstadt Berlin in den Pausenmodus zu zwingen“. Unterschrieben ist die Erklärung mit „Das Hekla-Empfangskomitee – Initiative für mehr gesellschaftliche Eruptionen“. Der Hekla ist ein isländischer Vulkan.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Bahn Ziel von Linksextremisten wurde. Ein ähnlicher Anschlag legte Ende Mai den Verkehr am Ostkreuz lahm. Damals hatte sich eine Gruppe mit dem Namen „Das Grollen des Eyjafjallajökull“ ebenfalls nach einem isländischen Vulkan benannt. Möglicherweise stecken hinter den jüngsten Anschlägen dieselben Täter, die nun unter einem anderen Namen auftreten.

Einen dritten Anschlag mit nahezu identischer Vorgehensweise gab es im November 2010. Damals zündeten Castorgegner kurz vor einem Atommülltransport ins Wendland in Neukölln mehrere Kabelschächte der Ringbahn an. Das Feuer verursachte ein S-Bahn-Chaos in der ganzen Stadt. In einem Selbstbezichtigungsschreiben wurde die Deutsche Bahn als „Profiteur der Atommafia“ bezeichnet.

Die Gewerkschaft der Polizei verglich die Attacken am Montag mit dem Terror der Roten Armee Fraktion (RAF). „Auch der RAF-Terror hat mit der verharmlosenden so genannten Gewalt gegen Sachen begonnen. Später wurden Menschen ermordet“, sagte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft, Bernhard Witthaut. Er fordert mehr Personal für Verfassungs- und Staatsschutz, um gegen „linksextremistische Gewalttaten“ vorzugehen.

Die meisten Fahrgäste nahmen die Verspätungen gelassen. „Wir sitzen hier schon seit mehr als einer Stunde“, sagte ein älterer Mann am Bahnhof Spandau. Daneben stand eine Spandauer Hortgruppe auf dem Bahnsteig. Sie wollte zum Sea-Life-Aquarium am Alexanderplatz, doch langsam wurde die Zeit knapp und der Regionalexpress ließ auf sich warten. So nahm man, wie viele Fahrgäste Richtung Innenstadt, die langsamere S-Bahn. Die Informationen waren auch an diesem Bahnhof spärlich. Einige der Bildschirme, auf denen die aktuellen Zugverbindungen gezeigt werden, funktionierten nicht. Die Ansagen auf den Bahnsteigen überlappten sich zeitweilig und waren so kaum zu verstehen. Viele Reisende erfuhren erst nach der zweiten oder dritten Durchsage, dass ihr Zug „wegen Sabotage an Bahnanlagen“ gestrichen war.

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