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Berlin: Koalition einigt sich auf neues Schulgesetz

Frühere Einschulung und Prüfungen nach der 10. Klasse vereinbart. Keine Einigung beim Wertkunde-Unterricht

Der Weg zum neuen Berliner Schulreformgesetz ist frei. Die SPD/PDS-Koalition einigte sich gestern in fast allen strittigen Punkten auf einen gemeinsamen Entwurf, den Bildungssenator Klaus Böger (SPD) noch im Dezember in den Senat bringen will. Zum Schuljahr 2003/04 soll das Gesetz in Kraft treten. Als wichtigste Neuerungen werden festgeschrieben: stärkere Eigenverantwortung der Einzelschule, systematische Qualitätssicherung, Abschluss nach der 10. Klasse, vorgezogene Schulpflicht und Verkürzung der Schulzeit zum Abitur.

Bei der Verkürzung gibt es allerdings eine Verzögerung: Wegen der starken Bedenken der Schulen wird die so genannte Oberstufenreform um ein Jahr auf 2004/05 verschoben. Dies bedeutet, dass die jetzigen Zehntklässler noch wie gewohnt 13 Jahre zum Abitur brauchen. Für die Neuntklässler wird es aber ernst: Sie werden bereits in der 11. Klasse Leistungskurse belegen, im Schnitt drei Wochenstunden mehr haben und dafür nicht erst im Juni, sondern im März ihre Abiturzeugnisse erhalten.

Wie berichtet, hatte es bis zuletzt große Widerstände gegen die schnelle Oberstufenreform gegeben. Der Landesschulbeirat etwa mahnte, dass zunächst die neuen Rahmenpläne vorliegen müssten, die der Verkürzung der Schulzeit Rechnung tragen. Andernfalls hätten die Schüler keine verlässliche Entscheidungsgrundlage für ihre Fächerwahl. Außerdem warnte der Beirat vor den Problemen, die sich bei Auslandsaufenthalten in der 11. Klasse und bei Wiederholern ergäben. Auch Schulleiter hatten wiederholt auf die Probleme hingewiesen, die die zusätzlichen Unterrichtsstunden bescheren. Ein Teil der Bedenken kann allerdings ausgeräumt werden, wenn die Schulen ein weiteres Jahr Vorbereitungszeit erhalten. Die gestrige Abschlussrunde mit Fraktionsspitzen, Schulpolitikern und Bildungssenator Klaus Böger setzte den Abschluss unter eine vierjährige Debatte.

Schon Bögers Vorgängerin Ingrid Stahmer (SPD) wollte das alte Schulgesetz erneuern und holte dafür eigens den Frankfurter Bildungsreformer Tom Stryck nach Berlin. Doch der zweimalige Regierungswechsel legte den Reformprozess immer wieder lahm. Bis zuletzt gab es Verzögerungen. So wollte die PDS, dass das Gesetz unmittelbar Konsequenzen aus dem schlechten Abschneiden bei Pisa zieht, indem „Auslesemechanismen“ abgebaut werden. Denn in den erfolgreichen Pisa-Ländern gibt es etwa wesentlich weniger Sitzenbleiber und weniger Aufsplittung in verschiedene Schulformen. Durchsetzen konnte die PDS letztlich zwar weder eine „Einheitsschule“ noch die Abschaffung des Sitzenbleibens. Aber es entfällt in Klasse 5 und 6 der Grundschulen die Verpflichtung, die Kinder nach Leistungsfähigkeit in unterschiedliche Gruppen aufzuteilen. Außerdem setzte die PDS laut ihrer schulpolitischen Sprecherin Siglinde Schaub eine Passage durch, die die Zahl der Sitzenbleiber immerhin reduzieren soll. Demnach soll bei „deutlichen Leistungsrückständen“ die Klassenkonferenz mit dem betroffenen Schüler und seinen Eltern „individuelle Fördermaßnahmen und einen Bildungsplan“ erstellen, um die Versetzung doch noch zu erreichen.

Das neue Gesetz trägt auch den unterschiedlichen Vorkenntnissen und Begabungen der Schulanfänger Rechnung: Die ersten beiden Klassen können in ein bis drei Jahren durchlaufen werden. Außerdem beginnt die Schulpflicht nicht erst mit sechs, sondern mit fünfeinhalb Jahren. Von vielen Schulen wird das neue Gesetz vor allem deshalb begrüßt, weil es den Weg frei macht für eine stärkere Eigenverantwortung. Die Schulen erhalten mehr Freiraum, indem sie ihr Budget selbst verwalten können. Auch bei der Einstellung von Personal wird es mehr Freiraum geben. Zudem bekommen die Schulleiter „Dienstherreneigenschaft“, so dass sie mehr Einfluss nehmen und auch etwa dienstliche Beurteilungen selbst schreiben können. Bislang liegt diese Kompetenz beim Schulaufsichtbeamten.

Keine Einigung erzielte die Koalition bei der Frage der Wertevermittlung. Es wird vorerst kein neues Fach in diesem Bereich geben. Allerdings müssen die Lehrkräfte, die im Auftrag der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften Unterricht geben, künftig ihre Eignung durch gleichwertige Abschlüsse nachweisen. Böger zeigte sich gestern „hochzufrieden“ mit der Einigung. Immerhin gebe es jetzt eine rechtliche Grundlage für die anstehenden wichtigen Reformen.

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