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© p-a/Zentralbild

Koalitionspläne: Jobcenter vor dem Aus

Noch mehr Bürokratie durch die Pläne der neuen Bundesregierung: Der Senat sieht die Betreuung der 570.000 Hartz-IV-Empfänger gefährdet.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Berlin wappnet sich gegen die Pläne der neuen Bundesregierung, die Jobcenter zur Betreuung der Langzeitarbeitslosen wieder aufzulösen, also die kommunale Verwaltung von der Arbeitsagentur zu trennen. „Es ist absurd und verantwortungslos, was Union und Liberale vorhaben. Der Senat wird trotzdem rasch eine Arbeitsgruppe bilden, an der die Bezirke beteiligt werden, um das Problem in den Griff zu bekommen“, sagt Arbeitssenatorin Carola Bluhm (Linke).

Denn in Berlin gibt es etwa 570 000 Hartz-IV-Empfänger, das ist deutscher Rekord. In den zwölf Jobcentern, gegliedert nach den Bezirken, erhalten sie Hilfen für den Lebensunterhalt und es werden ihnen die Wohnungskosten erstattet. Außerdem sollen die Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt vermittelt werden, soweit dies überhaupt möglich ist. Diese Hilfe aus einer Hand wird seit 2005 von den Bezirksämtern und der Agentur für Arbeit gemeinsam erledigt. Aber bis Ende 2010 wollen Union und FDP bundesweit die – nach schwieriger Anlaufzeit – funktionierenden Strukturen auseinanderreißen. Unter Berufung auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2007.

„Die Auflösung der Jobcenter wird uns das nächste Jahr voll beschäftigen“, sagt Bluhm. Darunter litten vor allem die Hilfeempfänger, aber auch die 1700 Mitarbeiter in Berlin. Die alten Doppelstrukturen – hier Arbeitsagentur, dort Sozialamt – müssten jedenfalls teilweise wiederhergestellt werden. „Dass ausgerechnet die Freien Demokraten einen solchen bürokratischen Wahnwitz unterstützen, ist mir schleierhaft“, sagt Bluhm. Die Senatorin hat auch ihre Zweifel, dass die neuen Ämter bis Ende 2010 funktionsfähig sind. Wenn nicht, hat das ernsthafte Folgen, wie die Staatssekretärin für Arbeit, Kerstin Liebich erklärt. „Dann sind alle Bescheide für die Hartz-IV-Empfänger nicht mehr rechtskräftig.“ Denn die Karlsruher Richter haben eine Trennung von kommunaler und Bundesverantwortung (Arbeitsagentur) bis zum 31. Dezember nächsten Jahres verlangt.

Es hätte auch eine andere Lösung geben können: die Wandlung der Jobcenter von einer „Mischverwaltung“ in eine eigenständige Behörde. Die Länder hatten sich schon 2008 auf eine dafür notwendige Änderung des Grundgesetzes geeinigt, aber die CDU-Bundestagsfraktion machte nicht mit. Auch im neuen Koalitionsvertrag lehnen Union und FDP diesen Weg ab und schlagen eine hilfsweise Lösung vor: Erst werden die Jobcenter aufgelöst. Dann soll die Bundesagentur für Arbeit den Kommunen „attraktive Angebote zur freiwilligen Zusammenarbeit unterbreiten“. Ein Mustervertrag soll diese Kooperation regeln.

„Wenn das funktioniert, könnte der Schaden wenigstens begrenzt werden“, sagt Staatssekretärin Liebich. Dann könnten die Sozial- und Arbeitsämter Bürogemeinschaften gründen, die den Hilfeempfängern einen gemeinsamen Service anbieten. „Eventuell reicht dann sogar ein Antragsformular“, hofft Liebich. Wenn das nicht geht, müssen Wohnkosten und Arbeitslosengeld getrennt beantragt und bearbeitet werden. Es gibt doppelte Bescheide mit möglicherweise unterschiedlichen Leistungsberechnungen, und die zweifache Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Außerdem dürfen die Bezirksämter nicht mehr die Software der Bundesagentur benutzen. „Aus datenschutzrechtlichen Gründen müssen wir vielleicht sogar alle Daten der Hilfeempfänger neu eingeben“, sagt Liebich.

Und das alles in Zeiten der Wirtschaftskrise. Wegen der Neuorganisation, so wird in der Arbeitsverwaltung des Senats befürchtet, müsste die Betreuung der Arbeitslosen stark vernachlässigt werden. Und was geschieht mit den Mitarbeitern der Jobcenter? Etwa 700 sind für die Kosten der Unterkunft und die Grundsicherung zuständig, erledigen also kommunale Aufgaben. Etwa 1000 Beschäftigte erledigen die Aufgaben der Bundesagentur, aber alle arbeiten einigermaßen Hand in Hand. Entstehen neue Doppelstrukturen, reicht das Personal wohl nicht mehr aus.

Eine Auflösung der Jobcenter wird Berlin nach koalitionsinternen Schätzungen eine hohe zweistellige Millionensumme kosten. „Um alles vernünftig zu regeln, reicht 2010 nicht aus“, sagt Staatssekretärin Liebich. Danach werde es chaotisch, weil die Betreuung durch die Jobcenter verfassungswidrig wird. Der Senat hofft, dass sich in Ländern und Kommunen genügend Widerstand im Sinne einer vernünftigen Lösung aufbaut.

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