zum Hauptinhalt
325580_0_44d948e9.jpg

© Kai-Uwe Heinrich

Kochserie: Junges Wild vom jungen Wilden

Er steht nicht auf ätherische Tellergemälde, sondern jagt lieber dem richtigen Geschmack nach: Jörg Eichhofer, Küchenchef der „Spindel“ Friedrichshagen. Seine beiden März-Seminare für Tagesspiegel-Leser wollen Hobbyköche überraschen – mit aufsehenerregenden Variationen bodenständiger Rezepte.

Was ist schon normal hier in der Bölschestraße? Zu DDR-Zeiten galt der lauschige Miniaturboulevard nördlich des Müggelsees als bohème-verdächtig, irgendwie staatsfeindlich angehaucht; in der „Spindel“ kochte einer chinesisch, weil er einen Interflug-Piloten kannte und sich die Zutaten mitbringen ließ. Wartezeit auf einen Tisch: neun Monate. Heute wirkt die Straße immer noch anziehend, ein Tisch in der „Spindel“ ist bedeutend schneller zu bekommen. Aber das Restaurant ist immer noch etwas Besonderes, das vermutlich beste Berliner Landgasthaus, falls es so etwas Paradoxes überhaupt gibt.

Hendrik Canis, der Besitzer, hatte ursprünglich einen etwas anderen Lebensplan. Nach Schauspielausbildung, Lehre im Steigenberger-Hotel und einigen Traumschiffjahren als Barkeeper schien er der geborene Sommelier und Duettpartner für Küchenchef Kolja Kleeberg im „Vau“. Nachdem Canis dort alle möglichen Branchenauszeichnungen abgeräumt hatte, wollte er sich als Weingutsverwalter an der Mosel beweisen – doch er wurde über den Tisch gezogen und kehrte in seine Heimatstadt Berlin zurück. Nach einem Intermezzo in der Weinbar Rutz stieß er auf die „Spindel“.

Canis kaufte das Haus 2008 zusammen mit seiner Frau Janet, investierte, entrümpelte, dachte nach – und kam auf die naheliegende Idee, seine hohe Weinkompetenz mit einer unangestrengten, aber frischen und modernen Küche auf moderatem Preisniveau zu kombinieren. Hier kommt nun Jörg Eichhofer ins Spiel, der sich seinerzeit gerade als Küchenchef im Kreuzberger „Jolesch“ ausprobiert hatte und nun reif für den nächsten Schritt schien. Ein Glücksfall. Der 31-Jährige sieht sich selbst als kochenden Rock’n’Roller, als einen, der instinktiv dem guten, richtigen Geschmack nachjagt, statt mit ätherischen Tellergemälden in die Gourmetjournale zu drängen. Was er auf die Teller legt, ist weit entfernt davon, avantgardistisch zu sein, aber auch nie unkreativ oder klischeehaft.

Die Suche nach einer Wahlverwandschaft führt deshalb auch rasch nach Österreich, wo man eine solche Küche in den besten Wiener Beisln finden würde. Wie er allerdings das feinsäuerliche Kalbsbeuscherl mit einem traumhaft lockeren Topfen-Bries-Knödel vermählt, das würde selbst an der Donau Aufsehen erregen. Andere Spuren führen ins Badische, wenn er ein saftiges Stück Kabeljau mit zwei Schnecken erdet, und von dort ist es nicht mehr weit bis zu unserem März-Thema, dem Wild. Bodenständig und voll im Geschmack ist dieses Fleisch von ganz allein, passt also perfekt in die kulinarische Welt Eichhofers, der nichts weiter tun muss, als für diesen Geschmack den richtigen Rahmen zu finden. Es versteht sich von selbst, dass Hendrik Canis das Thema Wein nicht aus den Händen gibt, sondern eine Leistungsschau des deutschen Weinbaus mit Schwerpunkt Rot präsentieren wird – mit Überraschungen auch für Kenner.

Die Spindel, Bölschestr. 51, Friedrichshagen, Tel. 64 52 937. Geöffnet Di. bis So. 12 bis 14.30 Uhr und ab 18 Uhr, www.spindel-berlin.de. Nächste Folge der Tagesspiegel-Kochakademie: Sonntag, 4. April

Bernd Matthies (Text), Kai-Uwe Heinrich (Foto)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false