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Wolfgang Niedecken, 65, hatte vor fünf Jahren einen Schlaganfall und wäre fast gestorben. Ans Aufhören denkt er trotzdem noch lange nicht. Gerade hat er die Jubiläumstour zum 40-jährigen Bestehen von BAP gestartet, am Freitag spielt er im Tempodrom.

© Mike Wolff

Kölschrocker in Spandau: BAP auf Jubiläumstour in Berlin

Heute Abend spielt BAP in der Zitadelle Spandau. Zum Jubiläum der Band plauderte BAP-Sänger Wolfgang Niedecken über ein Spontankonzert mit Bruce Springsteen, Schwitzwasser im Quasimodo und seine enge Beziehung zu Berlin.

Ein Dorf also. Jeder verbindet gewöhnlich etwas anderes mit Berlin. Aber idyllisch wie ein Dorf? Diesen Vergleich würden wohl die wenigsten ziehen. Wolfgang Niedecken tut es. Bevor nun aber ein Shitstorm die graulockige Tolle des BAP-Sängers durcheinanderwirbelt: Was er meint, ist das Berlin der achtziger Jahre. „Berlin war früher gemütlich wie ein Dorf“, sagt der Kölschrocker.

Das Café Butter, ehemals Eckstein, in Prenzlauer Berg. Das lichtdurchflutete Lokal ist recht voll. Wenn auch nicht so voll wie damals, im Sommer 1995, als Niedecken mit seinem Freund Bruce Springsteen hier aufgetreten ist. Für den Dreh zum Musikvideo zu „Hungry Heart“. „Eigentlich sollte das als Playback stattfinden, mit gecastetem Publikum“, sagt er. Doch aus einem einfachen Videodreh wurde ein spontanes Gratiskonzert. Zwischendurch, als die Kameras umgebaut wurden, spielte er mit dem Boss ungeprobt Songs von Bob Dylan oder den Stones. Die Leute kamen in Scharen. „Draußen wurde es nach und nach immer voller“, erzählt Niedecken, dunkelblaues Jeanshemd, braune Wildlederstiefel, die Hose wie das Hemd: „Das war ein unglaubliches Erlebnis.“

Fast wäre Niedecken einem Schlaganfall erlegen

21 Jahre später und mit der ein oder anderen Falte mehr sitzt Niedecken nun an selber Stelle vor einer großen Tasse Milchkaffee. Über Langeweile kann er sich nicht beklagen, im Gegenteil: Mit BAP („Verdamp lang her“) feiert er gerade Vierzigjähriges; neulich erschien das 18. Studioalbum; seit diesem Monat läuft die BAP-Jubiläumstour; gleichzeitig ist er in der Vox-Sendung „Sing meinen Song“ zu sehen, mit Nena, The BossHoss und Xavier Naidoo. „Es ist viel los zurzeit“, sagt Niedecken, der Ende März 65 geworden ist. Ans Aufhören denkt er nicht. Vielleicht weil er weiß, dass es ganz schnell vorbei sein kann. Bald fünf Jahre ist sein Schlaganfall nun her. Als er fast gestorben wäre. „In der Klinik war ich der Einzige, der wusste, dass alles gut verlaufen würde“, sagt er und meint damit seinen starken Lebenswillen. Es sind nachdenklich stimmende Sätze von einem, der als Musiker lange ein exzessives Leben geführt hat. Verarbeitet hat er den Schicksalsschlag auch im aktuellen Album „Lebenslänglich“. „Es geht um Zuversicht“, sagt er.

Ruhige Momente heute nutzt er zur Zeitungslektüre. Intensiv verfolgt er die öffentliche Debatte, besonders das Flüchtlingsthema: „Ich glaube, die Einzelschicksale sind interessant“, sagt Niedecken, der sich seit Jahrzehnten sozial engagiert, vor allem in Afrika. Dafür wurde er 2013 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet. Im Lied „Vision von Europa“ beschreibt er die Flucht zweier Nordafrikaner nach Europa. „Künstler wie wir können vielleicht dazu beitragen, die Menschen vor dem Verhärten zu bewahren.“ Den Populisten will er das Feld jedenfalls nicht überlassen.

Solidarisch ja, aber keine Politrocker

Vierzig Jahre BAP heißt auch: vier Jahrzehnte Rocksongs, die immer auch für ein tolerantes Weltbild stehen. Trotzdem sagt Niedecken: „Wir sind keine Politrocker.“ Mit erhobenem Zeigefinger zu singen, dabei würde er sich unwohl fühlen. Wenn es drauf ankommt, sind sie aber da. Etwa im vergangenen Oktober in München, als sie auf einem Solidaritätskonzert für Flüchtlingshelfer spielten. Ein ähnliches Vorhaben in Berlin scheiterte damals. „Ein logistischer Kraftakt“ sei das auch, sagt er.

Überhaupt Berlin. Vieles verbindet der Vater von vier Kindern mit der Stadt. Eine der Töchter studiert hier. Anfang der Achtziger hat er als freischaffender Künstler in einer Galerie in der Friedrichstraße gearbeitet. Diese Zeit meint er denn auch, wenn er von der dörflichen Gemütlichkeit spricht. „Es war ganz normal, dass man in Kreuzberg bei kalten Getränken direkt an der Mauer saß“, sagt Niedecken.

Weltstadttrubel statt dörflicher Beschaulichkeit

Im Quasimodo unter dem Delphi-Kino hatten sie den ersten Auftritt. Wieder so eine Geschichte, bei der der BAP-Frontmann ins Schwärmen gerät. „Der Laden war brechend voll.“ Die Lüftung kaputt, die Luft so heiß, dass an den Wänden das Wasser runterlief. Wörter wie „irre“ und „Wahnsinn“ fallen. Die erste Zeit nach dem Mauerfall war hingegen nicht so seine: „Das hatte was von Goldgräberstimmung.“ Sehr hektisch. Und heute? „Es gibt mittlerweile viele tolle Ecken“, sagt er. Völlig normal, dass so etwas Zeit brauche. Trotzdem kehrt der Kölner immer gern nach Berlin zurück. Auch wenn die dörfliche Beschaulichkeit von einst inzwischen einem pulsierenden Weltstadttrubel gewichen ist.

Weitere Infos auf www.bap.de

Daniel Godeck

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