zum Hauptinhalt

Königin Beatrix in Berlin: Das Pflaster der Monarchin

Sie will das junge Deutschland besuchen. Und so trifft Königin Beatrix am zweiten Tag ihres Berlin-Aufenthalts vor allem Kinder, die nach der Wende geboren wurden. Was sie in Neukölln an sozialem Konfliktstoff geboten bekommt, das kennt sie bereits aus ihrer Heimat

Der hohe Besuch ist ein bisschen spät dran, gut zwanzig Minuten, das geht gerade noch so als königliches Viertel durch. Immerhin hat es fast aufgehört zu regnen, das wirft ein besseres Licht auf Neukölln an diesem dunklen Nachmittag. Und Neukölln kann es immer vertragen, in besserem Licht dazustehen.

Seit einer Stunde schon patrouillieren Polizeiautos vor dem Zirkusgelände an der Britzer Gutschmidtstraße. Soll sich bloß keiner einbilden, er könne sich mit schlecht sitzender Perücke einschleichen in das „lecker Mittagessen mit dem Präsident“ wie Hape Kerkeling vor ziemlich genau 20 Jahren. Es ist dann auch die echte Beatrix Wilhelmina Armgard, Königin der Niederlande, die um kurz nach drei vorfährt in einer dunklen Limousine, aber aus dem Fond ihrer Limousine deutet sie mit angewinkeltem Unterarm ein Winken an wie damals Kerkeling bei seinem legendären Auftritt vor dem Schloss Bellevue.

Beatrix ist wieder auf Staatsbesuch in Deutschland. Brandenburger Tor, Fernsehturm, Mediaspree und zum Abschluss ein Abstecher nach Neukölln. An die Gutschmidtstraße, wo der Zirkus Mondeo sein Quartier aufgeschlagen hat. Der ist kein gewöhnlicher Zirkus. Die Artisten, Dompteure und Clowns hier sind Kinder der umliegenden Schulen. Eine Woche lang werden sie auf ihren Auftritt vorbereitet, und normalerweise sitzen dann Eltern, Tanten und Mitschüler vor der Manege. Dieses Mal kommt eine Königin.

Die Sache mit dem Neuköllner Mitmachzirkus hat sich Heinz Buschkowsky ausgedacht. Alles ist gut, was das Selbstwertgefühl der Kinder stärkt und sie von der Straße weghält. Heute trägt der Neuköllner Bürgermeister einen orangefarbenen Schlips, selbstverständlich zu Ehren des Hauses Oranien. „Ich bitte Sie“, sagt der Neuköllner Bürgermeister, „an so einem Tag gehört sich das doch“.

Der niederländische Botschafter hat verraten, Beatrix habe für ihren Besuch ganz bewusst Neukölln ausgewählt, „einen Bezirk mit großen sozialen Schwierigkeiten, Armut, Arbeitslosigkeit, Integrationsproblemen“. Das ist so falsch nicht. Neukölln ist reich gesegnet mit problembeladenen Siedlungen, mit dem Hermannplatz, dem Rollbergviertel oder dem von Kampfhunden regierten Viertel am Flughafen Tempelhof.

Zu viel Neukölln aber sollte es wahrscheinlich auch nicht sein. Also hat das Protokoll nach Britz geladen, das von Integrationsproblemen ungefähr so schwer gebeutelt ist wie der Hermannplatz von Akademiker-Arbeitslosigkeit. Das millionenschwer restaurierte Schloss Britz, wo Heinz Buschkowsky gerne lecker Mittagessen geht, ist nur eine U-Bahnstation weit entfernt. Das grüne Britz ist mit dem Weltkulturerbe der Hufeisensiedlung und dem Britzer Garten auf dem Gelände der ehemaligen Bundesgartenschau so etwas wie das Westend von Neukölln. Heinz Buschkowsky sagt: „Die Königin wollte etwas mit Kindern und Integration sehen, deshalb haben wir diesen Zirkus ausgesucht.“

Beatrix lässt sich vom Neuköllner Regen nicht irritieren und schreitet gemessenen Schrittes durch das Zirkusportal. Eine Kapelle spielt „Das ist die Berliner Luftluftluft“, sie kommt recht zugig und kalt daher. Die Königin trägt einen blauen Hut, der sie ein wenig größer erscheinen lässt als den kompakten Buschkowsky, der neben ihr läuft und ein paar begrüßende Worte spricht. Klaus Wowereit hat sich ein paar Meter zurückfallen lassen, irgendeiner muss sich ja auch um Prinzessin Maxima kümmern.

Dass Buschkowsky vorangeht, hat seinen Grund. Der Mann ist nicht nur Deutschlands berühmtester Bezirksbürgermeister, sondern wahrscheinlich auch der berühmteste Neuköllner der Niederlande. Die Niederländer haben es Buschkowsky hoch angerechnet, dass er vor knapp drei Jahren Rotterdam besucht hat, jene Hafenstadt, die von der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg bis zur Unkenntlichkeit zerbombt worden war. Heute nennen die Rotterdamer ihre Stadt wieder stolz das „Manhattan an der Maas“.

Nun hat Heinz Buschkowsky im Juli 2008 nicht über den Krieg geredet und auch nicht über Fußball – das zweite niederländische Trauma mit den Deutschen. Er hat ohnehin wenig geredet, sondern zugehört. Wie die Rotterdamer das so machen mit ihrem Multikultiproblem, wie sie umgehen mit dem starken islamischen Einfluss. Rotterdams Bürgermeister Ahmed Aboutaleb ist Moslem, aber doch weit entfernt davon, seine Religion als Rechtfertigung für die Bildung von Parallelgesellschaften anzuführen. Diese Erkenntnis verbindet ihn mit seinem Neuköllner Amtskollegen, und Heinz Buschkowsky hätte es bestimmt gern gesehen, wenn auch Ahmed Aboutaleb dabei wäre im Britzer Zirkus.

Zwei Mädchen ziehen störrische Esel hinaus in die Berliner Luftluftluft. Die Mädchen gehören zur Herman-Nohl- Schule, ein Neuköllner Vorzeigeprojekt mit Grund-, Förder- und italienischer Europaschule. Die Herman-Nohl-Schule ist nicht typisch für Neukölln, aber sie soll zeigen, was möglich ist mit ein bisschen Geduld, gutem Willen und, gewiss, angemessener finanzieller Ausstattung.

Darüber und über seinen Besuch in Rotterdam hätte Heinz Buschkowsky vor drei Jahren gern im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses berichtet, was die SPD mit dem originellen Argument ablehnte, es gebe Wichtigeres zu bereden, nämlich die Neufassung des Personalvertretungsgesetzes. Der dunkelrote Koalitionspartner setzte noch eins drauf mit dem Hinweis, dass „Experten gehört werden müssen, nicht Leute, die mal eine Reise gemacht haben“. Das fügte sich schön in das Weltbild des Regierenden Bürgermeisters, der Buschkowsky in seiner Biografie vorhielt, er möge doch bitte um einer Verbesserung der Zustände in seinem Bezirk kümmern, anstatt „sich auf Kosten meiner und auch seiner Partei mit Brachialkritik zu profilieren“.

Solche Worte hat Buschkowsky in den Niederlanden nicht zu hören bekommen, und es ist wohl auch kein Zufall, dass Königin Beatrix nicht nach Wedding, Moabit oder Kreuzberg gegangen ist, sondern eben hierher, nach Neukölln. Und wahrscheinlich verlangt es nur das Protokoll, dass im Zirkuszelt nicht Heinz Buschkowsky, sondern Klaus Wowereit den Platz neben der Königlichen Loge einnimmt.

Ein Pferd verbeugt sich stilgerecht vor Beatrix, dann betritt ein kleines Mädchen die Manege. Es mag zehn, elf Jahre alt sein, hält sich an einem Mikrofon fest und sagt die Nummer mit „unseren wagemutigen Luftakrobaten“ an. Zarte Persönchen mit stilisierten Engelsflügeln auf dem Rücken lassen sich an Seilen Richtung Zeltdach ziehen. Applaus, Applaus!

Die Zeit ist knapp und gestattet nur noch eine orientalische Show mit Kamelen und Kostümen, die Kinder tragen migrationsgerechte Schleier. Der Zirkusdirektor eilt herbei für eine kurze Rede: „Bei dieser Nummer fühlen sich unsere Migrantenkinder natürlich zu Hause“, und, zur Königin: „Die Kinder sind so stolz, dass Sie hier waren, das wird ihnen viel geben für ihr späteres Leben.“

Die Königin gibt einem dunkelgelockten Mädchen die Hand und streicht einem anderen übers Haar. Es ist dies wohl eine bewusste Geste gegenüber den Neuköllner Kindern, deren Wurzeln in der Türkei, Arabien oder sonst wo liegen. Jedenfalls weit weg. Auch Beatrix ist als kleines Mädchen in einem fremden Land groß geworden, und daran waren die Deutschen nicht ganz schuldlos. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht floh die niederländische Königsfamilie 1940 über England nach Kanada und kehrte erst 1945 zurück.

Draußen hat der Regen wieder stärker eingesetzt, aber für ein gemeinsames Foto ist allemal Zeit. „Ganz toll, wirklich ganz toll gemacht“, ruft die Königin den Kindern zu, als sie ins Auto steigt. Die Kinder winken und rufen: „Tschüss, Königin!“, auch die Polizisten auf ihren Motorrädern werden verabschiedet. Klaus Wowereit stößt einen Nachbarn an: „Haste gehört, was die rufen? Tschüss Polizei!“ Allgemeines Gelächter.

Heinz Buschkowsky bleibt noch einen Augenblick im Regen stehen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false