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Nach der Debatte, ob es sich bei Beschneidungen um Körperverletzung handelt, geriet auch das Ohrlochstechen bei Kleinkindern in die Kritik.

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Update

Körperverletzung bei Kindern?: Mädchen erhält 70 Euro Schmerzensgeld nach Ohrloch-Stechen

Weil es schmerzhaft und traumatisch gewesen sein soll, bekommt ein dreijähriges Mädchen 70 Euro Schmerzensgeld nach dem Stechen von Ohrlöchern. Für die Eltern oder die Tattoostudio-Inhaberin könnte der Fall aber noch ein Nachspiel haben.

Plötzlich waren sich die Prozessgegner einig. Nein, der Fall müsse nicht weiter debattiert werden und auch nicht, ob es Körperverletzung ist, wenn bei einem kleinen Kind Ohrlöcher gestochen werden. Ursprünglich hatte das Gericht angekündigt, diese Frage zu prüfen. Doch der Streit zwischen den Eltern einer Dreijährigen und der Chefin eines Tattoo-Studios um eine schmerzhafte Prozedur endete am Freitag mit einem Vergleich: 70 Euro Schmerzensgeld für das Kind. Jetzt könnte es aber noch ein Fall für die Strafjustiz werden.

Gedränge herrschte im Saal 209 A im Amtsgericht Lichtenberg. Der große Wirbel machte den Vater des Mädchens, ein schlanker Mann aus der Kfz-Branche mit Ring im Ohr und Piercings in der Augenbraue, verschlossen. Er hatte den Raum bereits verlassen, als Richter Uwe Kett erklärte, dass er den Fall „wahrscheinlich“ an die Staatsanwaltschaft geben werde. Dort müsse dann entschieden werden, ob sich die Eltern, die Tattoo-Studio-Inhaberin, ihre Mitarbeiterinnen, die bei der Kleinen die Löcher schossen, oder alle zusammen strafbar gemacht haben könnten. „Nachdem ich gebellt habe, muss ich beißen“, sagte der Zivilrichter.

Der Tätowierer wurde nach dem Ohrlochstechen auf Schmerzensgeld verklagt.
Der Tätowierer wurde nach dem Ohrlochstechen auf Schmerzensgeld verklagt.

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Die Eltern waren am 16. Dezember 2011 mit der Tochter in ein Lichtenberger Tattoo-Studio gegangen. Die Kleine habe sich die Ohrlöcher zum Geburtstag gewünscht, sagten sie. Zwei Mitarbeiterinnen erklärten die Prozedur: still sitzen, desinfizieren, Salbe gegen Schmerzen auftragen, Punkte auf die Ohrläppchen zeichnen, dann das Einschießen der Stecker. Mit den Markierungen klappte es nicht gleich. Beim dritten Anlauf waren die Eltern einverstanden. Gleichzeitig wurden die Ohren durchschossen. Ein Schmerz, der Knall – das Kind weinte. Und der Vater monierte eine Schieflage.

Der rechte Ohrstecker wurde daraufhin wieder entfernt. Die Eltern waren aufgebracht. Die Mitarbeiterinnen des Studios verzichteten auf Bezahlung. Zu einer Entzündung war es nicht gekommen. Doch noch drei Tage später habe das Kind beim Arzt traumatisch reagiert, klagten die Eltern und forderten ein „angemessenes“ Schmerzensgeld, mindestens jedoch 70 Euro. Die Chefin des Studios dagegen lehnte zunächst ab. Eine solche Prozedur sei bei 99 Prozent der Kinder in diesem Alter äußerst schwierig, schrieb sie. Das dürfte den Eltern klar gewesen sein, sie hätten trotzdem zugestimmt.

Diente die Einwilligung dem Wohl des Kindes? Das Zivilgericht hatte bereits im Vorfeld des Prozesses verlauten lassen, dass dies zweifelhaft erscheint. Es sei auch zu fragen, warum das Tattoo-Studio es nicht ablehnte, bei einem derart kleinen Kind Ohrlöcher zu stechen. Der Richter hatte das Kölner Urteil zu religiös motivierten Beschneidungen von Jungen im Blick, als er ankündigte, auch eine mögliche Strafbarkeit des Ohrlochstechens bei derart kleinen Kindern zu prüfen. Die Kölner Richter hatten die Beschneidung als Körperverletzung gewertet. Das Urteil sorgte weltweit für Aufsehen.

Wer schön sein will, muss leiden, sagt der Volksmund. Seit Jahrzehnten werden auch kleine Kunden, die in Begleitung ihrer Eltern kommen, bedient. „Warum auch nicht?“, fragen professionelle Ohrlochstecher. Ärzte aber warnen. Jeder Eingriff in den intakten Körper eines Kindes sei problematisch. Bislang gab es Diskussionen ums Ohrlochstechen, doch eine gesetzliche Altersgrenze gibt es nicht. Der Berufsverband der Kinder und Jugendärzte (BVKJ) regte an, diese bei 14 Jahren zu setzen. Nun wollte ein Berliner Gericht Neuland betreten. Doch die Prozessgegner einigten sich auf 70 Euro fürs Sparschwein des Kindes und teilen sich die Gerichtskosten von 25

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